Sonntag, 5. November 2023

Marie Fajtová

Es war schon Nacht. Ich wollte den Fernseher ausmachen, zappte einmal durch alle Programme und landete bei einem Requiem von Franz von Suppè. Ich wusste nicht, dass der König der Operette auch so etwas geschrieben hat; ich wusste nicht, dass er schon mit sechzehn Jahren eine Messe geschrieben hatte. Aber Johannes Brahms hat das gewusst, dass Franz von Suppè solch ein romantisches Requiem schreiben konnte. Nach Suppès Tod hat er gesagt: Seine unglaubliche Gewandtheit in weltlichen Dingen verdankt er eigentlich seinen geistlichen Kompositionen. Er hat etwas gelernt! 

Ich schaltete den Fernseher nicht aus, auch wenn Mitternacht schon vorüber war. Weil ich wissen wollte, wer diese schöne rothaarige Sängerin war. Das fand ich am nächsten Tag heraus. Und ich schrieb die Marie Fajtová in den Post Exsultate, jubilate hinein. Wenn Sie das ganze Requiem in der Aufnahme von 2012 sehen und hören wollen, dann können sie das hier tun. Die Nürnberger Nachrichten haben es eine Aufführung mit Kultstatus genannt. Es gibt die Aufnahme auch als CD von Profil: Edition Günther Hänssler.

Dieses Bild gehört zu einem Video, das Benefice na obnovu Grabštejna 20.8.2011 Figarova svatba betitelt ist. Google Translate sagt mir, dass wir hier bei einer Benefizveranstaltung für die Restaurierung von Grabštejn mit einer Aufführung von Die Hochzeit des Figaro sind. Die Übersetzungsmaschine von Google ist richtig gut geworden, vor zehn Jahren konnte man die für nix gebrauchen, jetzt kann man mit ihr arbeiten. Wenn sie Marie Fajtová nicht nur sehen wollen, sondern auch singen hören wollen, dann klicken Sie das kleine Video an. Sie singt hier die Aria der Susanna Deh vieni non tardar, o gioia bella. Ist ein bisschen verstümmelt, das Rezitativ ist weggefallen. Was wir sehen, sind Amateuraufnahmen.


Wir sind im Hof des Schlosses Grabštejn (das auf deutsch Grafenstein heißt) im Norden Böhmens. Weit und breit kein Meer, obgleich Shakespeare im Wintermärchen behauptet: Bohemia. A desert country near the sea. Das uralte Schloss war dem Untergang geweiht, aber 1990 hatte man beschlossen, es zu erhalten und wiederherzustellen. Seit 1993 finden hier die Benefizkonzerte statt, und da reisen dann die Sänger von der Prager Staatsoper an. Und singen Mozart unter einfachsten Bedingungen. Unter dem Segeltuchdach, das Sie da oben im Innenhof sehen, ist die Bühne, mehr gibt es nicht.

Es ist hier kein Platz für ein Orchester, man hat gerade mal einen Pianisten (David Švec), der Mozarts Hochzeit des Figaro auf dem Flügel intoniert. Die bunten Pappkästen, die ständig umgestellt werden, sind die einzige Dekoration. Hier sehen wir den Grafen Almaviva, der gerade mal wieder versucht, Susanna zu verführen. Das habe ich natürlich auch als Video. Es ist eine Aufführung unter schwierigen Bedingungen, ständig laufen Leute durchs Bild. Die Zuschauer sitzen schon beinahe auf der Bühne. Und dennoch, es ist Mozart, die Sänger, wie zum Beispiel František Zahradníček (Figaro) oder Roman Janál (Graf Almaviva), haben Klasse. Das reißt alles heraus. Es gibt viele Arten, Mozarts Opern zu vermitteln. Es gibt Glamourspektakel wie Currentzis Don Giovanni, es gibt das wunderbare Music Theatre London mit seinem Figaro. Es gab hunderte von Ausschweifungen aus der Welt des Regietheaters (lesen Sie doch noch einmal Flimm ist schlimm). Und es gibt das hygellige Benefizkonzert im Schlosshof der Burg Grafenstein. Sangeskunst und Spielfreude machen das zu einem Erlebnis.

Man muss bei Google ein bisschen suchen, aber dann kriegt man doch einiges über die Oper zusammen. Figaros Se vuol ballare habe ich hier, auch sein Non più andrai, farfallone amoroso und Cherubinos Voi che sapete.  Marie Fajtová hat im Figaro nicht nur die Susanna gesungen, in anderen Aufführungen war sie die Gräfin Almaviva. Hier singt sie das Porgi amor in der Badewanne, davon hätten wir gerne mehr gesehen. Größer und schärfer, aber ich habe leider nur diesen kleinen Ausschnitt. 

Sie hat das Dove sono der Contessa in einer Aufführung in Japan gesungen. Da wirkt alles marionettenhaft gestelzt, ich glaube, der Regisseur wollte sich an die Traditionen des japanischen Kabuki Theaters anlehnen. Marie Fajtová braucht all die Kostüme nicht, sie sieht übrigens auch in Jeans gut aus, wie sie hier beweist. Unter dem Video aus dem Yokosuka Theatre findet sich der Eintrag: I love your voice! I wish you would upload more videos, you're brilliant. Das kann man nur unterschreiben. Kommentatoren von YouTube Veidios haben ja häufig so recht. Unter diesem Live-Mitschnitt findet sich der Satz: Wonderful performance but such a beautiful voice deserves to be professionally recorded.

Marie Fajtová hatte am Prager Konservatorium Klavier studiert, sich dann aber umentschieden, um Opernsängerin zu werden. Sie hat eine Homepage, die ein wenig informativer sein könnte. Und es gibt von ihr eine CD, die Pensive Songs heißt. Mit Liedern von Klement Slavický, Antonin Dvořák, Bohuslav Martinů und Richard Strauss. Von der CD habe ich hier ein Lied. Und hier noch eins. Es ist schade, dass es nicht mehr von der Sängerin auf CDs gibt. 

Sie ist allerdings noch auf einer CD von Jan Dismas Zelenkas Il Diamante zu hören. Eine Aufnahme, die sehr gelobt wurde. Marie Fajtová ist immer gelobt worden. Kritiker haben sie die beste Violetta der Tschechei genannt, dazu sollten Sie ihr Sempre libera mal eben hier hören. Es wäre schöner, wenn es dabei nicht nur ein Klavier, sondern ein ganzes Orchester zu ihrer Stimme gäbe. Nur mit einem Klavier wirkt La Traviata nicht. Es sei denn, es wird von einem Flashmob in einem holländischen Kaufhaus gesungen.

Dieses Bild kommt jetzt nicht aus der SM Szene oder aus meinem Post Fantasy. Nein, das ist Marie Fajtová als Quacozinga in Josef Mysliveček Oper Motezuma. Der Komponist, den Mozart sehr schätzte, ist ja ein klein wenig in Vergessenheit geraten. Aber ich habe hier etwas für Sie, nicht nur diesen ✺Schnipsel, sondern ✺Motezuma ganz, die erste vollständige Aufnahme der Oper, die es je gegeben hat. Das war jetzt eine kleine tour de force durch das Internet, die in der Nacht angefangen hatte, als ich Franz von Suppès Requiem hörte. Und alles über diese rothaarige Schönheit wissen wollte. Jetzt weiß ich einiges. In Prag ist sie schon berühmt, wenn jetzt noch ein paar tausend Leser das hier lesen, dann wird sie vielleicht noch berühmter. Vielleicht bekommt sie dann auch einen Wikipedia Artikel. Ich habe ja dank WMS Nemo schon einen.

 

Mittwoch, 1. November 2023

Exsultate, jubilate

Also, diese schöne Frau hat nichts mit der Hansestadt Bremen zu tun; schöne Frauen sind zwar in diesem Blog immer gut aufgehoben, aber ich brauche sie gleich wirklich. Nicht nur als eyecatcher. Sie heißt Marie Fajtová und ist Sängerin an der Prager Staatsoper. Ich brauche sie, weil sie so wunderbar Mozarts Exsultate, jubilate singt. Und mit Jubel hat dieser Post etwas zu tun. Als ich im September den Post Literaturstadt Bremen schrieb, da hätte ich es nicht geglaubt, dass die UNESCO sich für die Hansestadt Bremen entscheiden wird. Weil am Anfang des Jahres neben allen untergegangenen Buchhandlungen auch noch die Buchhandlung von Franz Leuwer am Wall, die eine erstaunliche Geschichte hatte, nach hunderzwanzig Jahren schliessen musste. Und wegen der ganzen kulturellen Misere, die Michael Augustin in seinem Gedicht beschrieb.

Und doch ist das Unglaubliche geschehen, gestern hat die UNESCO die Hansestadt Bremen zur Stadt der Literatur auserwählt. Damit gehört Bremen jetzt dem Netzwerk Creative Cities an. Und das ist doch ein Grund zum Jubeln. Wir waren ja schon dankbar, dass Werder Bremen am Wochenende mal wieder gewonnen hatte. Und nun noch dies. Da lassen wir doch die schöne Frau aus Prag Exsultate, jubilate singen.  Wenn Sie noch mehr Mozart von Marie Fajtová hören wollen, dann klicken Sie dies an.