Mittwoch, 11. März 2020

die Günderrode

Gestern las ich Ossians 'Dartula', und es wirkte so angenehm auf mich: der alte Wunsch, einen Heldentod zu sterben, ergriff mich mit großer Heftigkeit; unleidlich war es mir, noch zu leben, unleidlicher, ruhig und gemein zu sterben. Schon oft hatte ich den unweiblichen Wunsch. mich in ein wildes Schlachtgetümmel zu werfen, zu sterben. Warum ward ich kein Mann? Ich habe keinen Sinn für weibliche Tugenden, für Weiberglückseligkeit. Nur das Wilde, Große, Glänzende gefällt mir. Es ist ein unseliges, aber unverbesserliches Mißverhältnis in meiner Seele; und es wird und muß so bleiben, denn ich bin ein Weib und habe Begierden wie ein Mann, ohne Männerkraft. Darum bin ich so wechselnd, so uneins mit mir. Das schreibt eine junge Frau, die gerade einunzwanzig geworden ist. Wir sind im Jahre 1801, Ossian wird noch immer gelesen.

Ein Vierteljahrhundert zuvor ließ Goethe seinen jungen Werther sagen: Ossian hat in meinem Herzen den Homer verdrängt. Welch eine Welt, in die der Herrliche mich führt. Zu wandern über die Haide, umsaußt vom Sturmwinde, der in dampfenden Nebeln, die Geister der Väter im dämmernden Lichte des Mondes hinführt. Zu hören vom Gebürge her, im Gebrülle des Waldstroms, halb verwehtes Aechzen der Geister aus ihren Hölen und die Wehklagen des zu Tode gejammerten Mädgens, um die vier moosbedekten, grasbewachsnen Steine des edelgefallnen ihres Geliebten. Wenn ich ihn denn finde, den wandelnden grauen Barden, der auf der weiten Haide die Fustapfen seiner Väter sucht und ach! ihre Grabsteine findet. Obgleich das Ganze nichts als eine Literaturfälschung ist (was Dr Johnson völlig klar war), kommen die Geschichten des blinden Sängers bei empfindsamen Seelen immer noch an.

Auf der Schiffsreise nach Ägypten lässt sich Napoleon aus dem Ossian vorlesen, der Barde ist sein Lieblingsdichter geworden. Und die junge Frau, die so gerne ein Mann sein möchte, um sich in wildes Schlachtengetümmel zu werfen, schreibt in ihrem Gedicht Buonaparte in Egypten:

Alle Bande der Knechtschaft löset die Freiheit,
Der Begeisterung Funke erwekt die Söhne Egyptens. -
Wer bewirkt die Erscheinung? Wer ruft der Vorwelt
Tage zurük? Wer reiset Hüll und Ketten vom Bilde
Jener Isis, die der Vergangenheit Räthsel
Dasteht, ein Denkmal vergessener Weisheit der Urwelt?
Bonaparte ist's, Italiens Erobrer,
Frankreichs Liebling, die Säule der würdigeren Freiheit
Rufet er der Vorzeit Begeisterung zurüke
Zeiget dem erschlaften Jahrhunderte römische Kraft. -
Möge dem Helden das Werk gelingen Völker
Zu beglükken, möge der schöne Morgen der Freiheit
Sich entwinden der Dämmerung finsterem Schoose.
Möge der späte Enkel sich freuen der labenden
Der gereiften Frucht, die mit Todesgefahren
In dem schreklichen Kampf mit finsterem Wahn, der Menge
Irrthum, der großen Härte, des Volks Verblendung
Blutige Thränen vergiesend die leidende Menschheit
Zitternd in dieses Jahrhunderts Laufe gepflanzt.


Das ist jetzt weit, weit weg von der Wirklichkeit. Das ägyptische Abenteuer wird zu einer militärischen Katastrophe. Erst vernichtet Nelson ihm seine Flotte bei Abukir, dann hält ihn der Kommodore Sir Sidney Smith auf dem Weg nach Syrien auf. Das hat ihm Napoleon nie verziehen: cet homme m'a fait manquer ma fortune, hat er immer wieder gesagt. Als unsere junge Dichterin über Frankreichs Liebling, die Säule der würdigeren Freiheit schreibt, ist der schon längst wieder nach Paris geflohen.

Aber die französische Übersetzung des Ossian aus dem Jahre 1777 wird ihn von Ägypten bis St Helena begleiten, vor manchen Schlachten liest er seinen Generälen etwas daraus vor. Und er lässt sich von Anne-Louis Girodet-Trioson dieses Bild für sein Schloss Malmaison malen. Apothéose des héros français morts pour la patrie pendant la guerre de la liberté heißt es. Die Generäle, die da von dem blinden Barden in Walhalla begrüßt werden, sind alle schon tot. Kléber ist auch dabei, den Napoleon in Ägypten zurückgelassen hat. Bei unserer jungen Dichterin, die Buonaparte in Egypten geschrieben hatte, ist die Begeisterung für Ossian ungebrochen, und sie wird die Totenklage der Darthula übersetzen. Das hatte Herder schon ein Vierteljahrhundert früher getan, aber offenbar muss Ossian immer wieder übersetzt werden.

Die junge Dichterin stellt die Totenklage auf die gälische Schönheit gleich an den Anfang ihres ersten Gedichtbandes, das ist sicherlich programmatisch. Ihre Nachdichtung ist auch wirklich sehr schön, ich zitiere einmal (nach Macphersons Ossian) das Ende:

When wilt thou rise in thy beauty, first of Erin's maids? 
Thy sleep is long in the tomb. The morning distant far. 
The sun shall not come to thy bed and saay, 
Awake, Dar-thula! awake, thou first of women! 
the wind of spring is abroad. 
The flowers shake their heads on the green hills. 
The woods wave their growing leaves.
Retire, O sun! the daughter of Colla is asleep. 
She will not come forth in her beauty. 
She will not move in the steps of her loveliness!

O! wann grüßest du den Morgen wieder?
Schöngelockte! wirst du lange ruhn?
Weit entfernet ist dein Morgen, nimmer!
Stehst du mehr in deiner Schönheit auf;
Ach! die Sonne tritt nicht an dein Bette,
Spricht, erwach aus deiner Ruhestätte!
Collas schöne Tochter! steig herauf!
Junges Grün entkeimet schon dem Hügel,
Frühlingslüfte fliegen drüber her.
Sonne birg in Wolken deinen Schimmer!
Denn sie schläft, der Frauen Erste! nimmer
Kehret sie in ihrer Schönheit mehr.


Das kann sich durchaus mit Herders Übersetzung messen,  Johannes Brahms hätte auch ihren Text nehmen können, aber ich glaube, dass die junge Dichterin damals schon vergessen war. Sie hat bis jetzt in diesem Text keinen Namen gehabt, aber sie haben vielleicht schon gemerkt, dass hier die Rede von Karoline von Günderrode ist, die heute vor 240 Jahren geboren wurde. Verarmter Adel, von der Mutter, die ihre Tochter nicht liebte, als Stiftsdame in einem evangelischen Wohltätigkeitsstift in Frankfurt untergebracht. Die Siebzehnjährige brachte man in das Cronstettensche evangelische Damenstift in Frankfurt, das sonst nur Frauen über dreißig und ehrbarer Herkunft aufnahm. Wie es da wohl zuginge? Karoline wurde Leserin und schützte sich mit Goethe, Jean Paul und Hölderlin, schreibt Wolfgang Koeppen. Er hätte noch Novalis hinzufügen können, den die Günderrode bedichtet.

Gebildet und belesen, so dass es den Männern Angst macht. Wäre sie reich gewesen, hätte sie vielleicht eine Rahel Varnhagen oder eine Julie Récamier werden können, doch zur Salonière taugte sie wohl nicht: sie war schüchtern-freundlich und viel zu willenlos, als daß sie in der Gesellschaft sich bemerkbar gemacht hätte, hat ihre Freundin Bettine von Arnim geschrieben. Für  Bettine war das Günderrödchen, wie ihr Freundeskreis sie nannte, eine schöne Frau: Sie war so sanft und weich in allen Zügen wie eine Blondine. Sie hatte braunes Haar, aber blaue Augen, die waren gedeckt mit langen Augenwimpern; wenn sie lachte, so war es nicht laut, es war vielmehr ein sanftes gedämpftes Girren, in dem sich Lust und Heiterkeit sehr vernehmlich aussprachen. Sie ging nicht, sie wandelte. Ihr lyrisches Werk scheint schmal. 1804 erscheint der erste Gedichtband unter dem Pseudonym Tian, 1806 der zweite Band. Den dritten Band Melete wird der Mann, in den sie sich verliebt hatte, vernichten. Aber man wird den Inhalt rekonstruieren, hundert Jahre nach ihrem Tod erscheint Melete vollständig. Und zu ihrem zweihundertsten Todestag wird der Verlag Stroemfeld/Roter Stern, der durch seine Hölderlin Ausgabe berühmt wurde, eine historisch-kritische Ausgabe herausbringen. Immerhin beläuft sie sich auf anderthalbtausend Seiten, da gibt es noch viel zu entdecken.

Den Verlust deiner Liebe könnte ich nicht ertragen. Versprich mir, mich nimmer zu verlassen. O du Leben meines Lebens, verlasse meine Seele nicht, schreibt sie an den Mann, den sie liebt. Aber dieser Mann, der ihren letzten Gedichtband vernichtet, wird durch einen Abschiedsbrief ihr Leben vernichten. Ich bin eigentlich lebensmüde, ich fühle daß meine Zeit aus ist, und daß ich nur fortlebe durch einen Irrthum der Natur; dies Gefühl ist zuweilen lebhafter in mir, zuweilen blässer. Das ist mein Lebenslauf, schreibt sie an eine Freundin. Wenig später begeht sie Selbstmord. Goethe schreibt in einem Brief: Doch muß ich noch eines traurigen Falles gedenken, wie nehmlich die idealen Ansichten, wahrscheinlich in Gesellschaft irdischer Leidenschaften, ein gar hübsches Gefäß zerstört haben. Ohne es vielleicht zu wollen, hat Goethe hier ihr Leben beschrieben, das aus eben diesen idealen Ansichten und und den irdischen Leidenschaften besteht. Eins in Zwei zu sein, Eins im andern sich zu finden, Daß der Zweiheit Grenzen schwinden Und des Daseins Pein, der romantische Traum der Einheit in der Liebe. Der für sie nie wahr werden wird:

Wer die tiefste aller Wunden
Hat in Geist und Sinn empfunden
Bittrer Trennung Schmerz;
Wer geliebt was er verloren,
Lassen muß was er erkoren,
Das geliebte Herz,

Der versteht in Lust die Tränen
Und der Liebe ewig Sehnen
Eins in Zwei zu sein,
Eins im andern sich zu finden,
Daß der Zweiheit Grenzen schwinden
Und des Daseins Pein.

Wer so ganz in Herz und Sinnen
Konnt' ein Wesen liebgewinnen
O! den tröstet's nicht
Daß für Freuden, die verloren,
Neue werden neu geboren:
Jene sind's doch nicht.

Das geliebte, süße Leben,
Dieses Nehmen und dies Geben,
Wort und Sinn und Blick,
Dieses Suchen und dies Finden,
Dieses Denken und Empfinden
Gibt kein Gott zurück.

Karoline von Günderrode, das Waisenkind der Romantik, wird nicht vergessen werden. Achim von Arnim wird ihr Novellen widmen, Bettine von Arnim schreibt sie in den Briefroman Die Günderode. hinein. In dem Roman Kein Ort. Nirgends von Christa Wolf begegnet Karoline Heinrich von Kleist, dessen Satz Die Wahrheit ist, daß mir auf Erden nicht zu helfen war auch über ihrem Leben stehen könnte. In diesem Haus in Oberwesel hat sie nie gewohnt, aber es heißt das Günderrode Haus. Es ist für einen Film gebaut worden: im letzten Teil von Edgar Reitz Heimat III finden sich nach der Wiedervereinigung Deutschlands alle Figuren des Films hier ein, um die baufällige romantische Ruine wieder instandzusetzen. Und Clarissa Lichtblau singt Aus der Heimat hinter den Blitzen rot, sie und Hermann haben jetzt eine neue Heimat. Auch wenn das alles fake ist, ist es doch irgendwie schön. Man wollte das Haus nach den Dreharbeiten abreißen, aber dann hat man es doch stehenlassen, heute ist es ein Gasthaus.

Die Günderrode, lieblich wie eine Silberbirke, hatte keine Heimat mehr, seit ihr geliebter Vater viel zu früh starb. Ihre Heimat sind nicht die zwei Kammern im Stift, nicht die Frankfurter Salons einer poetisch engagierten Jeunesse dorée, nicht das Gut Trages bei Hanau, wohin sie Carl von Savigny, den sie liebt, einlädt. Ich erschaffe mir eine andre Welt, schreibt sie an eine Freundin. Ihre Heimat ist die Poesie, und das Dichten von der Liebe. Ihr Gedicht Der Kuß im Traume hat den Untertitel aus einem ungedruckten Romane. Es ist der Roman ihres Lebens:

Es hat ein Kuß mir Leben eingehaucht,
Gestillet meines Busens tiefstes Schmachten,
Komm, Dunkelheit! mich traulich zu umnachten
Daß neue Wonne meine Lippe saugt.

In Träume war solch Leben eingetaucht,
Drum leb' ich, ewig Träume zu betrachten,
Kann aller andern Freuden Glanz verachten,
Weil nur die Nacht so süßen Balsam haucht.

Der Tag ist karg an liebesüßen Wonnen,
Es schmerzt mich seines Lichtes eitles Prangen
Und mich verzehren seiner Sonne Gluthen.
Drum birg dich Aug' dem Glanze irr'dscher Sonnen!
Hüll' dich in Nacht, sie stillet dein Verlangen

Und heilt den Schmerz, wie Lethes kühle Fluthen.

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