Donnerstag, 12. März 2020

halbvergessen unvergessen


Jeden Tag weiß ich genau und immer
gleich und neu ich sollte
nicht sehnen ...

Wenn ich in mein Antiquariat komme, gehe ich immer erst mal nach rechts, nachdem ich Herrn Eschenburg begrüßt habe. Rechts hinten steht die Lyrik. Da finde ich immer was. Vor allem im letzten Jahr, weil Harald Eschenburg den Nachlass von Hans-Jürgen Heise aufgekauft hat. Dem hat jeder deutsche Dichter und jeder deutsche Verlag die neuesten Lyrikbände geschickt. Manchmal sind noch Briefe der Autoren in den Büchern, das ist immer interessant. Hans-Jürgen Heise hatte einmal in den Kieler Nachrichten eine Kolumne, in der er Lyrik vorstellte. Die kleinen Essays sind unter dem Titel Das Abenteuer einer Drei-Minuten-Lektüre  gesammelt. Man kann das noch bei Amazon Marketplace für einen Cent kaufen, lohnt sich unbedingt. Der Kieler Kulturpreisträger schrieb nicht nur für die Kieler Nachrichten, die Hamburger Zeit nahm gerne alles, was er schrieb. In den Briefen, die ich in manchen Büchern gefunden habe, betteln Dichter darum, dass der liebe Herr Heise sie doch in der Zeit rezensieren möge.

Was ich vor Wochen bei Eschi mitnahm, war ein grüner  Gedichtband aus der Edition Suhrkamp von Sabine Techel, der den Titel Es kündigt sich an hat. Es ist ihr einziger Gedichtband. Ja und nein, es gibt das noch ein Dutzend Gedichte in einem Buch, das Wo waren wir stehengeblieben? Das zweite Buch heißt. Sabine Techel hat später auch noch einen Band Prosa geschrieben, über den das Buchjournal sagte: Eine hervorragende Autorin, weil man sich in ihren Texten verlieren und keine Hoffnung hegen darf, daraus gerettet zu werden. Eine kompromisslose Autorin, frech und also frisch im Umgang mit Sprache – so lässt sich das Sinnliche in der Literatur entdecken. Im Buchjournal konnte man auch lesen: Es braucht im Falle von Sabine Techel bloß das ganz wenige an Bereitschaft, an der Garderobe im Kopf ein großes Stück seiner festgefahrenen Lesegewohnheiten abzulegen, um später erst alles zurückbezahlt zu bekommen, dreifach, vierfach. Aber das Buch, das den Titel Mehr als Augen hat, ist eigentlich keine Prosa. Das ist Lyrik, die sich als Prosa tarnt. Es sind wunderbare Sätze dabei, wie zum Beispiel dieser: Gott gibt mir nicht den Himmel wieder. Er gibt uns keine Kneipe. Er bestraft nicht die Sünder, füttert nicht Schokolade noch Kuchen. Liest nicht vor. Er läßt das Bett kalt.

Die Autorin, die auch  Linda Wagner-Martins Sylvia Plath Biographie und Erzählungen von Plath (Die Bibel der Träume) übersetzt hat, hat für das Autorenlexikon von Literaturport eine kurze Lebensgeschichte verfasst: Vita brevis: Eingeboren daselbst im verwichenen (Textor) Jahrtausend (1953) und nach Maßgabe der Möglichkeiten seßhaft, d.h. heimatvertrieben durch faulende Böden und Wände, wie auch regnende Zimmerdecken und abwesende solche; Wohnungen neigen zu wohlfeiler Metaphorik. Traute gern an den Boden unter den Füßen, dieser aber häufiger nicht der Verf. Wer dabei Fallen und Fliegen verwechselt, läßt sich nicht ermitteln. Lieber als Tatsachen glaubt sie Wundern, dabei bedürfen des beide nicht, setzen sie sich doch anders durch. Sammelt erkenntnistheoretische Witze, Fehler in Formaten, die kein Redakteur kauft und Erkenntnisse die ihrer Abfuhr harren. Lebt interimsweise in Farbe, zwischen 5.00 und 6.00 morgens in Cinemascope und 2x jährlich in Kodachrome (ohne Abzüge!), bevorzugt aber in einem gekühlten Thesaurus. Konjugiert bis 38° (wieder) dreisprachig, aber nur in Wartehäuschen. Macht nach viel Weitblicken und fernsehen naheliegendes Theater. Staunt und ißt gern. Immer wieder empört, wenn das Erwartete eintritt: Katastrophen wie Glück.

Und - sollte man vielleicht hinzusetzen: jongliert mit Wörtern. Wie in dem Gedicht Ausverkauf:

zwei Dutzend angestaubter Genitive 
billiger; Bezüge von hier nach da meistens 
pünktlich. Am Grabbeltisch 
Subjekt-Objekt Beziehungen und gleich 
umgekehrt. Ein unauffälliges Präteritum, gut für manche Zukunft 
umzuarbeiten, nur Präsens ist aus, keiner
weiß wann wieder.

Aber ein wärmendes Partizip einer 
ersten einzigen Person auf den Weg für die 
Suche. Schließlich teuer, in der Innenstadt 
ein einziges funkelndes Verb 
finden für dich.

Auf der Seite von Literaturport kann man auch das Gedicht Fliegen lernen anklicken, dann liest sie es uns vor. Ein erotisches Gedicht. Ein Liebesgedicht? Vielleicht, aber eigentlich ist es sehr traurig. In den Texten von Sabine Techel schwingt immer eine Traurigkeit mit. Fliegen lernen findet sich nicht in Es kündigt sich an, war aber schon häufiger im Radio zu hören. In diesem Lyrikmonat heute auch bei NDR Kultur. Auch wenn ich vorher nicht wusste, wer Sabine Techel war, andere wussten das schon. Jochen Hieber sprach in der FAZ von Frechheit und Widerborstigkeit, Zartheit und Chuzpe. Wenn der Erstling bei Suhrkamp gedruckt wird, dann bedeutet das schon etwas. Und sie hat ja auch viele Preise bekommen, viele Stipendien gekriegt. Ich hoffe, sie kann davon leben. Ich bin Gott böse, weil er nicht mehr flutscht wer streicht mir jetzt die Butter auf das Ohr? Die letzte Seife aufgekaut, die Stiefelschmiere abgelutscht; die Wurst tritt - unbelegt - hervor. 

Wird sie jetzt richtig berühmt, wenn ich sie heute in den Blog schreibe? Red Shuttleworth habe ich vielleicht in Deutschland etwas bekannter gemacht, als ich This Place of Memory schrieb, aber der war schon berühmt. Und zu recht. Hannelies Taschau war auch schon berühmt, als sie hier aufschien. Aber der Gerhard Neumann, der war so gut wie vergessen. Als der Post über ihn im Blog stand, bekam ich nette Post von seinem Verleger und von seinem Enkel. Und ein Germanistikprofessor setzte den Post auf seine Leseliste für die Vorlesung über deutsche Nachkriegslyrik. Es ist schön, wenn man mit einem Post Wirkungen erzielt. Ich würde heute gerne die Wirkung erzielen, dass Sie alle Texte von Sabine Techel aufkaufen. Und dass ihre Verlage dann die Bücher neu auflegen, und die Schriftstellerin ganz viel Geld verdient. Ich habe natürlich noch ein Gedicht, das Über den Strom heißt:

Manchmal fangen hinter der S-Bahn die
Alpen an abends um fünf überfällige Bücher und
schnell über den dunklen Parkplatz

Du lauerst jetzt nie mehr breiter Rücken zwischen den 
Regalen oder Schrecksilhouette vor dem dummen Café

Das ist weil ich mich putze vorm Ausgehn und 
immer warte und suche wenn ich zurück bin sind die
Wolken alle ertrunken im Dunkeln

Der grüne Suhrkamp Band beginnt mit dem Gedicht Erinnerungsfoto vom Komparativ und das stelle ich mal hier hin:

als es noch euphorien gab wie auch
gestern und morgen und überfälle von
ängsten aus den schränken kleiderhaufen
hier und da arme voll kram sagbare dinge
wenn ich dann du vielleicht und weil deshalb
und damit hätte niemand gerechnet gestern noch

konnte ich vergangenheit sagen niemand kann sagen
was so sein muß und ob nicht dieses
lächeln in den ecken immer ist

Sabine Techel hat keinen zweiten Gedichtband geschrieben, Beatrice von Matt schrieb damals in der Neuen Zürcher von einer außergewöhnlichen Begabung und mutmaßte, dass von ihr noch einiges zu erwarten sein dürfte. Sabine Techel schreibt nicht, aber sie versteckt sich nicht. Sie ist in Anthologien vertreten, tritt bei Autorenlesungen auf. Macht sie auch Museumsführungen?

heute im Museum ich rede kluge
Sachen mit welchem Pinsel man
Tempera aufs Öl bringt daß die Linien
den Umriß des Schleiers geben ...

Auf jeden Fall hat sie die Eröffnungsrede für eine Ausstellung der Malerin Bettina Albrecht gehalten: In Bettina Albrechts Arbeit erzählen die Farben ihre Geschichte, und zwar, je nachdem, die Geschichte einer Farbe oder die eines Zusammenhangs. Dabei wird Farbe bei Albrecht immer etwas, was nicht eine andere Farbe abbildet, sondern sich selbst formuliert, d.h. im Hegelschen Sinne, der postuliert, dass zum Konkreten der Begriff gehöre, haben wir hier konkrete Farbe. Etwa eines der Bilder mit unerhörtem Materialeinsatz, ein Bild ohne Titel von 2004, mit 28x27 cm ein relativ kleines Format, erzählt die Geschichte der Farbe Weiß zu ihrem vorläufigen Ende

Was wir vom Weiß wissen und was es selbst wissen kann, ist ausformuliert. Der massive Farbauftrag korrespondiert mit der gewaltigen Stille, die von dem Bild ausgeht. Was gucken Sie? Die Frau hat studiert, die ist viel schlauer als Thea Dorn. Ist aber nicht im Literarischen Quartett. Die Welt ist ungerecht. Auf dem Photo hier ist die Malerin Bettina Albrecht links neben ihrer Galeristin. Sie sieht aus, als ob ihr ihre Kunst Spaß macht.

Ich habe heute ein schönes Schlusswort. Ist nicht von mir, ist von einem Dichter und Literaturkritiker, der in einem Essay über Sabine Techel schrieb: Ich komme nochmals auf den Anfang zurück und mein Proust-Zitat vom Leser eines Buches, der vor allem der Leser seiner selbst sei. Schon sehe ich viel von der Fremdheit schwinden, die sich zunächst zwischen die Gedichte Sabine Techels und mich stellte, schon erkenne ich vieles von mir in ihnen, schon zwingen sie mich, sie wieder neu zu lesen. Und, so hoffe ich, wird es auch Ihnen ergehen. Ich bin Peter Hamm dankbar dafür, dass er das geschrieben hat. Und Sabine Techel bin ich dankbar dafür, dass sie solche Sätze rausgehauen hat wie: Gott gibt mir nicht den Himmel wieder. Er gibt uns keine Kneipe. Er bestraft nicht die Sünder, füttert nicht Schokolade noch Kuchen. Liest nicht vor. Er läßt das Bett kalt.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen