Sonntag, 31. Mai 2020

romancier manqué


Ich könnte einen Roman über sie schreiben, sagte ich zu Gabi. Wir redeten über die Frau aus meiner Vergangenheit, die mich an meinem Geburtstag angerufen hatte. Teile des Telephongesprächs habe ich in den Post Wiederholungen hineingeschrieben. Haben viele Leser gelesen, sehr viele. Die mögen diese kleinen autobiographischen Stücke, vor allem, wenn sie von Frauen handeln. Das kennen Sie ja auch schon, ich komme häufiger darauf zurück, mögen die Posts VergilSommerkino oder Kunsterziehung heißen. Ein Leser schrieb mir letztens, dass er den Post Gudrun jede Woche einmal lesen würde, denn, so schrieb er, wir haben alle eine Gudrun in unserem Leben.

Vielleicht würde ich das alles nicht schreiben, wenn ich nicht Proust Suche nach der verlorenen Zeit und Emmanuel Berls Sylvia gelesen hätte. Worüber soll man sonst schreiben, wenn nicht über schöne Frauen? I think myself into love, and dream myself out of it. Oder andersherum? Das Zitat von William Hazlitt habe ich letztens als Motto einer langen Kurzgeschichte gefunden, die mir eine Freundin zum Lesen gegeben hat. Es ist ein Satz, der auch als Warnung dienen kann: Hazlitt hat die ganze Enttäuschung über seine Liebe zu Sarah Walker in einen autobiographischen Roman geschrieben, der den Titel Liber Amoris hatte.

Der Roman ruinierte das bisschen Karriere, das er hatte. Kritiker nannten es Silly Billy’s Tomfooleryindecent trash oder schrieben the dirty abominations of the raffs of literature are far below notice. Nur ein oder zwei positive Kritiken gab es. Zum Beispiel diese: The 'Liber Amoris' is unique in the English language; and as, possibly, the first book in its fervour, its vehemency, and its careless exposure of passion and weakness—of sentiments and sensations which the common race of mankind seek most studiously to mystify or conceal—that exhibits a portion of the most distinguishing characteristics of Rousseau, it ought to be generally praised. Kierkegaard hat seine Trennung von Regine Olsen philosophisch verarbeitet, vielleicht auch mit fervour, vehemency, careless exposure of passion und weakness.

Dass ich am Schreiben bin, habe ich der Frau, über die ich, wie gesagt, einen Roman schreiben könnte, schon gesagt. Ich schreibe jetzt unsere Geschichte auf, sagte ich ihr am Telephon. Da musst Du Dich aber beeilen, sagte sie. Sie weiß nicht, wieviel an Autobiographischem ich schon geschrieben habe, sie liest meinen Blog nicht. Sie ist im Alter resignativ geworden, das tut mir weh. Ich kann lieb sein wie eine Katze, hat sie mir in das kleine Buch mit Katzencartoons von Siné geschrieben, das sie mir mal schenkte. Damals war ich noch nicht allergisch gegen Katzen, denen ich meinen ersten Asthmanfall verdanke. Die Sache mit unserer Geschichte ist doppeldeutig. Woran ich schreibe, ist zwar eine Geschichte von ihr und mir, aber es ist auch die Geschichte unserer Generation. Ich wäre derjenige, der den Roman der im Krieg Geborenen schreiben könne, hat mir Jimmy immer wieder gesagt. Und ich habe ihm immer wieder gesagt, dass ich kein Romanautor bin.

Ich habe schon Schwierigkeiten mit einer Kurzgeschichte, die erotischen Abenteuer der schönen Buchhändlerin (die ich mir ungefähr so vorstelle wie diese Frau auf dem Photo von Heike Steinweg) haben viel Zeit in Anspruch genommen. Mit dem, das ich erlebt habe, an dem ich teilgenommen habe, ist das eine ganz andere Sache. Es fällt mir leicht darüber zu schreiben, auch wenn es manchmal weh tut. Manchmal denke ich auch, dass ich das alles loswerde, wenn ich es aufschreibe. Schreiben als Therapie. Aber ich trinke nicht beim Schreiben, wie das Fitzgerald, Hemingway und Faulkner taten. Soll ich damit anfangen? Whisky wäre noch genug in der Speisekammer.

Ein Freund sagte mir vor Monaten, dass es eine gewisse Analogie zwischen mir und Proust gäbe. Ich habe darüber nachgedacht, und wenn ich mich auch keinen Augenblick lang mit Proust vergleichen will, es ist schon etwas dran. Früher habe ich gelesen, jetzt schreibe ich. Nicht im Bett wie Proust, und mein Asthma ist auch unter Kontrolle. Doch vieles in diesem Blog ist das niedergeschriebene Ergebnis einer Suche nach der verlorenen Zeit. Es ist natürlich keine verlorene Zeit, es ist eine gelebte Zeit. Die Erinnerung ist das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können, sagt Jean Paul. Ich habe das erstaunlicherweise noch nie zitiert, obgleich ich auf dem Schreibtisch einen Zettel habe, auf dem der Satz steht. Ich verdanke ihn einem Leser, der mir schrieb, dass es ein schönes Motto für meinen Blog sei. Aber man muss den Satz weiterdenken.

Was ich glücklicherweise nicht zu tun brauche, denn Urs Widmer hat das schon getan: Wie alle Schriftsteller bin ich ein Erinnerungselefant. Alle Schriftsteller sind das, durchaus unfreiwillig. 'Die Erinnerung ist das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können', sagt Jean Paul in einem berühmten, eigentlich stets zustimmend zitierten Satz. Vermutlich hat er ihn nicht so plakativ positiv gemeint. Denn zum einen ist die Erinnerung nur in den seltensten Fällen ein Paradies, viel häufiger eine Hölle und in der Regel das eine und das andere, zum andern können wir sehr wohl aus diesem Höllenparadies vertrieben werden. Schreiben ist Erinnern, und Erinnern ist eine Arbeit, die ganz nie geleistet werden kann.

Das mit dem Erinnerungselefanten hat mir besonders gut gefallen, das trifft auch auf mich zu. Diese Frau hier hat in meinem Leben keine Rolle gespielt, da bin ich ganz sicher. Ich bin nur auf die gekommen, weil ich letztens bei der Bildersuche von Google meinen Namen eingegeben habe. Also nicht nur dieses Jay, unter dem mich viele kennen, sondern der volle Name. Und was finde ich? Diese Frau, die ich überhaupt nicht kenne. Irgendwie ist das witzig. Aber ich brauche die nicht in meiner Welt, das ist mir zu cool, hat zu viel Styling. Nicht, dass nicht irgendjemand mit ihr glücklich werden kann, vielleicht ist sie ja auch nett. Das weiß ich nicht.

Nein, ich schreibe über andere Frauen. Frauen, die ich kenne. Oder zu kennen glaube. Wobei die Erinnerung auch in die Hölle führen kann. Die Frau, über die ich einen Roman schreiben könnte, mag inzwischen so aussehen wie Marika Lagercrantz, mit Spuren des Lebens im Gesicht. Die beiden sehen sich ein wenig ähnlich. Die Welt des Kinos bedeutete unserer Generation nach dem Krieg viel. Nicht die deutschen Heimatfilme und Kriegsfilme, aber all das, was aus Frankreich und Italien kam. Wir stilisierten uns nach Schauspielern, sie war immer Catherine Deneuve. Ich glaube, sie hat all ihre Filme gesehen.

Als ich den Post Wiederholungen geschrieben hatte, schrieb mir ein Freund, dass ich mich sehr weit vorgewagt hätte mit der Offenlegung von Gefühlen. Aber tue ich das nicht immer, wenn ich über Frauen schreibe? Wir waren ja so verklemmt damals, wir konnten uns unsere wahren Gefühle nicht so einfach mitteilen, sagte mir meine Jugendfreundin Ute letztens am Telephon. Jetzt im Alter können wir alles sagen. Und dann fügte sie hinzu: Du warst immer in meine kleine Schwester verliebt. Ich war baff. Wie kam sie darauf? Nein, ich war nicht in ihre kleine Schwester verliebt, aber ich fand sie sehr sexy. Eine kleine Brigitte Bardot mit roten Haaren und Stupsnase, die die ganze Schule bewunderte.

Wir redeten damals viel, aber wir fanden vielleicht nicht die richtigen Worte. Es ist nicht leicht, das Zauberwort zu finden, sodass die Welt zu singen anhebt. Ich redete damals viel, aber ich wusste nicht, was ich wollte. Da war ich wie Jean-Louis Trintignant in dem Film Ma Nuit chez Maude, zu dem Françoise Fabian sagt: J 'aime bien les gens qui savent ce qu'ils veulent.

Liebe war etwas Neues, auf das wir nicht vorbereitet waren. Wenn wir uns auch nicht alles im Gespräch sagen konnten, hatten wir doch eine Form der Kommunikation der Gefühle. Wir schrieben uns Briefe. Ich könnte mich ja immer noch in den Hintern beißen, weil ich vor Jahren Deine ganzen Briefe weggeschmissen habe, hat mir die Heidi vor Wochen gesagt. Die Heidi hat mir mal diese Karte von Jean-Pierre Desclozeaux geschickt und mit grüner Tinte draufgeschrieben Mein Freund Jay. Der kleine Mann in Gelb bin ich, ich wage mich immer zu weit vor.

Mein Satz Ich könnte einen Roman über sie schreiben, provozierte Gabis Antwort: Warum tust Du es dann nicht? Ich weiß, warum ich das nicht tue, ich hasse das Tippen. Ein paar hundert Seiten schreiben, das wäre nicht Schwierigkeit, aber das Tippen. Brrrr. Ich sitze nicht in der Würde des Alters in der Herbstsonne auf einer Parkbank, wie der Maler Peder Severin Krøyer den Maler und Dichter Holger Drachmann gemalt hat. Ich sitze barfuß am Computer, mit einer zerschlissenen Chino und einem alten Sweatshirt. Immerhin trage ich ein italienisches Luxushemd darunter. Ich will ja durchaus noch schreiben, aber ich will mich nicht durch einen Roman an den Computer fesseln lassen. Vielleicht fürchte ich mich aber auch vor dem Schreiben, denn sicherlich gilt Emmanuel Berls Satz: Le domaine du souvenir est trop vaste pour que je ne m'y perde pas, fût-ce dans ses moindres parcelles, et celui de l'oubli l'est encore davantage.

Ich glaube, ich belasse es erst einmal bei diesen kleinen autobiographischen Posts. To accept a mediocre form and make something like literature out of it is in itself rather an accomplishment, hat Raymond Chandler gesagt. In meinem Blog heißt die Frau, über die ich, wie gesagt, einen Roman schreiben könnte, Ingrid. Das heißt aber nicht, dass sie wirklich so heißt. Ich habe das schon in dem Post poetic licence gesagt, dass viele der in diesem Blog erwähnten Frauen andere Namen bekommen haben. Ingrid ist häufig erwähnt worden. Auf dem Photo hier, das sich auch in dem Post Mit siebzehn findet, stehen wir nebeneinander. Das ist sicher kein Zufall, ich suchte ihre Nähe.

Sie taucht in vielen Posts auf, zum Beispiel in dem Post Heinrich Vogeler, da steht sie mit hochgezogenen Schultern am Fenster. Das war sicher eine Pose, im Posieren war sie gut. Sind alle Frauen. In dem Post Strände liegt sie mit ihrem neuen Bikini neben mir am Strand, das war keine Pose. Frauen werden sofort eins mit dem Strand, wenn die Sonne scheint. In manchen Posts ist sie die Hauptfigur, Liaisons dangereuses ist eigentlich nur für sie geschrieben. Der Post würde direkt in den Roman wandern, wenn ich ihn denn schriebe. Ein Roman, der eine careless exposure of passion and weakness ist.

Und manches steht schon in diesem Blog, das so aussieht, als sei es für diesen ungeschriebenen Roman geschrieben: Warum hast Du mich damals in den Dünen nicht aufgefangen, als ich sagte, fang mich auf? Du hättest mich haben können. Es ist Jahre später, sie liegt neben mir im Bett und raucht eine Zigarette. Das weißt Du genauso gut wie ich, sage ich, wir kennen uns so gut, dass wir die Gedanken des anderen lesen können. Vielleicht doch nicht so gut, wir leben auch alle damals an einander vorbei. Vielleicht wäre wirklich etwas aus uns geworden? Wir sind damals achtzehn, neunzehn, aber auch wenn unsere Generation mit achtzehn viel erwachsener ist als spätere Generationen, in der Liebe bleibt man ein Kind. Wir beziehen unsere Idee von der Liebe aus der Literatur, diese wunderbare Sublimierung unserer Gedanken, Träume und Hoffnungen. Eine zärtliche Gebärde, eine halbe Wendung des Kopfes, die Andeutung eines Gefühls, ein verhaltenes Wort. Oft nur ein Duft oder die flüchtige Erinnerung eines solchen genügen, und das schafft ja Marcel Proust beinahe auf jeder Seite, um das Wunder der Liebe aufleuchten zu lassen. Und wir sammeln atemlos diese Augenblicke des Glückes, so wie Opa seine Schmetterlinge und Hirschkäfer aufspießt.

Freitag, 29. Mai 2020

wegrennende Frauen


Im wirklichen Leben kommt es nicht so häufig vor, dass die Braut am Altar nicht ich will sagt. Oder aus der Kirche rennt. Oder von einem ganz anderen als ihrem Ehemann aus der Kirche geholt wird und ihm dann folgt. Im Film kommt so etwas natürlich immer vor. Wir lieben The Graduate weil Dustin Hoffman Katherine Ross (die hier einen viel gelesenen Post hat) vom Altar wegholt. Und weil Simon und Garfunkel The Sound of Silence singen, wenn die beiden im Bus sitzen.

Sie kennen sicher auch diesen Film, in dem sich die Braut in der letzten Minute anders entscheidet. Der fiel 1956 bei der Kritik durch, flimsy as a gossip-columnist's word, schrieb die The New York Times. Und Halliwell's Film Guide (der dem Film keinen Stern gibt) bemerkte: Cold, flat, dull musical reworking, with ill-cast performers and just a few bright moments. Dass der Film überhaupt funktioniert, liegt nur an der Musik von Cole Porter. High Society war nichts als ein schamloses Re-Make von einem Film der 30er Jahre, der The Philadelphia Story heißt. Und der bei Halliwell vier Sterne bekommt, weil er ein Klassiker ist, in dem es ironische Sätze gibt wie: The prettiest sight in this fine, pretty world is the privileged class enjoying its privileges.

Und mit den dreißiger Jahren sind wir auch bei den Anfängen dieses Typs von Film. Wenn Elizabeth Kendall für ihr Buch über die romantischen Komödien Hollywoods den Titel The Runaway Bride: Hollywood Romantic Comedy of the 1930's wählt, dann sind wir natürlich bei den wegrennenden Frauen. The Runaway Bride ist nur der Titel eines Buches, es ist auch Film mit Julia Roberts, über den ein Kritiker schrieb: "Runaway Bride" is a film that plays it safe to paint a pretty picture. At its best, it is a passable entry into the romantic comedy genre, though it pales in comparison to the riskier and ultimately more fulfilling ones, such as "Shakespeare in Love" and "My Best Friend's Wedding". At its worst, "Runaway Bride" is a cloying and annoying feel-good movie whose toying with audience emotions ultimately wastes both the talents of its actors and the promise of its premise.

Einer der ersten Tonfilme mit einer flüchtenden Braut kommt 1931 in Deutschland mit Jenny Jugo in der Hauptrolle unter dem Titel Ich bleib bei Dir  (oder Mary's Start in die Ehe) in die Kinos. Erfolgreicher als dieser Film ist das englische Re-Make There Goes the Bride (in dem David Niven seine erste Rolle hat). Wenn Sie den Filmtitel anklicken, können Sie den ganzen Film sehen. In diesem Blog wird an nichts gespart.

Je häufiger das Motiv der runaway bride gebraucht wird, desto stärker verflacht es. Wenn es schon in Serien wie Grey's Anatomy wandert, wo eine gewisse April gerade mit einem Matthew vor dem Traualtar steht und dann mit diesem Jackson flieht, dann ist das Thema eigentlich tot. Aber flogging a dead horse gehört offenbar zu den Grundprinzipien der Unterhaltungsindustrie.

Ich komme auf das Thema der wegrennenden Frauen, weil ich letztens im TV einen dieser Filme gesehen habe. Er hieß Die Braut sagt leider nein, war die Verfilmung eines Romans von Kerstin Gier. Der Film von Vivian Naefe, die sich auf Frauenfilme spezialisiert hat, war Teil einer Reihe, die Chaos-Queens heißt, von der es 4 Folgen gibt. Wurde vom ZDF als Herzkino angepriesen. Herzkino, sagt das ZDF, ist unsere Alternative zum Krimi. Ob als Komödie, als Melodram oder als Liebesfilm. In 90 Minuten geht es hier um das, worauf es ankommt im Leben. Um Familie und Freundschaft, und die Frage, wann man loslassen darf und muss. Über dieses Ding genannt Glück – und das Unglück, ihm gefühlt andauernd nur hinterher zu laufen. Und über die Liebe, und die eine ewige Frage „Ist er der Richtige?"

Die Hauptrolle des Films spielte Adina Vetter, die sich in kleinen Nebenrollen bei Wilsberg und Schimanski zur Schauspielerin am Wiener Burgtheater hochgearbeitet hatte. Ihren größten Erfolg hatte sie in der satirischen Serie Vorstadtweiber (hier mit ihrem Ehemann Lucas Gregorowicz in einer Filmszene). Ihren besten Szenen aus der ersten und zweiten Staffel können Sie hier sehen. Die Vorstadtweiber waren böse, alles, was wir in den letzten Monaten aus der österreichischen Politik zu hören bekamen, kam hier schon vor. Manchmal denke ich, dass die deutsche Politik eigentlich auch nur Satire und Comedy ist. Im Fall der Nominierung von Ursula von der Leyen sicherlich.

Also, Adina Vetter spielt die Braut, die sich zum Schluss vor dem Altar anders entscheidet. Und hier ist sie auch noch schwanger, aber sie will ihren Verlobten trotzdem nicht heiraten. Es ist eine Komödie, Herzkino, aber es tut nicht weh. Ich habe das nur gesehen, weil bei der Wetterlage meine kleine Zimmerantenne die Hälfte der Fernsehprogramme nicht empfangen konnte. Das mit dem Wetter kenne ich schon. Sie wohnen gut, hatte der Fernsehtechniker gesagt, aber empfangstechnisch gesehen wohnen sie schlecht. Aber wegen des Fernsehens zieht man nicht um.

Die Braut sagt leider nein ist ein harmloser Film. Wenn man Ehekomödien mag, dann könnte man auch My best friend's wedding sehen, vor allem wegen der Musik von Burt Bacharach. Eine gute Filmmusik hat Die Braut sagt leider nein nicht. Nix von The Sound of Silence oder I say a little prayer for you. Das Fehlen einer guten Filmmusik wird wettgemacht durch die körperlichen Vorzüge der Hauptdarstellerin. Die zeigt nämlich mehr Bein als die Kessler Zwillinge und trägt kürzere Röcke als Uschi Nerke. Wenn Sie die nackten Beine von Adina Vetter sehen wollen, dann können Sie das hier bis zum 22. September tun.

Donnerstag, 28. Mai 2020

Geier-Wally

Tief unten durchs Ötztal zog ein fremder Wanderer. Oben in Adlershöhe über ihm am schwindelnden Abhang stand eine Mädchengestalt, von der Tiefe heraufgesehen nicht größer als eine Alpenrose, aber doch scharf sich abzeichnend vom lichtblauen Himmel und den leuchtenden Eisspitzen der Ferner. Fest und ruhig stand sie da, wie auch der Höhenwind an ihr riß und zerrte, und schaute nieder schwindellos in die Tiefe, wo die Ache brausend durch die Schlucht stürzte und ein schräger Sonnenstrahl in ihrem feinen Sprühregen schimmernde Prismen an die Felswand malte. Auch sie sah winzig klein den Wanderer und seinen Führer dahinziehen über den schmalen Steg, der in Turmeshöhe über die Ache führte und von da oben einem Strohhalm glich. Sie hörte nicht, was die beiden sprachen, denn aus der Tiefe drang kein Laut herauf als das donnernde Brausen des Wassers. Sie wurde nicht gewahr, daß der Führer, ein schmucker Gemsjäger, drohend den Arm erhob, zu ihr hinauf deutete und zu dem Fremden sagte: »Das is g'wiß die Geier-Wally, die dort oben steht, denn auf den schmalen Vorsprung, so nah an n' Abgrund, traut sich kei andres Madel; schauen's, ma meint, der Wind müßt' sie 'runterwehen, aber die tut immer's Gegenteil von dem, was jeder vernünftige Christenmensch tut.« Das sind noch mal Romane, die so anfangen. Wenn Sie weiterlesen wollen, bitte hier ist der Text.

Es ist ein Roman, der unzählig oft verfilmt wurde. Von Heidemarie Hatheyer bis zu Christine Neubauer wollte offensichtlich jede Schauspielerin diese wilde Schönheit Walburga Stromminger (die in der Wirklichkeit Anna Stainer-Knittel hieß) spielen, die dann in der Filmwerbung als Teufelsweib apostrophiert wird. Christine Neubauer ist aber besser bei München 7 aufgehoben als in der Welt der Berge. Die Figur der freiheitsliebenden Wally (I lass mi net zwingen! I bin koa Stück Vieh) der Autorin Wilhelmine von Hillern machte den Roman zu einem Publikumserfolg.

Die Autorin schrieb den Roman 1880 zu einem Theaterstück um, das an zahlreichen deutschen Bühnen aufgeführt wurde. Theodor Fontane sah das Stück 1881 in Berlin und war ergriffen: Ich wurde drei Stunden nicht nur gefesselt, sondern abwechselnd erschüttert und erhoben. Die Macht der Poesie war stärker als das immer wieder sich regende kritische Bedenken. Er lobte in seiner Besprechung, dass hier richtige Menschen das Richtige sagen und das Richtige tun, und dies Richtige tun zu richtiger Zeit und am richtigen Ort. Er war aber auch als Theaterkritiker versiert genug, um zu betonen, dass das Stück seiner glänzenden Eigenschaften unerachtet, mehr in die Reihe der Kometen als in die der Dauer-Sterne gestellt werden sollte. Das Filmbild hier zeigt weder Heidemarie Hatheyer noch Christine Neubauer, sondern die Tierfreundin Barbara Rütting in dem Film von 1956.

Doch bevor die Filme kamen, kommt erst einmal die Oper La Wally von Alfredo Catalani. Die am 20. Januar 1892 ihre Uraufführung in der Scala in Mailand hatte. Ein Jahr nach der Premiere ist der Komponist an der Schwindsucht gestorben. Die Oper könnte man vergessen (obgleich Toscanini sie mochte und sogar seine Tochter Wally taufte), wenn da nicht diese Arie Ebben? Ne andrò lontana wäre. Ich gebe aber gern zu, dass ich eine Gesamtaufnahme mit Renata Tebaldi besitze. Es gibt ja Opern, die nur von einer einzigen Arie leben. Wie Mozarts Zaide. Da braucht man keine Gesamtaufnahme, eine Aufnahme von Ruhe sanft, mein holdes Leben reicht völlig aus. Am besten mit Sandrine Piau, die das wunderbar singt. Catalanis Ebben? Ne andrò lontana gab es schon als Konzertarie, bevor dieser musikalische Dauerbrenner in die Oper kam. Da hieß es allerdings Chanson Groënlandaise und war auf einen Text von Jules Verne geschrieben:

Le ciel est noir,
Et le soleil se traîne

À peine!
De désespoir
Ma pauvre âme incertaine
Est pleine!
La blonde enfant se rit de mes tendres chansons,
Et sur son coeur l'hiver promène ses glaçons!


Einem großen Publikum wurde die Arie durch Jean-Jacques Beneix' Film Diva bekannt (in dem die französische Porno Diva Brigitte Lahaie eine kleine Nebenrolle spielt), wo die Arie von Wilhelmenia Fernandez gesungen wird. Beneix, den Pauline Kael in ihrer Filmbesprechung als Carol Reed reborn with a Mohawk haircut bezeichnete, hat mit seinem ersten Spielfilm Diva einen perfekten postmodernen Film gedreht. Einen Krimi, eine Liebesgeschichte und ein bisschen große Oper. Die dunkelhäutige Amerikanerin mit dem weißen Kleid passt da wunderbar in den Film. Sie singt auch die Arie ganz nett, für den Film reicht es. Aber sie hat doch Schwierigkeiten, die Höhen zu erreichen. Hören Sie hier einmal hinein.

Wenn wir ehrlich sind, müssen wir natürlich sagen, dass andere das besser gesungen haben. Es ist eine Arie, die kein Sopran auslässt. Die Netrebko erst recht nicht. Wahrscheinlich hat sogar Florence Foster Jenkins den Part gesungen. Falls Ihnen der Name jetzt nichts sagt, hören Sie doch einmal hier hinein, wo sie Mozarts Königin der Nacht hinrichtet. Man muss es mal gehört haben, sonst glaubt man es nicht. Natürlich sollte Der Hölle Rachen kocht in meinem Herzen eher so klingen. Aber bei YouTube kann man heutzutage eine Vielzahl von Kiddies sehen, die Florence Foster Jenkins Konkurrenz machen. Muss dieser musikalische Müll sein?

Ebben? Ne andrò lontana ist eine Bravourarie, von der es meiner Meinung nach nur eine ultimative Aufnahme gibt. Nicht die Netrebko, nicht Diana Damrau (das sollten Sie wegen des Kostüms anklicken), die augenblicklich Konjunktur hat. Nein, da gibt es natürlich nur die Callas:

Ebben? Ne andrò lontana,
Come va l'eco della pia campana,
Là, fra la neve bianca;
Là, fra le nubi d'ôr;
Laddóve la speranza, la speranza
È rimpianto, è rimpianto, è dolor

Und Callas Fans lesen jetzt natürlich noch: Primadonna assoluta.

Jean Rhys


Reader, I married him. Ein berühmter Kapitelanfang. Es ist das Kapitel 36 von Jane Eyre von Charlotte Bronte. Zehn Kapitel vorher hätte die Heldin diesen Satz auch schon sagen können, aber da ist in der Kirche aus der Hochzeit nichts geworden. Jemand hatte Einwände in letzter Sekunde, man kennt das aus Hollywoodfilmen. So wie in Vier Hochzeiten und ein Todesfall. Aber in Kapitel 26 sind die Einwände schwerer, Mr. Rochester ist schon verheiratet. Zwar nur noch pro forma, da seine Frau wahnsinnig geworden ist. Er hat sie oben im Haus weggesperrt. The madwoman in the attic. Das ist jetzt im viktorianischen Roman noch so ein Rest von der Gothic Novel, dem Schauerroman. Findet sich auch bei Charlottes Schwester Emily in Wuthering Heights immer wieder. Die große Zeit der Gothic Novel ist eigentlich vorbei, aber bei den Brontes und auch bei Dickens und Wilkie Collins finden sich immer noch Reste davon. Vielleicht ist Rochesters Frau gar nicht verrückt, vielleicht ist sie nymphomanisch? (manche Kritiker haben das aus Brontes Text herausgelesen). Das wäre für einen viktorianischen Gentleman natürlich noch schlimmer, no sex please, we are EnglishJane Eyre, unter dem Pseudonym Currer Bell erschienen, wird ein großer Erfolg, erstaunlich für einen Romanerstling. Sind es die melodramatischen Elemente oder ist es die willensstarke Erzählerin, die das Lesepublikum so faszinierten?

Charlotte Bronte hat die zweite Auflage des Romans dem führenden Romancier der Zeit, William Makepeace Thackeray, gewidmet. Der letzte Absatz ihres Vorworts liest sich beinahe wie eine Liebeserklärung Why have I alluded to this man? I have alluded to him, Reader, because I think I see in him an intellect profounder and more unique than his contemporaries have yet recognised; because I regard him as the first social regenerator of the day -- as the very master of that working corps who would restore to rectitude the warped system of things; because I think no commentator on his writings has yet found the comparison that suits him, the terms which rightly characterise his talent. They say he is like Fielding: they talk of his wit, humour, comic powers. He resembles Fielding as an eagle does a vulture: Fielding could stoop on carrion, but Thackeray never does. His wit is bright, his humour attractive, but both bear the same relation to his serious genius that the mere lambent sheet-lightning playing under the edge of the summer-cloud does to the electric death-spark hid in its womb. Finally, I have alluded to Mr. Thackeray, because to him -- if he will accept the tribute of a total stranger -- I have dedicated this second edition of JANE EYRE.


Wenig später ist ihr das ganz furchtbar peinlich gewesen. Sie hatte nicht gewusst, dass Thackeray auch eine geisteskranke Frau hatte. Thackeray hat das aber äußerlich ungerührt genommen, und hat das Werk der unbekannten jungen Autorin als the masterwork of a great genius bezeichnet.Aber dieses melodramatische Motiv der madwoman in the attic, die irgendwann das Haus anzündet, wirkt natürlich weiter. Daphne du Maurier klaut es sich für Rebecca (Hitchcock gefällt das auch sehr). Und Jean Rhys erweckt die geheimnisvolle Unbekannte auf dem Dachboden in ihrem Roman Wide Sargasso Sea zu neuem literarischen Leben.

Jean Rhys, deren wirklicher Name Ella Gwendolen Rees Williams war, wurde heute vor 120 Jahren in Roseau, der Hauptstadt der Insel Dominica, geboren. Die Tochter eines walisischen Arztes und einer kreolischen Mutter aus der Pflanzeraristokratie von Dominica, hatte ein chaotisches Leben. Ständig die falschen Beziehungen, mehrere Ehemänner (und die ständig im Gefängnis), Einsamkeit, bittere Armut und Alkohol. Ihre Publikationen aus den zwanziger und dreißiger Jahren waren längst vergessen, als 1966 ihr Roman Wide Sargasso Sea erschien. Das war, wie man heute modisch sagt, ein prequel zu Jane Eyre, eine Art Parallelroman, in dem die Heldin die erste Frau von Mr. Rochester, Antoinette Cosway, ist. Die, die bei Charlotte Bronte aus der Karibik kommt und wahnsinnig wird. Und im Feuer stirbt. In der Schilderung von Mr. Rochester ist seine Jugendsünde ja eine Massierung von allem, was dazu dient, Bertha Antoinetta Mason (wie sie nach der Wiederverheiratung ihrer Mutter heißt) zu verteufeln:

My bride's mother I had never seen: I understood she was dead. The honey-moon over, I learned my mistake; she was only mad, and shut up in a lunatic asylum. There was a younger brother, too; a complete dumb idiot... My father, and my brother Rowland, knew all this; but they thought only of the thirty thousand pounds, and joined in the plot against me.”
These were vile discoveries; but except for the treachery of concealment, I should have made them no subject of reproach to my wife: even when I found her nature wholly alien to mine, her tastes obnoxious to me, her caste of mind common, low, narrow, and singularly incapable of being led to anything higher, expanded to anything larger—when I found that I could not pass a single evening, nor even a single hour of the day, with her in comfort: that kindly conversation could not be sustained between us, because whatever topic I started, immediately received from her a turn at once coarse and trite, perverse and imbecile—when I perceived that I should never have a quiet or settled household, because no servant would bear the continued outbreaks of her violent and unreasonable temper, or the vexations of her absurd, contradictory, exacting orders—even then I restrained myself; I eschewed upbraiding, I curtailed remonstrance; I tried to devour my repentance and disgust in secret; I repressed the deep antipathy I felt.
Jane, I will not trouble you with abominable details: some strong words shall express what I have to say. I lived with that woman up stairs four years, and before that time she had tried me indeed: her character ripened and developed with frightful rapidity; her vices sprang up fast and rank: they were so strong, only cruelty could check them; and I would not use cruelty. What a pigmy intellect she had—and what giant propensities! How fearful were the curses those propensities entailed on me! Bertha Mason—the true daughter of an infamous mother—dragged me through all the hideous and degrading agonies which must attend a man bound to a wife at once intemperate and unchaste.


Schriftsteller lieben es ja im 19. Jahrhundert, ihren Frauenfiguren ein schreckliches Schicksal zu bereiten. Kaum haben sie im Roman Konturen und Eigenleben gewonnen - also jetzt mal abgesehen von dem unerträglichen Typ der engelhaften Hausfrau und liebenden Gattin - da sind sie auch schon tot oder siechen dahin. Madame Bovary, Anna Karenina, Tess (in Tess of the d'Urbervilles) oder Cora Munro (in Coopers The Last of the Mohicans). Und auch Effi Briest hat nicht gerade ein Happy Ending. Aber bevor Antoinette (die Rochester nur Bertha nennt) den Feuertod stirbt, ist sie quicklebendig, eine Parallelgestalt zu der charakterstarken Jane Eyre bei Bronte. Antoinette passt nirgendwo hin, auch sie ist (wie Jean Rhys) Tochter einer kreolischen Mutter, sie gehört nicht zur weißen Oberschicht der Karibikinsel, aber auch nicht zu den Schwarzen. Und erst recht passt sie nicht in das kalte viktorianische England, in das Mr. Rochester sie mitnimmt. Antoinette ist einmal mehr eine Jean Rhys woman, wie man ihre Heldinnen inzwischen nennt, einsam verletzlich, unangepasst.

Der Roman ist zweimal verfilmt worden, 1993 in einer plüschigen Ausstattungsrevue (mit Nathaniel Parker als Rochester, den kennen wir ja sonst als Inspector Lynley) und 2006 als ein Fernsehspiel für die BBC. Man kann beide Versionen im Netz sehen (die BBC Version ist auch als DVD erhältlich). Glücklich bin ich mit beiden nicht, die australische Verfilmung ist eine Art soft porn Version des Romans (obgleich das Element des Sexuellen bei Jean Rhys natürlich im Roman steht, sie denkt da die kryptischen Andeutungen aus Jane Eyre weiter) mit vielen Stars. Die BBC Version hat einen vorzüglichen Anfang und erzählt in den ersten vier Monaten schon die ganze Geschichte bevor der Filmtitel kommt. Aber es spricht natürlich überhaupt nicht dagegen, diese Links nicht anzuklicken und stattdessen den Roman zu lesen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg hat die BBC Jean Rhys durch eine in einer Zeitschrift geschalteten Anzeige gesucht, man wusste nicht, ob sie noch lebte. Eine Autorin (Selma Vaz Dias) wollte Good Morning, Midnight von Jean Rhys für die BBC bearbeiten, durch diesen Kontakt mit der Welt der Literatur fasste Rhys neuen Mut, sie hat über Selma Dias gesagt, dass sie lifted the numb hopeless feeling that stopped me writing for so long. Vielleicht verstand sie sich mit Selma Vaz Dias so gut, weil die Schauspielerin und Tänzerin war, und Jean Rhys hatte auch einmal als Tingeltangeltänzerin angefangen. Dann lernt sie Francis Wyndham kennen, der dafür sorgen wird, dass sie Wide Sargasso Sea zuende schreibt: So I wrote to her and she wrote back and said she was writing something, and this was 'Wide Sargasso Sea'. She would send it to me as she was writing it, bit by bit. It was so exciting. I know that she was difficult, that she had her rages, but I only ever witnessed one rage and that was about being old. I was very moved by it. She knew I was a great fan of her writing. I think she knew, too, that she was good and that quite a lot of people couldn't see that she was good. So we had all that unspoken between us. She was a bit frail, like an actress. Sonia Orwell and I used to stay in a hotel near where she lived in Devon and take her out. She lived in a prefab kind of house.

Da in Cheriton Fitzpaine in Devon wird sie weiter wohnen, wenn der Erfolg kommt. Alle ihre Bücher werden neu wieder aufgelegt, sie bekommt Literaturpreise und den CBE Orden von der Königin. Aber sie hat weiterhin kein Telephon und kein Fernsehen (und sie trinkt auch weiter). Aber sie schreibt auch bis zuletzt, doch ihre Autobiographie wird ein Fragment bleiben. Wenn sie ihr Leben noch einmal leben könnte und die Wahl hätte, glücklich zu sein oder eine Schriftstellerin zu sein, dann würde sie das Glück nehmen, hat sie zu ihrem Lebensende gesagt. Der (sicherlich autobiographische) Roman Good Morning, Midnight hat seinen Titel nach einem Gedicht von Emily Dickinson. Ich drucke das mal hier hin, weil es irgendwie zu ihr passt.

Good morning, Midnight!
I'm coming home,
Day got tired of me –
How could I of him?

Sunshine was a sweet place,
I liked to stay –
But Morn didn't want me – now –
So good night, Day!


Jane Austen


It is a truth universally acknowledged, that a single man in possession of a good fortune, must be in want of a wife. However little known the feelings or views of such a man may be on his first entering a neighbourhood, this truth is so well fixed in the minds of the surrounding families, that he is considered the rightful property of some one or other of their daughters. Ein schöner Romananfang. Es ist der Roman Pride and Prejudice von Jane Austen. Die hat heute Geburtstag, da muss ich doch einige Zeilen schreiben. Obgleich sie keinerlei Reklame braucht, sie zählt nicht zu den vergessenen Autoren. Man liest sie immer noch, und man kann sie immer noch lesen. Ihre Romane sind in den letzten Jahrzehnten immer wieder verfilmt worden. In Farbe und mit einem großen Aufwand von Kostümen und Dekorationen. Mehr oder weniger gut. Die Romane sind besser.

Pride and Prejudice handelt vom Heiraten. Die Unterhaltung zwischen Mrs und Mr Bennet auf der ersten Seite des Romans handelt vom neuen Nachbarn:

"Why, my dear, you must know, Mrs. Long says that Netherfield is taken by a young man of large fortune from the north of England; that he came down on Monday in a chaise and four to see the place, and was so much delighted with it, that he agreed with Mr. Morris immediately; that he is to take possession before Michaelmas, and some of his servants are to be in the house by the end of next week."
"What is his name?"

"Bingley."
"Is he married or single?"
"Oh! Single, my dear, to be sure! A single man of large fortune; four or five thousand a year. What a fine thing for our girls!"
"How so? How can it affect them?"
"My dear Mr. Bennet," replied his wife, "how can you be so tiresome! You must know that I am thinking of his marrying one of them."
"Is that his design in settling here?"
"Design! Nonsense, how can you talk so! But it is very likely that he may fall in love with one of them, and therefore you must visit him as soon as he comes
.

Die Jagdsaison ist eröffnet, reiche Junggesellen sind jetzt Freiwild in dem Roman der Autorin Jane Austen. Die übrigens nie geheiratet hat, sie verheiratet immer nur ihre Heldinnen. Heiraten ist wichtig in dieser Gesellschaft, die uns Jane Austen beschreibt. Mit einer Ehe sichert man sich einen sozialen Status im England der Regency Zeit, Liebe und das persönliche Glück werden da zur Nebensache. Denn Happiness in marriage is entirely a matter of chance, wie eine Romanfigur in Pride and Prejudice sagt. Von großen Leidenschaften wie in Brontës Wuthering Heights ist hier nicht die Rede.

Die Welt, die uns Jane Austen beschreibt, ist die Welt der landed gentry der Regency Zeit. Die Großstadt London spielt bei ihr keine Rolle. Arme Leute wie bei Charles Dickens auch nicht. Erstaunlicherweise hat auch die Aristokratie, die in allen Trivialromanen des 19. Jahrhundert von solch großer Bedeutung ist, bei ihr wenig Platz. Dies ist die Welt der upper middle class, die Welt der home countiesManchmal kommen Marineoffiziere in den Romanen vor, die eigentlich immer positive Figuren sind. Zwei von Jane Austens Brüdern waren Marineoffiziere, sie bringen es beide bis zum Admiral. Francis William Austen wird sogar Admiral of the Fleet.

Und was tut man in dieser Welt zu Weihnachten? Man feiert natürlich. Allerdings sind das noch keine Feiern, bei denen die Kinder im Mittelpunkt stehen. Weihnachten ist noch kein sentimentales Kinderfest, Dickens' Christmas Carol ist noch nicht geschrieben. Das sind jetzt Feste für Erwachsene, bei denen junge Frauen hoffen, die geliebten Männer wieder zu treffen. Wenn die snobistische Caroline Bingley schreibt: I sincerely hope your Christmas in Hertfordshire may abound in the gaieties which that season generally brings, and that your beaux will be so numerous as to prevent your feeling the loss of the three of whom we shall deprive you, dann meint sie das natürlich überhaupt nicht. Weil sie bösartig ist und es ganz und gar nicht will, dass Jane Bennet ihren Bruder bekommt. Das ist natürlich nicht der richtige Christmas spirit.

Wir wissen über das englische Weihnachtsfest in der Zeit von Jane Austen eine ganze Menge dank des Buches Jane Austen's Christmas von der Gräfin Maria Hubert von Staufer. Und in einem netten Blog finden wir alle Weihnachtsszenen aus Jane Austens Romanen und deren Verfilmungen. Ich werde gern zu einem anderen Zeitpunkt noch einmal über Jane Austen schreiben, jetzt muss ich erst einmal Weihnachtspäckchen zur Post bringen. Aber zwei Literaturtipps habe ich doch noch. Der eine ist der hervorragende Blog Jane Austen's World, etwas Besseres gibt es in der Blogosphere nicht. Der andere Tipp ist ein ewiger Klassiker, das Buch A Portrait of Jane Austen von Lord David Cecil. Über das John Bayley sagte: I would unhesitantly pronounce the book to be the best portrait of herself and her work that exists.

Mittwoch, 27. Mai 2020

Wellen


Dies schöne Bild von dem Flensburger Maler Ludwig Dettmann brauche ich jetzt für den Anfang. Ich hatte es schon einmal abgebildet, in dem Post, der den seltsamen Namen ythlaf trägt. Ostsee, Strand und Frauen, das passt wunderbar zu dem Roman von Eduard von Keyserling, der Wellen heißt. Habe ich gerade gelesen. Ich lese ja noch manchmal. Weniger als früher, weil ich viel Zeit für das Schreiben brauche. Und während des Schreibens lese ich, für das Schreiben. Als ich über Effi Briest schrieb, habe ich Hochhuths Effis Nacht noch einmal gelesen. Als ich über Monets Camille schrieb, habe ich die Autobiographie von Gustav Pauli noch einmal gelesen. Für Peepshow las ich Nicholas Freelings Double Barrel, für den Post über Friedrich Ahlers-Hestermann habe ich seine Autobiographie gelesen. Und so weiter. Das heißt, ich lese noch, aber anders. Nicht mehr so wie früher, als die ganze Literatur der Welt noch vor einem lag.

Den Roman Wellen des Grafen Keyserling fand ich für einen Euro im Antiquariat, es war die Nummer 30 der Hundert Bücher der Süddeutschen Zeitung. Ich las die ersten drei Seiten und nahm das Buch mit. Die ersten Seiten sind gut. Ein wenig wie Fontane, mit dem man Keyserling immer wieder verglichen hat. Wie es die Zeit vor fünf Jahren tat, die ihn sogar besser als Fontane fand. Ist er nicht ganz, keine Sorge. Zuviel Adjektive, zuviel Kitsch. Man kann Trivialromane gegen den Strich lesen, man kann sie aber auch gegen den Strich schreiben, das tat Fontane, hat Karlheinz Gärtner in seiner Dissertation über Fontane geschrieben.

Keyserling schreibt keine Trivialromane, auch wenn er manchmal mit seinen Klischees nah dran ist. Aber er ist mit seinem impressionistischen Stil und der leichten Dekadenz auch manchmal nah an der Weltliteratur. Da, wohin Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem nicht kommen wird. Die Nähe von Keyserling zu Fontane hatte schon Thomas Mann (der seinen Fontane ganz genau gelesen hatte) erkannt: Man wird den Namen Fontane's immer nennen, wenn von Keyserling die Rede ist. Die Aszendenz ist deutlich. Es gibt Stellen bei Keyserling, Dialogstellen zumal, die wörtlich so bei Fontane stehen könnten ... Es ist dieselbe Distanzierung und Durchheiterung einer feudalen Wirklichkeit bei Fontane und Keyserling — der märkischen dort, der baltischen hier. Eine sehr ähnliche geistige Stimmung bei beiden, Skepsis und Resignation. 

Wenn man will, kann man vielleicht auch Beziehungen zwischen Keyserling und Eichendorff herstellen, wie Boris Hoge in einem Aufsatz gezeigt hat. Das ist interessant, aber wohl etwas weit hergeholt. Näher liegen würden Autoren wie Jens Peter Jacobsen, Herman Bang und Iwan Turgenjew. Das wusste Thomas Mann auch schon, der den Nachruf auf Keyserling  (den er einen Fontane in Moll nannte) schrieb: Ich finde die Namen Fontane's und Iwan Turgenjews in jedem Nekrolog; ich vermisse einen dritten, uns näheren, den teuren, traurigen Namen Herman Bangs. Es ist sicher, daß sie sich einander sehr nahe gefühlt haben, der dänische Patrizier und der ostpreußische Junker. Da ich schon wieder einmal aus der Rolle des Bloggers gefallen bin, und sich der Literaturwissenschaftler in mir gemeldet hat, möchte ich anmerken, dass man den Bremer Schriftsteller Friedo Lampe immer wieder (und wohl nicht zu Unrecht) mit Herman Bang und Eduard von Keyserling verglichen hat.

Der Roman Wellen und der Graf von Keyserling (hier von Lovis Corinth gemalt) haben vor einigen Jahren ihre Renaissance gehabt, weil Marcel Reich-Ranicki im Literarischen Quartett Ein ganz und gar sinnliches Buch, eine schöne Liebesgeschichte verkündete. Was Florian Illies in der Zeit mit dem Satz kommentierte: Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde mehr. Nachdem Reich-Ranicki den Roman empfohlen hatte, sicherte sich die Berliner Produzentin Regina Ziegler sofort die Filmrechte. Und bot die Regie des Films Vivian Naefe, der großen Frauenversteherin des deutschen Films, an. Viele von Naefes Filmen haben die Darstellerinnen berühmt gemacht, wie zum Beispiel Veronica Ferres in Eine ungehorsame Frau. Und so wurde dies wieder ein typischer Naefe Emanzipationsstoff, wie die Berliner Zeitung schreibt.

Der Film beginnt mit halbnackten Mädchen in der Dusche eines Pensionats. Man fürchtet schon im falschen Film zu sein und einen Lesbenporno gekauft zu haben. Oder eine Neuauflage von Romy Schneiders Mädchen in Uniform. Aber dann flackert ein Schriftzug über die Leinwand und verkündet: Berlin 1913. Elf Monate vor dem Kriegsausbruch. Es ist gut, dass der Graf Keyserling, der den Roman um 1910 schrieb, das nicht zu sehen braucht. Und so kann man munter Dinge aus einer anderen Zeit in den Film transponieren. Niemand wird um 1910 (oder 1913) das Wort Infrastruktur benutzen, niemand wird eine Davidoff rauchen. Und die Gräfin wird nicht sagen: Ziehen Sie Ihre Angel ein, ich bin der falsche Fisch. Das sagt jemand in Some like it hot. Das soll jetzt witzig sein, ist es aber nicht.

Man kann den Roman Wellen leicht im Buchhandel oder im Antiquariat finden, man kann ihn aber auch hier auf dem Bildschirm lesen. Wenn man einen großen Bildschirm hat, geht das sehr gut. Bei einem Buch überblickt man nur eine Buchseite, hier hat man beinahe ein Kapitel im Blick. Wir sind an der Ostsee, wahrscheinlich eher in Nidden als in Weißenhaus. Das Bild von Max Liebermann ist aus der Reihe seiner schönen Strandbilder, zwar Nordsee und nicht Ostsee, aber das macht nichts. Wir brauchen nur Meer, Strand, Himmel und junge Frauen in weißen Kleidern.

Natürlich kann das Meer symbolisch sein. Ist es auch bei Keyserling, wenn auch nicht in dem Maße, in dem Virginia Woolf in Die Wellen davon Gebrauch macht. Der Maler Hans Grill möchte in einem Gemälde das Meer und Doralice vereinen (Ja, dich und das Meer. Ihr beide müßt zusammen auf ein Bild und eine Synthese von dir und dem Meer, verstehst du?). Die beiden jungen Baronessen werden in ihren Gefühlen berührt: Oben in der Giebelstube, Lolos und Ninis Schlafzimmer, standen die beiden Mädchen noch am Fenster und schauten hinaus. Das mondbeglänzte Meer, das Rauschen und Wehen da draußen ließ ihnen keine Ruhe, es erregte sie fast schmerzhaft, und das Paar, das dort unten an den blanken Säulen der brechenden Wellen hinschritt, gehörte mit zu dem Erregenden und Geheimnisvollen da draußen, das den beiden Mädchen ein seltsames Fieber in das Blut legte.

Doch Keyserling kann das Meer auch ironisch behandeln, er nutzt alle Facetten: Man setzte sich auf der Veranda zur Abendmahlzeit nieder an den Tisch, über den das rote Abendlicht hinflutete und der Seewind an dem Tischtuch und den Servietten zerrte. Das machte die Gesellschaft schweigsam, so das Meer vor sich war es, als sei man nicht allein, nicht unter sich. „Ich habe mir das Meer größer gedacht,“ erklärte Wedig endlich. „Natürlich, mein Sohn,“ meinte die Generalin. „Du willst wohl für dich ein Extra-Meer.“

Dies ist in gewisser Weise die Geschichte von Effi Briest in der Sommerfrische, die Geschichte der jungen mittellosen Gräfin Doralice, die ihren Mann verlassen hat, um mit einem Maler zusammenzuleben. Das ist eine ungeheuerliche Sache für den Kleinadel kurz nach der Jahrhundertwende. Keyserling (selbst wegen einer finanziellen Lappalie von seiner Studentenverbindung und seiner Familie verstoßen) hat übrigens die Geschichte mit dem Maler und dem unstandesgemäßen Zusammenleben schon einmal Jahre zuvor in seiner Erzählung Beate und Mareile gebraucht, jetzt recycelt er das noch einmal und macht Doralice zu einer tragischen Heldin. Vivian Naefe hat gesagt, sie habe die Gräfin sympathischer gemacht. Man fürchtet sich bei Literaturverfilmungen vor solchen Aussagen.

Die Keyserling Renaissance unserer Zeit betrifft nicht nur seine Romane, sie betrifft auch die Verfilmungen. Und vieles bei Keyserling schreit ja geradezu nach einer Verfilmung. Darüber sagte Florian Illies 2009 in der ZeitDoch ist es das Wesen von Nostalgie, dass ihre Wirkung kurz nach dem Moment der Beschwörung wieder verpufft, weil ihren Objekten die Kraft zum eigenen Leben fehlt. Deswegen verhallten nicht nur immer wieder die Fanfarenstöße der verzückten Ausgräber, auch der Kostümrausch der Romanverfilmungen 'Schwüle Tage' (1978), 'Am Südhang' (1980), 'Beate und Mareile' (1981) und 'Wellen' im Jahre 2005 versendete sich in Minutenschnelle, indes: die Werke Eduard von Keyserlings blieben. Über die Verfilmung von Wellen wäre doch noch einiges zu sagen.

Der für das ZDF und arte produzierte Fernsehfilm Wellen, der in Litauen gedreht wurde, hatte als Drehbuchautor Günter Schütter, der viel mit Dominik Graf zusammengearbeitet hat. Und für einen Fernsehkritiker namens Rainer Tittelbach ist das alles ganz prima: Sommer 1913. Es war die Zeit, als Zucht und Ordnung herrschte und die Damen der besseren Gesellschaft stets um „Contenance“ bemüht waren. Bereits der elegant gebaute, mit feiner Ironie gespickte Roman, der in der Sommerfrische an der Ostsee eine Reihe unterschiedlichster Menschen zusammen führt, liest sich kurzweilig. Die ZDF-Verfilmung nimmt diese Leichtigkeit auf und transportiert sie meisterlich in das Medium Film.

Ähnlich äußert sich Dieter Wunderlich, dessen Seiten sonst immer zuverlässig sind, wenn er sagt: Abgesehen davon hält sich der Film "Wellen" eng an die Vorlage und weicht nur in Nebensächlichkeiten davon ab. In Nebensächlichkeiten? Aber hallo Leute, geht's noch?Habt ihr den Roman nicht gelesen, den Film nicht gesehen? Der ist, trotz guter Schauspieler, trotz schöner Bilder, trotz passender Kostüme, eine Travestie, keine Literaturverfilmung. Das fängt wie gesagt schon damit an, dass die Handlung elf Monate vor den Beginn des Ersten Weltkriegs verlegt wird (der Roman erschien 1911).

So kann dann der junge Leutnant  Carl von Gonthard (der im Roman Hilmar von Hamm heißt) der Gräfin Doralice (Marie Bäumer) beim Sex a tergo ins Ohr flüstern, dass die Luftwaffe schon mit Giftgas experimentiert. Schlimmer geht's nimmer. Im Roman gibt es kein Giftgas, nur giftgrüne Wellen auf einem Altarbild. Im Roman gibt es auch keinen Sex. Gut, die Personen träumen davon, so wie die junge Baronesse Lolo von Doralice träumt, aber Keyserling vermeidet Sexszenen. Gab es so etwas je bei Fontane? Welchen Gewinn haben wir in der Literatur von explizitem Sex? Wir lassen den Monolog von Molly in Ulysses mal aus. Musste American Psycho wirklich geschrieben werden?

Vivian Naefe hat keinen Scheu vor Sexszenen: Alle suchen nach der großen Liebe und geben sich mit Sex zufrieden, hat Naefe über ihren Film gesagt. Die Frauen leiden nur anders als die Männer. Und so bumst der Baron von Buttlär das kleinwüchsige Dienstmädchen (das wir als die Assistentin von Professor Boerne aus dem Münsteraner Tatort kennen) und verprügelt danach seinen Sohn Willy. Beides kommt im Roman nicht vor, da heißt der Sohn Wedig und ist fünfzehn Jahre alt. Viel älter als dieses Filmkind hier. Auch seine Schwester Nini ist im Roman schon erwachsen, hier ist sie noch ein Kind.

Warum das alles? Es macht keinen Sinn. Oder will uns Frau Naefe sagen, dass sexbesessene baltische Barone (Matthias Habich als Baron von Buttlär fasst sich ständig mit der Hand an sein Geschlechtsteil, ein schöner Höhepunkt des ham acting) elf Monate vor dem Ersten Weltkrieg nichts anderes zu tun haben, als ihre Dienstmädchen zu bumsen und ihre Kinder zu schlagen? Buttlär ist im Film Offizier, im Roman ist er ein Gutsbesitzer. Ich könnte die Liste der absurden Änderungen des Romans beliebig fortsetzen. Von einer Werktreue kann man bei diesem Fernsehfilm nicht reden. Im Internet finden sich beinahe nur lobhudelnde Besprechungen des Films, glücklicherweise ist da aber noch die Professorin Alexandra Pontzen, die 2005 schreibt: Es dürfte nicht schwerfallen, etwas Niveauvolleres zu produzieren als die missglückte, ja in einigen Szenen alberne, filmische Adaption von Keyserlings Roman "Wellen", die das ZDF am 5. Mai dieses Jahres gesendet hat.

Es ist schade für die Darsteller, es ist schade für die hübsche Marie Bäumer, dass sie nicht mal in einem richtig guten Film mitspielen darf. Also Männerpension war ja ein netter Anfang, aber da muss sie mit Til Schweiger ins Bett, das kann es nicht sein. Mitte Ende August (frei nach Goethes Wahlverwandtschaften) hätte ein schöner kleiner Film werden können, aber den hat der Burgschauspieler Gert Voss versaut, dem der Regisseur nicht die Bühnensprache abgewöhnen konnte. Wäre Marie Bäumer, die man schon einmal eine zweite Romy Schneider genannt, Französin, dann würde sie in schönen Filmen mitspielen. Weil die Franzosen den Satz von Truffaut Le cinéma c'est l'art de faire faire de jolies choses à de jolies femmes ernst nehmen. Hat ihr aber nichts geholfen, dass sie einmal in Frankreich gelebt hat. In Deutschland muss sie in Der Schuh des Manitu mitspielen.

Seit es den Film gibt, haben sich die Filmstudios in dem unerschöpflichen Vorrat der Literatur bedient, haben die Literatur geplündert, sind vor nichts zurückgeschreckt. Die Kritiker träumen von der Werktreue, doch das ist ein Begriff, der mit den kommerziellen Interessen einer Filmgesellschaft nicht zu vereinbaren ist. Wenn man an die neueste Verfilmung von The Great Gatsby mit Leonardo DiCaprio denkt, dann hat das ja auch nichts mehr mit Fitzgeralds Roman zu tun. Regina Zieglers erste Filmproduktion war Peter Steins Inszenierung von Maxim Gorkis ➱Sommergästen, damals hatte sie noch die Literatur und die Werktreue im Sinn. Aber zu der Zeit, als sie die Rechte von Wellen kaufte, da war sie bei Filmen wie Frauen, die Prosecco trinken und der Degeto angekommen. Ziegler verkörpert die Ambivalenz des deutschen Fernsehens wie niemand sonst: den seichten Degeto-Kitsch wie die ambitionierten Eventproduktionen gleichermaßen, schrieb die TAZ. Mit dem Film Wellen sind wir eher bei dem zähen Degeto Quark.

Literaturverfilmungen sind eine schwierige Sache, die Engländer können das offensichtlich besser, wenn wir an die vielen Jane Austen Filme, an A Dance to the Music of Time oder ➱Brideshead Revisited denken. Franzosen können das auch, Bertrand Tavernier hat das mit dem schönen Film Un dimanche à la campagne gezeigt. Und Raoul Ruiz hat mit Le temps retrouvé bewiesen, dass man Proust vielleicht doch verfilmen kann. Wenn ich zu dem Thema ein Buch empfehlen darf, dann wäre das der Suhrkamp Band Literaturverfilmungen, der von Franz-Josef Albersmeier und Volker Roloff herausgegeben wurde. Wenn Sie mehr über Literaturverfilmungen lesen wollen, dann kann ich auf den Post The Go-Between verweisen. Es ist einer der wenigen Posts in diesem Blog, der vor vielen Jahren in einem Buch veröffentlicht worden war, ich würde ihn heute immer noch genau so schreiben. Allerdings ein paar gehässige Bemerkungen über das Musical einfügen, das es damals noch nicht gab.

Die Generalin von Palikow und Fräulein Malwine Bork, ihre langjährige Gesellschafterin und Freundin, kamen in das Wohnzimmer. Sie wollten sich ein wenig erholen. Die Generalin setzte sich auf das Sofa, das frisch mit einem blanken, schwarz und roten Kattun bezogen war. Sie war sehr erhitzt und löste die Haubenbänder unterm Kinn. Das lila Sommerkleid knisterte leicht, die weißen Haarkuchen an den Schläfen waren verschoben und sie atmete stark. Sie schwieg eine Weile und schaute mit den ein wenig hervorstehenden grellblauen Augen kritisch im Zimmer umher. Das Zimmer war weiß getüncht, wenig schwere Möbel standen an den Wänden umher und über die Bretter des Fußbodens war Sand gestreut, der in der Abendsonne glitzerte. Es roch hier nach Kalk und Seemoos.
„Hart,“ sagte die Generalin und legte ihre Hand auf das Sofa.
Fräulein Bork neigte den Kopf mit dem leicht ergrauten Haar auf die linke Schulter, blickte schief durch die Gläser ihres Kneifers auf die Generalin, und das bräunliche Gesicht, das aussah wie das Gesicht eines klugen älteren Herrn, lächelte ein nachdenkliches, verzeihendes Lächeln. „Das Sofa,“ sagte sie, „natürlich, aber man kann es nicht anders verlangen. Für die Verhältnisse ist es doch sehr gut.“
„Liebe Malwine,“ meinte die Generalin, „Sie haben die Angewohnheit, alles gegen mich zu verteidigen. Ich greife das Sofa gar nicht an, ich sage nur, es ist hart, das wird man doch noch dürfen.“

So fängt der Roman an, und der Romananfang verführt zum Weiterlesen. Die liebe Malwine ist übrigens nicht im Film, da wird sie mit dem Satz, dass sie eine Nierenkolik hatte und in der Charité operiert würde, aus dem Film komplimentiert. Wenn Florian Illies schreibt der Kostümrausch der Romanverfilmungen 'Schwüle Tage' (1978), 'Am Südhang' (1980), 'Beate und Mareile' (1981) und 'Wellen' im Jahre 2005 versendete sich in Minutenschnelle, indes: die Werke Eduard von Keyserlings blieben, dann hat er schon recht. Der Roman bleibt. Und er ist der Lektüre wert. Und wenn Sie Wellen unbedingt in einem anderem Medium als dem Buch haben wollen, dann nehmen Sie doch das Hörspiel. Hören Sie doch hier einmal hinein.