Mittwoch, 11. März 2020

Anne Boleyn


Heute vor 180 Jahren (26.12.2010)  ist Donizettis Oper Anna Bolena zum ersten Mal aufgeführt worden. Das war für den Komponisten der Beginn eines neuen Karriereabschnitts, wenige Jahre später sollten Maria Stuarda und Lucia di Lammermoor folgen. Anna Bolena wird auch zusammen mit Maria Stuarda und der weniger bekannten Oper Roberto Devereux zu der so genannten Tudor Trilogie des Komponisten gerechnet. Es ist wieder einmal die Geschichte von Anne Boleyn, der Mutter der späteren Königin Elisabeth. An Fernsehbildern über die Tudors haben wir ja keinen Mangel, die Privatsender überschwemmen uns seit einiger Zeit mit immer neuen Folgen der Visualisierung englischer Geschichte. Ich habe immer gedacht, dass das Wiederholungen sind, so wie Stirb langsam und Jagd auf Roter Oktober immer wieder wiederholt werden. Aber das stimmt nicht, es gibt vier Staffeln mit 38 Episoden von dieser Soap Version der Regierungszeit von Heinrich VIII. Und wenn man die alle gesendet hat, kann man, wie die Maler an der Forth Bridge, wieder von vorn anfangen.

Als Anne Boleyn hingerichtet worden ist, und der König sich am nächsten Tag mit Jane Seymour verlobt hat, soll der englische Dichter und Diplomat Sir Thomas Wyatt folgendes Gedicht geschrieben haben:

Innocentia Veritas Viat Fides
Circumdederunt me inimici mei

Who list his wealth and ease retain,
Himself let him unknown contain.
Press not too fast in at that gate
Where the return stands by disdain,
For sure, circa Regna tonat.

The high mountains are blasted oft
When the low valley is mild and soft.
Fortune with Health stands at debate.
The fall is grievous from aloft.
And sure, circa Regna tonat.

These bloody days have broken my heart.
My lust, my youth did them depart,
And blind desire of estate.
Who hastes to climb seeks to revert.
Of truth, circa Regna tonat.

The bell tower showed me such sight
That in my head sticks day and night.
There did I learn out of a grate,
For all favour, glory, or might,
That yet circa Regna tonat.

By proof, I say, there did I learn:
Wit helpeth not defence too yerne,
Of innocency to plead or prate.
Bear low, therefore, give God the stern,
For sure, circa Regna tonat.

Das Wort list in der ersten Zeile heißt etwas wie to desire, und der Titel ist vielleicht auch erklärungsbedürftig. Das Viat ist natürlich Wyatt, und er ist umgeben von seinen Feinden. Die Unschuld, Wahrheit und Treue heißen, sehr ironisch. Es sind politisch unruhige Zeiten, these bloody days have broken my heart, Wyatt sitzt im Gefängnis. Da hatte er einen Logenplatz, weil er aus seinem Kerkerfenster im Turm die Hinrichtung von Anne Boleyn mit anschauen konnte. Hinter der war Wyatt auch einmal her, hat sich sogar ihretwegen von seiner Frau scheiden lassen (und der Ehebruch vorgeworfen). Aber dann kam ihm der König dazwischen. Irgendwie scheint Anne Boleyn auf Männer die gleiche Wirkung zu haben wie die Lorelei.

Es gibt von Wyatt noch ein Epigramm, das auch mit seiner Liebe zu Anne Boleyn kündet:

What word is that that changeth not,
Though it be turned and made in twain?
It is mine answer, God it wot,
And eke the causer of my pain.
It love rewardeth with disdain:
Yet is it loved. What would ye more?
It is my health eke and my sore.


Die Antwort ist natürlich Anna, kann man umdrehen, wie man will. Kann auch An, An daraus machen. Und das answer in der dritten Zeile ist wahrscheinlich ein pun auf Anne, sir. Aber das schönste Gedicht von Wyatt, das mit Anne Boleyn zu tun hat, ist das Sonett Nummer XI. Sonette sind jetzt eine neue Sache in der englischen Lyrik, Wyatt und der Earl of Surrey sind die ersten Meister in dieser Gedichtform, die von Italien nach England gekommen ist. Sie benutzen auch schon den Blankvers, der fortan eins der wichtigsten Versmaße der englischen Lyrik sein wird. Im Gegensatz zu Henry Howard, dem Earl of Surrey, wird Sir Thomas Wyatt seinen Kopf nicht auf dem Schafott verlieren. Die paar Male, die er im Tower zu Gast ist, lassen wir mal beiseite.

Whoso list to hunt, I know where is an hind,
But, as for me: helas, I may no more.
The vain travail hath wearied me so sore,
I am of them, that farthest cometh behind. 

Yet may I by no means my wearied mind
Draw from the deer; but as she fleeth afore
Fainting I follow. I leave off therefore,
Since in a net I seek to hold the wind. 

Who list her hunt, I put him out of doubt,
As well as I, may spend his time in vain.
And, graven with Diamonds, in letters plain,
There is written, her fair neck round about:

Noli me tangere, for Caesar's I am,
And wild for to hold - though I seem tame.


Der im Irrgarten der Liebe herumtaumelnde Kavalier. Etwas resignierend auf der Jagd nach dem weiblichen Wild, kann er auch diesen kleinen Scherz mit deer und dear nicht lassen. Obgleich er die, die so zahm aussieht, aber wild to hold ist, nicht erreichen kann: Noli me tangere, for Caesar's I am. Die Diamanten sind natürlich ein Symbol für die Keuschheit, Symbolik muss in dieser Zeit einfach sein. Ich würde ja gerne das diamantene Hundehalsband, auf dem der Name des Besitzers steht, etwas umdeuten. Als eine tätowierte Linie, neben der die Anweisung für den Henker steht: Cut here!

Aber so verlockend der Gedanke ist, wahrscheinlich hat das Gedicht gar nichts mit Anne Boleyn zu tun. Dass Wyatt Heinrich den VIII mit diesem Gedicht vor der Freizügigkeit Annes warnen will, weil sie wild to hold ist, ist ein netter Interpretationsversuch. Aber Heinrich vor Frauen warnen? Eher unwahrscheinlich. Viel näher liegt es, einmal in die Sonette des Italieners Petrarca hineinzuschauen. Denn den beklauen Surrey und Wyatt ständig, und ihre Nachfolger werden damit nicht aufhören.

Una candida cerva sopra l’erba 
verde m’apparve con duo corna d’oro, 
fra due riviere all’ombra d’un alloro, 
levando ’l sole a la stagione acerba.

Era sua vista si dolce superba 
ch’ i’ lasciai per seguirla ogni lavoro, 
come l’avaro che ’n cercar tesoro 
con diletto l’affanno disacerba.

“Nessun mi tocchi,” al bel collo d’intorno 
scritto avea di diamanti et di topazi. 
“Libera farmi al mio Cesare parve.”

Et era ’l sol già vòlto al mezzo giorno, 
Gli occhi miei stanchi di mirar, non sazi, 
Quand‘ io caddi ne l’acqua et ella sparve

Sicher fehlt hier die schöne Einsicht, dass Frauen zu jagen genau so vergeblich ist, wie den Wind mit einem Netz einfangen zu wollen. Immerhin fällt der Liebende nicht ins kalte Wasser wie bei Petrarca. Aber das Halsband mit Diamanten (und zusätzlich Topazen) ist da. Und die Aufforderung don't touch auch. Nur gucken, nicht anfassen. Dichter von Liebeslyrik haben es nicht leicht.

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