Samstag, 2. Dezember 2023

Glasfenster

Was wäre aus dieser Malerin geworden, wenn die Nazis nicht gekommen wären? Elisabeth Steinecke hatte ihren ersten Malunterricht nach dem Abitur bei Gustav Adolf Schreiber gehabt, der ein Schüler von Gotthardt Kuehl gewesen war. 1935 gab sie ihr Malstudium in Berlin ohne Abschluss auf und kehrte in ihre Heimatstadt Bremen zurück. Die Nazis hatten ihren Lehrer Curt Lahs von der Berliner Hochschule für Kunsterziehung verjagt. Dass Hitler eine Gefahr war, das wusste die junge Frau schon länger. Als Schülerin am Kippenberg Lyceum hatte sie ihre Lehrerin gefragt, ob sie es für möglich halte, dass Gott Hitler gewollt hätte. Ihre Lehrerin hatte ihr geantwortet: Hitler kann auch das absolut Böse sein. Die Lehrerin hieß Magdalene Thimme, sie war wahrscheinlich Bremens bedeutendste Pazifistin. Elisabeth Steinecke blieb ihrer Lehrerin ihr Leben lang verbunden und stand ihr auch im Alter bei.

Elisabeth Steinecke wird heiraten und Kinder haben, die künstlerische Betätigung bleibt jetzt liegen. Da geht es ihr nicht viel anders als der Impressionistin Mathilde Vollmoeller nach ihrer Heirat. Aber nach dem Weltkrieg, aus dem ihr Mann nicht zurückkehrt, da hat sie eine zweite künstlerische Karriere. Und dafür brauchen wir mal eben den Heiligen Martin. Hier gemalt von El Greco. In hunderten von Darstellungen sehen Bettler und Ritter immer anders aus, die Farbe des zerteilten Mantels variiert. Die Teilung des Mantels geschieht in der Stadt Amiens, das hat mir 1959 in der Kathedrale ein Geistlicher erzählt. Und Notre Dame d'Amiens, wo Martin getauft wurde, hat hier schon einen Post. Ich brauche den Heiligen Martin wegen der Bremer St Martini Kirche. Diese Kirche an der Weser ist es natürlich wert, dass man hineinschaut, allein wegen der Orgel von Bockelmann. Sie ist vielleicht die schönste Bremer Kirche, wenn Sie diesen Post anklicken, kommen sie zu einem ganz, ganz langen kulturhistorischen Post über Kirchen. Es ist um die Martini Kirche immer still, sie liegt abseits vom Touristenstrom. Die Touris schaffen es doch bestenfalls noch bis zum Ende der Böttcherstraße. Hier ist Joachim Neander Pastor gewesen, der Neander, der Lobet den Herren geschrieben hat. Der Neander, nach dem man in Düsseldorf, wo er vorher war, ein kleines Tal benannt hat. Wo man eines Tages den Neandertaler findet. Das wusste früher in Bremen jedes Kind. Heute vielleicht nicht mehr, es steht schlecht um die Bildung in Bremen. 

Von der Martinikirche war nach dem 137. Luftangriff vom 6. Oktober 1944 nicht viel übriggeblieben. Es ist nicht das letzte Bombardement Bremens, noch 35 Luftangriffe werden bis zum Mai 1945 folgen. Aber man hat die Kirche wieder aufgebaut. Die Orgel war nicht mehr zu retten, doch der kostbare Orgelprospekt ist erhalten, da man ihn vorher ausgelagert hatte. Man baut 1948 zuerst das Pastorenhaus neben der Kirche, das sogenannte Neanderhaus, wieder auf. Ab 1951 beginnt man unter dem Architekten Walter Siber mit dem Neubau der Kirche, die Arbeiten werden bis 1960 dauern. Man brauchte natürlich neue Glasfenster, Fenster gehen bei einem Bombenangriff als erstes zu Bruch.

Und das ist die Stunde von Elisabeth Steinecke, die 1955 mit der Glasmalerei begonnen hatte. Sie wird das sogenannte Hohe Fenster (Neanderfenster) in der Südwand (Bild), das Martinsfenster im Nordschiff und die acht Fenster im Chor schaffen. Handbemaltes Glas, im modernen Stil. 1959 hatte sie den Auftrag erhalten, da hatte sie schon für mehrere Kirchen die Glasfenster gestaltet. Die Prunkstücke sind natürlich das Neanderfenster und das Martinsfenster. Aber auch die kleinen Fenster haben ihren Reiz: Die Fenster im Chor erhielten eine kleinfigürliche Buntverglasung von herrlich satten Farben - nach Entwürfen von Elisabeth Steineke. Wenn die Morgensonne hindurchscheint, sieht es aus, als ob funkelnde Wandteppiche den Chorraum umgeben. Auf der Homepage der St. Martini Gemeinde wird zwar das Neanderfenster abgebildet, aber Elisabeth Steinecke wird mit keinem Wort erwähnt. Irgendwie ist das ein bisschen armselig.

Doch das wundert vielleicht nicht, denn die Gemeinde ist heute etwas seltsam. Dass hier 1904 zum erstenmal in Deutschland eine Frau auf der Kanzel stand, das würde sich heute unter Pastor Olaf Latzel nicht wiederholen. Der ist ein wenig rechtsradikal und stand schon wegen Volksverhetzung vor Gericht. Das ist jetzt weit weg von Emil Felden, der gegen den Antisemitismus kämpfte und von den Nazis entlassen wurde. Die bremische Landeskirche lässt den einzelnen Gemeinden alle Freiheiten, und das führt manchmal zu seltsamen Dingen. Ich zitiere mal eben aus dem Post Bremer KlauselDas mit den theologischen Spinnern in Bremen hat übrigens mit der Reformation nicht aufgehört. Der Bischof von Hitlers Gnaden Heinz Weidemann, der damals den Dom so hübsch mit Naziemblemen dekorieren ließ und eine Bremer Kirche in Horst Wessel Kirche umtaufen wollte, war zweifellos ein Fall für die Psychiatrie. Und auch der Pastor Georg Huntemann, der sich nach dem Gottesdienst an der Kirchentür den Ring an der Hand küssen ließ, war nicht so ganz schussecht. Und der ehemalige Domprediger Günter Abramzik, der in der kleinen Bremer Revolution so vernünftig war, hat nach dem Aufkommen der Beweise für seine sexuellen Verfehlungen auch jede Autorität verloren.

Vor Jahren sind zweihundert Pastoren und Kirchenbeschäftigte auf die Straße gegangen, um gegen ihren Kollegen Olaf Latzel zu protestieren: Wir distanzieren uns entschieden von Fundamentalismus jedweder Art – und von allen Versuchen, Fremdenfeindlichkeit, Islamophobie, Antisemitismus oder rassistisches Gedankengut mit vorgeblich biblischem Glauben zu bemänteln.

Irgendwie passt das alles nicht zusammen, die mit viel persönlichem Engagement und großen privaten Spenden wieder aufgebaute Martinikirche, die kunstvollen Glasfenster, die die Bibel nacherzählen, und dann dieser Pastor. Irgendwann wird dieser Olaf Latzel, der einen Kanal bei YouTube hat, nicht mehr da sein, aber die Glasfenster von Elisabeth Steinecke, die werden bleiben und leuchten wie funkelnde Wandteppiche. Ich wünsche all meinen Lesern einen schönen ersten Advent.

Sonntag, 5. November 2023

Marie Fajtová

Es war schon Nacht. Ich wollte den Fernseher ausmachen, zappte einmal durch alle Programme und landete bei einem Requiem von Franz von Suppè. Ich wusste nicht, dass der König der Operette auch so etwas geschrieben hat; ich wusste nicht, dass er schon mit sechzehn Jahren eine Messe geschrieben hatte. Aber Johannes Brahms hat das gewusst, dass Franz von Suppè solch ein romantisches Requiem schreiben konnte. Nach Suppès Tod hat er gesagt: Seine unglaubliche Gewandtheit in weltlichen Dingen verdankt er eigentlich seinen geistlichen Kompositionen. Er hat etwas gelernt! 

Ich schaltete den Fernseher nicht aus, auch wenn Mitternacht schon vorüber war. Weil ich wissen wollte, wer diese schöne rothaarige Sängerin war. Das fand ich am nächsten Tag heraus. Und ich schrieb die Marie Fajtová in den Post Exsultate, jubilate hinein. Wenn Sie das ganze Requiem in der Aufnahme von 2012 sehen und hören wollen, dann können sie das hier tun. Die Nürnberger Nachrichten haben es eine Aufführung mit Kultstatus genannt. Es gibt die Aufnahme auch als CD von Profil: Edition Günther Hänssler.

Dieses Bild gehört zu einem Video, das Benefice na obnovu Grabštejna 20.8.2011 Figarova svatba betitelt ist. Google Translate sagt mir, dass wir hier bei einer Benefizveranstaltung für die Restaurierung von Grabštejn mit einer Aufführung von Die Hochzeit des Figaro sind. Die Übersetzungsmaschine von Google ist richtig gut geworden, vor zehn Jahren konnte man die für nix gebrauchen, jetzt kann man mit ihr arbeiten. Wenn sie Marie Fajtová nicht nur sehen wollen, sondern auch singen hören wollen, dann klicken Sie das kleine Video an. Sie singt hier die Aria der Susanna Deh vieni non tardar, o gioia bella. Ist ein bisschen verstümmelt, das Rezitativ ist weggefallen. Was wir sehen, sind Amateuraufnahmen.


Wir sind im Hof des Schlosses Grabštejn (das auf deutsch Grafenstein heißt) im Norden Böhmens. Weit und breit kein Meer, obgleich Shakespeare im Wintermärchen behauptet: Bohemia. A desert country near the sea. Das uralte Schloss war dem Untergang geweiht, aber 1990 hatte man beschlossen, es zu erhalten und wiederherzustellen. Seit 1993 finden hier die Benefizkonzerte statt, und da reisen dann die Sänger von der Prager Staatsoper an. Und singen Mozart unter einfachsten Bedingungen. Unter dem Segeltuchdach, das Sie da oben im Innenhof sehen, ist die Bühne, mehr gibt es nicht.

Es ist hier kein Platz für ein Orchester, man hat gerade mal einen Pianisten (David Švec), der Mozarts Hochzeit des Figaro auf dem Flügel intoniert. Die bunten Pappkästen, die ständig umgestellt werden, sind die einzige Dekoration. Hier sehen wir den Grafen Almaviva, der gerade mal wieder versucht, Susanna zu verführen. Das habe ich natürlich auch als Video. Es ist eine Aufführung unter schwierigen Bedingungen, ständig laufen Leute durchs Bild. Die Zuschauer sitzen schon beinahe auf der Bühne. Und dennoch, es ist Mozart, die Sänger, wie zum Beispiel František Zahradníček (Figaro) oder Roman Janál (Graf Almaviva), haben Klasse. Das reißt alles heraus. Es gibt viele Arten, Mozarts Opern zu vermitteln. Es gibt Glamourspektakel wie Currentzis Don Giovanni, es gibt das wunderbare Music Theatre London mit seinem Figaro. Es gab hunderte von Ausschweifungen aus der Welt des Regietheaters (lesen Sie doch noch einmal Flimm ist schlimm). Und es gibt das hygellige Benefizkonzert im Schlosshof der Burg Grafenstein. Sangeskunst und Spielfreude machen das zu einem Erlebnis.

Man muss bei Google ein bisschen suchen, aber dann kriegt man doch einiges über die Oper zusammen. Figaros Se vuol ballare habe ich hier, auch sein Non più andrai, farfallone amoroso und Cherubinos Voi che sapete.  Marie Fajtová hat im Figaro nicht nur die Susanna gesungen, in anderen Aufführungen war sie die Gräfin Almaviva. Hier singt sie das Porgi amor in der Badewanne, davon hätten wir gerne mehr gesehen. Größer und schärfer, aber ich habe leider nur diesen kleinen Ausschnitt. 

Sie hat das Dove sono der Contessa in einer Aufführung in Japan gesungen. Da wirkt alles marionettenhaft gestelzt, ich glaube, der Regisseur wollte sich an die Traditionen des japanischen Kabuki Theaters anlehnen. Marie Fajtová braucht all die Kostüme nicht, sie sieht übrigens auch in Jeans gut aus, wie sie hier beweist. Unter dem Video aus dem Yokosuka Theatre findet sich der Eintrag: I love your voice! I wish you would upload more videos, you're brilliant. Das kann man nur unterschreiben. Kommentatoren von YouTube Veidios haben ja häufig so recht. Unter diesem Live-Mitschnitt findet sich der Satz: Wonderful performance but such a beautiful voice deserves to be professionally recorded.

Marie Fajtová hatte am Prager Konservatorium Klavier studiert, sich dann aber umentschieden, um Opernsängerin zu werden. Sie hat eine Homepage, die ein wenig informativer sein könnte. Und es gibt von ihr eine CD, die Pensive Songs heißt. Mit Liedern von Klement Slavický, Antonin Dvořák, Bohuslav Martinů und Richard Strauss. Von der CD habe ich hier ein Lied. Und hier noch eins. Es ist schade, dass es nicht mehr von der Sängerin auf CDs gibt. 

Sie ist allerdings noch auf einer CD von Jan Dismas Zelenkas Il Diamante zu hören. Eine Aufnahme, die sehr gelobt wurde. Marie Fajtová ist immer gelobt worden. Kritiker haben sie die beste Violetta der Tschechei genannt, dazu sollten Sie ihr Sempre libera mal eben hier hören. Es wäre schöner, wenn es dabei nicht nur ein Klavier, sondern ein ganzes Orchester zu ihrer Stimme gäbe. Nur mit einem Klavier wirkt La Traviata nicht. Es sei denn, es wird von einem Flashmob in einem holländischen Kaufhaus gesungen.

Dieses Bild kommt jetzt nicht aus der SM Szene oder aus meinem Post Fantasy. Nein, das ist Marie Fajtová als Quacozinga in Josef Mysliveček Oper Motezuma. Der Komponist, den Mozart sehr schätzte, ist ja ein klein wenig in Vergessenheit geraten. Aber ich habe hier etwas für Sie, nicht nur diesen ✺Schnipsel, sondern ✺Motezuma ganz, die erste vollständige Aufnahme der Oper, die es je gegeben hat. Das war jetzt eine kleine tour de force durch das Internet, die in der Nacht angefangen hatte, als ich Franz von Suppès Requiem hörte. Und alles über diese rothaarige Schönheit wissen wollte. Jetzt weiß ich einiges. In Prag ist sie schon berühmt, wenn jetzt noch ein paar tausend Leser das hier lesen, dann wird sie vielleicht noch berühmter. Vielleicht bekommt sie dann auch einen Wikipedia Artikel. Ich habe ja dank WMS Nemo schon einen.

 

Mittwoch, 1. November 2023

Exsultate, jubilate

Also, diese schöne Frau hat nichts mit der Hansestadt Bremen zu tun; schöne Frauen sind zwar in diesem Blog immer gut aufgehoben, aber ich brauche sie gleich wirklich. Nicht nur als eyecatcher. Sie heißt Marie Fajtová und ist Sängerin an der Prager Staatsoper. Ich brauche sie, weil sie so wunderbar Mozarts Exsultate, jubilate singt. Und mit Jubel hat dieser Post etwas zu tun. Als ich im September den Post Literaturstadt Bremen schrieb, da hätte ich es nicht geglaubt, dass die UNESCO sich für die Hansestadt Bremen entscheiden wird. Weil am Anfang des Jahres neben allen untergegangenen Buchhandlungen auch noch die Buchhandlung von Franz Leuwer am Wall, die eine erstaunliche Geschichte hatte, nach hunderzwanzig Jahren schliessen musste. Und wegen der ganzen kulturellen Misere, die Michael Augustin in seinem Gedicht beschrieb.

Und doch ist das Unglaubliche geschehen, gestern hat die UNESCO die Hansestadt Bremen zur Stadt der Literatur auserwählt. Damit gehört Bremen jetzt dem Netzwerk Creative Cities an. Und das ist doch ein Grund zum Jubeln. Wir waren ja schon dankbar, dass Werder Bremen am Wochenende mal wieder gewonnen hatte. Und nun noch dies. Da lassen wir doch die schöne Frau aus Prag Exsultate, jubilate singen.  Wenn Sie noch mehr Mozart von Marie Fajtová hören wollen, dann klicken Sie dies an.

 

Samstag, 28. Oktober 2023

la reine Catherine

Einige Leser haben mich gefragt, warum hier am 22. Oktober nichts zum achtzigsten Geburtstag von Catherine Deneuve stand. Kein Joyeux anniversaire! oder so etwas. Wenn ich ehrlich sein soll: ich hatte das vergessen. Habe dann aber durch die Filme Madame empfiiehlt sich (Originaltitel: Elle s'en va) und Leben im Schloss (La Vie de Chateau) gemerkt, dass da viel Deneuve bei arte war. Ich fand das sehr schön, dass arte La Vie de Chateau zeigte, weil ich den Film liebe. Und auswendig kenne. Und das französische Drehbuch besitze. Ich war genau zwei Jahre im Netz, da gab es hier schon den Post La Vie de Chateau. 

Ich fand es auch sehr schön, dass arte mit dem Road Movie Madame empfiiehlt sich eine ganz andere Catherine Deneuve zeigte. In dem Film war sie siebzig, konnte aber noch für sechzig durchgehen. Sie ist ein wenig pulpeuse geworden, aber das steht ihr. In La Vie de Chateau war sie dreiundzwanzig. War ich damals auch. Damals hatte sie beschlossen, für den Rest des Lebens blond sein zu wollen. In Wirklichkeit war sie brünett. Ich habe Jean-Paul Rappeneaus La Vie de Chateau zweimal im Kino gesehen (und habe ihn heute auf DVD), nicht wegen der jungen blonden Frau, sondern wegen der aberwitzigen Inszenierung und Choreographie der Bewegung. Damals gab es noch Filme, die zu recht in Filmkunsttheatern gezeigt wurden. Weil die Filmkunst waren. Heute ist alles Netflix.

Ich habe das mit dem achtzigsten Geburtstag vergessen, weil Catherine Deneuve nicht meine Lieblingsschauspielerin ist.Vor zehn Jahren gab es hier in dem Post Catherine Deneuve Glückwünsche zum Geburtstag. Der Post endete mit den Sätzen: Das Geburtstagskind wird in diesem Blog bisher nicht genügend gewürdigt. Irgendwann mache ich das mal wieder gut. Bis dahin könnten Sie hier natürlich Waltz into Darkness lesen. Und natürlich Joyeux anniversaire! Die forderten einen Leser berechtigterweise zu einem Kommentar auf: Wir hatten das doch schon: IRGENDWANN & DEMNÄCHST... ;) Was ich mit: Irgendwann kommentierte. Ich mache zu viele Versprechungen. Es ist immer dasselbe.

Sie ist so schön, dass ein Film, in dem sie spielt, auch ohne Geschichte auskommt, hat François Truffaut gesagt. Und deshalb reißt die Deneuve in dem Truffaut Film Waltz into Darkness, den Jeanne Moreau finanziert hatte, alles 'raus, die Schwächen und Unglaubwürdigkeiten der Handlung. Der Film hatte vor zwölf Jahren hier schon den ganz langen Post Waltz into Darkness. In dem viel über Catherine Deneuve steht. Und auch viel über französische Mode. Mit der war sie ja immer verbunden; sie war Werbeträgerin für Chanel, produzierte ein Werbevideo für Chanel 5 nach dem anderen. Sie trug die Mode von Yves Saint Laurent (mit dem sie befreundet war) und warb für L'Oréal. 1986 brachte sie ihr eigenes Parfüm auf den Markt. In den letzten Jahren war sie auf allen Modeschauen der Pariser Firma zu sehen.

Am Ende des Posts über die Verfilmung des Romans von Cornell Woolrich steht: Als Truffaut an seinen Cornell Woolrich Verfilmungen arbeitet, hat er seine Hitchcock Phase. Denn gleichzeitig mit den Filmen entsteht sein großartiges Interview-Buch 'Le cinéma selon Hitchcock' (Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?). Dort sagt er einmal: it might be said that the texture of your films is made up of three elements: fear, sex and death, und das beschreibt eigentlich auch sehr schön die Textur seiner eigenen Filme in dieser Zeit. Truffauts Hitchcock Verehrung geht so weit, dass er für diesen Film unbedingt diese kühle Blonde braucht, ohne die ein Hitchcock Film nicht funktioniert. 

Diese 'icy sexuality', dieses 'paradox between the inner fire and the cool surface'. Und wer könnte das besser spielen als Catherine Deneuve, die so kalt ist wie der Schnee in der letzten Szene des Filmes? Mit oder ohne weiße Unterwäsche. Der Tod beschäftigte Truffaut immer, zwei Jahre nach den Dreharbeiten schreibt er in einem Brief: Il y a beaucoup, beaucoup trop de morts autour de moi, que j'ai aimés, et j'ai pris la décision, après la disparition de Françoise Dorléac, de ne plus assister à aucun enterrement, ce qui, vous le pensez bien, n' empêche pas la tristesse d'être là, de tout obscurcir pendant un temps et de ne jamais estomper complètement, même avec les années, car on ne vit pas seulement avec les vivants, mais aussi avec tous ceux qui ont compté dans notre vie. Die Françoise Dorleac, die er hier erwähnt, ist Deneuves Schwester gewesen, die so schrecklich ums Leben kam. 

Die hatte es noch erlebt, dass Catherine mit dem Film ✺Belle de Jour weltberühmt wurde. Das ist der Film, in dem die kühle Arztgattin, die eine Kopie von Hitchcocks Tippi Hedren ist, in einem Bordell arbeitet. Nackt in einem Sarg liegt und von Michel Piccoli mit schmutzigem schwarzen Schlamm beworfen wird. Ich fand das immer die beste Szene des Films. Ich mochte den Film nie. Truffaut drehte bessere Filme, die Deneuve in Waltz into Darkness ist lebendiger als die Denueve in ✺Belle de Jour. Truffaut, der mit der Deneuve (wie mit beinahe all seinen Hauptdarstellerinnen) bei den Dreharbeiten eine Affäre hatte, hat einmal angedeutet, dass die Deneuve nur durch ihre Schönheit wirkt, nicht durch ihre schauspielerischen Qualitäten. Aber mit dem ✺Schlamm im Gesicht war sie sehr überzeugend. 

Zehn Jahre nach ihrer Affäre sind sie bei den Dreharbeiten von Die letzte Metro (✺Le Dernier Métro) wieder zusammen, es wird Deneuves berühmtester Film werden. Ein Kassenschlager in Frankreich, zehn von dreizehn möglichen Césars, eine Oscar Nominierung. Für Truffaut war der Film der zweite Teil einer Trilogie über Film, Theater und Musik. Der erste Teil war Die amerikanische Nacht (La Nuit américaine) mit Jacqueline Bisset gewesen. Zu dem dritten Teil L’Agence Magic über eine Pariser Musikertruppe, die es nach Afrika verschlagen hatte, ist Truffaut nicht mehr gekommen. Seinen Drehbuchautoren hatte er geschrieben Je compte sur vous deux pour m’aider à faire un beau film: petits personnages, grands sentiments et surtout des caractères qui vont jusqu’au bout d’eux-mêmes.

Catherine Deneuve hatte sich in jungen Jahren für den Playboy ausgezogen, Thomas Gottschalk hält hier in einer Wetten dass Sendung das Heft in der Hand. Sie hat mit der Sexualität gespielt, in dem Film Begierde ist sie eine lesbische Vampirin. Susan Sarandon hat 1995 in einem Interview zu dem Film gesagt: Man muss nicht betrunken sein, um mit Catherine Deneuve schlafen zu wollen – egal, welche sexuelle Orientierung man vorher hatte. 

Von allen Posts, in denen die Deneuve in diesem Blog erwähnt wird (und das sind viele) hat The Vampyre die meisten Leser gefunden. Lesbische Vampire, wahnsinnige Mörderinnen (in Polanskis Ekel) und Freizeitnutten, so etwas kommt immer an. Sie ist im Alter viel besser, wenn sie Odette Swann in der Verfilmung von Prousts ✺Le Temps retrouvé spielt. Oder wenn sie Freuds Prinzessin ist.

Sie hat in mehr als hundert Filmen gespielt, es waren nicht alles gute Filme. An viele wird man sich nicht erinnern. Manchmal genügte es, dass sie da war. Wie in Un Flic von Jean-Pierre Melville, der über seinen Film sagte: Dans 'Un flic', il y a une femme qui dit en tout et pour tout: 'Ca va?'. Et une heure et demie plus tard décroche un téléphone et dit: 'Oui'. Et c'est Catherine Deneuve qui a accepté de la faire. Elle a compris qu'étant la seule femme du film tout à coup sa présence devient importante.

Ein Leben auf der Leinwand, so heißt auch die ✺Dokumentation von arte. Ich habe nicht all ihre Filme gesehen, weil ich die blonde kühle Frau nicht so recht mochte. Ich fand ihre Schwester Françoise Dorleac (die hier in dem Post Jean Desailly vorkommt) witziger. Die sprühte vor Leben, hatte nicht vor, reserviert und cool zu sein. Wie alle Menschen, die zurückhaltend sind, fällt es mir schwer, mich zu öffnen. Auch wenn das im Gegensatz zu meinem Beruf steht. Ich gehe nur selten aus mir raus. Viele glauben deshalb, ich sei kühl. Das kann sein. Ich bin eben zurückhaltend, vor allem bei Menschen, die ich nicht kenne, hat Deneuve gesagt. Es ist auch ein Teil von ihrem Image, von ihrem Mythos, an dem sie hart gearbeitet hat. 

Jean-Paul Rappeneau, der die Drehbücher für Zazie dans le métroPrivatleben (mit Brigitte Bardot) und Abenteuer in Rio (mit Françoise Dorleac) schrieb, war durch den Erfolg von La Vie de Chateau verführt, die Deneuve noch einmal in einer Komödie einzusetzten. Die hieß 1975 Die schönen Wilden (✺Le sauvage), man hatte der Deneuve Yves Montand an die Seite gestellt. Sie durfte in dem Film ein klein wenig nackt sein, aber ein wirklich guter Film war das nicht. Ging bei der Verleihung von Preisen auch leer aus. Truffaut hatte schon recht mit der Vermutung, dass die Deneuve mehr durch ihre Schönheit wirkt, als durch ihre schauspielerischen Qualitäten.

Die Dokumentation Deneuve, la reine Catherine vom letzten Jahr sagte in ihrem Ankündigungstext: On la dit froide, secrète et mystérieuse. Elle a la réputation de ne rien laisser percer de ses pensées intimes, de sa vie privée, de ses joies comme de ses tourments. Elle est parvenue à protéger sa famille, ses amours, ses choix de la curiosité des magazines et de son publicDa ist es wieder froide, secrète et mystérieuse. Irgendwie ist das zu häufig strapaziert worden. Meine herzlichen Glückwünsche kommen etwas spät, aber das Joyeux anniversaire! ist nichtsdestoweniger herzlich. Und wenn ich vor zehn Jahren schrieb: Das Geburtstagskind wird in diesem Blog bisher nicht genügend gewürdigt. Irgendwann mache ich das mal wieder gut, dann habe ich das jetzt hingekriegt.

Mittwoch, 13. September 2023

The Art of Staying Young and Unhurt

Ich wusste nicht, wer Lena Swanberg war, aber der Titel der CD The Art of Staying Young and Unhurt gefiel mir, ich nahm die CD mit. Inzwischen weiß ich, dass dies ihr Debütalbum war. Drei Jahre davor hatte sie das Monica Zetterlund Stipendium bekommen, das bedeutet in Schweden schon etwas. Ich mag skandinavische Sängerinnen. Nina van Pallandt hat hier schon einen Post. Und Viktoria Tolstoy wird in den Posts Cantate und Lush Life erwähnt. Die große schwedische Jazzsängerin Monica Zetterlund hat hier natürlich einen Post, in dem die UrUrEnkelin von Leo Tolstoi auch erwähnt wird. Swanbergs erste Platte erschien 2012, es dauerte beinahe zehn Jahre bis sie eine zweite CD Sing me the news herausbrachte.

Swanberg, die klassische Musik an der königlichen Akademie in Stockholm studierte hatte, war in der Zwischenzeit nicht untätig gewiesen. Sie war Mitglied in Ann-Sofi Söderqvists Big Band ASJO und Söderqvist stellte sie 2016 bei der Jazz Baltica ganz groß heraus. Hier auf dem Photo ist sie 2018 bei der Jazz Baltica in Travemünde zu sehen. Da sang sie in dem Orchester von Hildegunn Øiseth, das war Frauenpower pur. Bei der Jazz Baltica 2019 war sie auch dabei. Lena Swanberg arbeitet auch mit Daniel Bingert zusammen, da singt sie jetzt Bossa Nova. Davon können Sie hier eine Stunde hören. Mit CDs sieht es auf dem Markt dürftig aus, aber man kann die Sängerin bei Amazon Music hören, wenn man das abonniert hat. Oder bei Facebook. Ich habe hier noch eine eine Stunde mit ihr aus dem Jazzklub Fasching in Stockholm. Oder aus dem Konzerthaus Stockholm.

Aber ich habe nach einigem Suchen noch mehr gefunden als Dream On, das auf ihrer ersten CD ist. Zum Beispiel diese Single mit dem wunderschönen Cover, die I nådens år heißt. Da singt sie Schwedisch, nicht Englisch, ich finde, in ihren schwedischen Liedern ist sie besser, authentischer. Ich habe das Lied I nådens år auf dieser Seite gefunden, auf der man mehr als zwanzig Songs von ihr hören kann, manche ganz, von manchen ein Häppchen. Und wenn Sie sehen wollen wie Lena Swanberg Viola spielt, dann klicken Sie das hier an.


Ich habe bei ebay das letzte Exemplar von The Art of Staying Young and Unhurt gekauft und es der Frau geschickt, die heute Geburtstag hat. Die kennen Sie, die taucht immer wieder in meinem Blog auf. Zuletzt in dem Post Literaturstadt Bremen. Sie hatte mit Happy Birthday hier schon mal einen Geburtstagspost; und in Jacqueline Bisset, wird sie erwähnt, weil sie am selben Tag Geburtstag hat wie Jacqueline. Auf die Geburtstagskarte habe ich geschrieben: Nimm den Titel der CD mal als guten Vorsatz: stay young and unhurt.


Sonntag, 23. Juli 2023

Irina Liebmann

Die Schriftstellerin Irina Liebmann wird heute achtzig Jahre alt, dazu möchte ich ganz herzlich gratulieren. Dass ich ihre Bücher kenne, verdanke ich dem Zufall. Ich fand Letzten Sommer in Deutschland: Eine romantische Reise an einem schönen Sommertag in dem Grabbelkasten, der vor dem Antiquariat stand. Sowas gab es ja früher, auch massenhaft Grabbelkästen vor den Plattenläden. Ist alles weg, die Antiquariate und die Plattenläden. Läuft jetzt alles über ebay. Wir haben da etwas verloren. Ich hatte noch nie etwas von Irina Liebmann gehört, aber ich begann auf der Straße zu lesen. Und merkte, dass ich hier etwas ganz Besonderes in der Hand hatte. Ein sentimental journey durch Deutschland, Ost und West, wechselnd zwischen Prosa und prose poem. Von der Wasserwelt in Lebus bis zum Rhein, hoch poetisch und hoch komisch. Ein Buch, das uns unsere hässliche Wirklichkeit vergessen lassen kann - obgleich die immer auch im Buch ist.

Irina Liebmann hat als Journalistin begonnen und ist Schriftstellerin geworden. Viele Schriftsteller haben als Journalisten begonnen, Fontane und Hemingway, Rudyard Kipling, Joseph Roth und Kurt Tucholsky. Man kann die Liste beliebig verlängern. Der Journalismus kann eine gute Schreibschule sein, aus der man seinen eigenen Stil entwickelt. Und den eigenen Stil hat Irina Liebmann gefunden, eine nichtfiktionale Prosa, die immer von Poesie durchzogen ist. Da hat sie manches mit dem non-fiction novel Stil von Joan Didion gemein.

Irina Liebmann ist mit zwei Muttersprachen aufgewachsen, Deutsch und Russisch. Später hat sie noch Chinesisch gelernt. Sie wurde in Moskau geboren, weil ihr Vater Rudolf Herrnstadt nach Russland emigriert war. Er wurde nach dem Krieg Chefredakteur der Zeitung Neues Deutschland, fiel aber bald beim System in Ungnade. Forderte den Rücktritt Ulbrichts, und wurde für den Aufstand von 17. Juni 1953 mitverantwortlich gemacht. Die Revolution frisst immer ihre eigenen Kinder. Liebmann hat ein Buch über ihren Vater geschrieben, über einen Mann, der Jude, Spion und Kommunist war. Mein Vater ist verleumdet und verschwiegen worden, jeder hat ihn für seine eigenen Angelegenheiten benutzt wie einen Steinbruch – das war so, solange die Mauer stand, und nach dem Mauerfall ging es genauso weiter. Heute ein großes, freundliches Portrait eines Kandidaten des Politbüros der SED zu veröffentlichen, so was ist doch nicht so easy! hat sie in einem Interview gesagt. 

Sie musste dieses Buch Wäre es schön? Es wäre schön! Mein Vater Rudolf Herrnstadt schreiben, so wie Barbara Honigmann über ihren Vater das Buch Georg schreiben musste. Irina Liebmann hat für die Lebensgeschichte ihres Vaters 2008 den Preis der Leipziger Buchmesse erhalten. Gleichzeitig erschien das Buch in der Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung. Barbara Honigmann, deren Mutter einmal die Ehefrau von Kim Philby war, hat für das Buch über ihren Vater 2020 den Literaturpreis der Stadt Bremen erhalten. Vielleicht sollte man diese beiden jüdisch-deutschen Erinnerungen parallel lesen.

Hier im Café Der Hackesche Hof hat das Magazin Cicero die Autorin interviewt, vielleicht folgen Sie dem Link und lesen das Interview. Wir sind hier im Zentrum des literarischen Kosmos von Irina Liebmann. Was ist das Café Slavia gegen den / Hackeschen Hof? / Was ist die Moldau / Gegen die Spree? Und mit dem Café beginnt auch das Das Lied vom Hackeschen Markt, das erste von drei politischen Poemen. Ich habe eine kleine Leseprobe von dem Band. Hier ist die alte Mitte Berlins, die auch einmal die jüdische Mitte Berlins gewesen ist. Liebmanns Roman Die große Hamburger Straße wurde im Jahr 2020 mit dem Uwe Johnson Literaturpreis ausgezeichnet. Der Roman war der dritte Band in der Berlin Trilogie der In Berlin (1994) und Die freien Frauen (2004) vorangegangen waren. Ich habe hier auf YouTube ein sehr interessantes 80-minütiges Gespräch mit der Autorin zu ihrem Roman.

Der schriftstellerischen Erfassung des Herzens der Großstadt vorangegangen war ein Photoband der Autorin, der Stille Mitte von Berlin heißt, eine photografische Recherche auf Orwo Color rund um den Hackeschen Markt. Es war ein Projekt, das als Gedächtnisstütze gemeint war. Es wurde ein Photoessay, der zeigt, dass Straßen Geschichten erzählen und Geschichte erfahrbar machen: Nur in der Gegend zwischen nördlicher Friedrichstraße und Alexanderplatz stand damals noch ein echtes Stück von der alten Innenstadt. Es war keine Touristengegend wie heute - eher eine Rumpelkammer mit Möbelstücken der Weltstadt Berlin. Ein ganzes großes Wohnzimmer verwitterte da und verstaubte. Für uns war es der Alltag. Wir liebten die Gegend. Wir wussten, dass es ein sehr altes Stück von Berlin war und dass hier immer die arme Seite der Stadt gewesen war. Über die Häuser selber, ihre Erbauer, ihre Bewohner, wussten wir kaum etwas. Einige allerdings waren mit Gedenktafeln versehen oder sprachen für sich selber: das katholische Krankenhaus, die protestantische Sophienkirche und der älteste jüdische Friedhof Berlins. Zu dem Friedhof hatte ein Altersheim gehört, ein Denkmal erinnerte daran, dass sich hier eine Sammelstelle zum Transport jüdischer Berliner in die Vernichtungslager befunden hatte. Alles stand so da, wie es stehen geblieben war, 1945, 1950. Aber überall ragten Reste von etwas aus den Wänden - jedes Teil wie das Ende einer Wurzel, deren Pflanze man nicht kennen konnte.

Wenn ich auf der Straße vor einem Grabbelkasten zu lesen anfange, dann ist das ein Zeichen für ein gutes Buch. Und Letzten Sommer in Deutschland: Eine romantische Reise ist ein gutes, ein sehr gutes Buch. Ich ging in den Laden und legte der netten Blondine drei Euro auf den Kassentisch. Man kann die Bücher von Irina Liebmann antiquarisch preiswert bekommen. Auch Die große Hamburger Straße, für die ich noch viel Geld bezahlt habe, als das Buch erschien, ist im Preis gesunken. Wenn ich damals die Autorin nicht kannte, heißt das nicht, das sie unbekannt ist. Sie hat viele Literaturpreise bekommen. Sie könnten hier die Laudatio von Dagmar Leupold zum Literaturpreis Von Autoren für Autoren in Lübeck lesen, die sich auch auf der schönen Homepage von Irina Liebmann findet. Was in meinem Geburtstagsgruß für die Autorin steht, ist auch eine Leseempfehlung für Sie. Ein Buch möchte ich noch empfehlen, es heißt Drei Schritte nach Russland. Es ist eine liebevolle Erinnerung an ihre russische Mutter Valentina, die schöne schlanke Frau mit der Wespentaille und der Lauren Bacall Frisur. Es ist auch ein Versuch, sich in dem heutigen Russland zurechtzufinden. Ich zitiere mal die erste Seite:

Die Russen. Siebzig Jahre lang eingeschlossen, abgesperrt, vergessen. Von uns jedenfalls vergessen, ich weiß es genau, es war mir nicht angenehm, daß wir im Osten manchmal über sie sprachen, als ob es sie gar nicht mehr gibt: "Bei denen". 
"Bei denen ist es natürlich noch schlechter". 
Es hatte so zu sein, daß es ihnen schlechter ging als uns, daran hatten wir uns gewöhnt. Wir haben nie wirklich nach ihnen gefragt. 
Wir blickten nach Westen, und jetzt? 
Was Westen war, hat seine Leuchtkraft verloren. 
Aber angenehm ist es im Westen noch. Ich sitze in einer großen Wohnung, seit acht Wochen ist Winter mit Schnee und Eis wie niemals zuvor, aber die Läden sind voll, die Heizung warm, nur die Zahlen auf meinem Bankkonto muß ich im Auge behalten, diese Zahlen sind der Kilometerzähler meines Lebens geworden, und nicht meines alleine, denn schon sitzen alle Regierungen Tag und Nacht zusammen und reden über nichts anderes als die Zahlen auf ihren eigenen Kilometerzählern, wir können abstürzen, rufen sie, abstürzen, ins Meer fallen, in ein Meer der wertlosen Scheine, die kein Konto wahrnehmen wird, keinen Meter wird es mehr anzeigen als zuvor, keine Zahl dafür in die Höhe treiben, wir fallen, wir fallen – und die da, die Russen? Die sehen zu. 
Sollen wir zu ihnen blicken? In ihre Richtung? 
Was ist denn dort? Was? 
Und was waren das für Jahre, die letzten zwanzig? Was war das für ein Glanz, dem wir nachliefen? War es überhaupt Licht?

Zum Weiterlesen müssten Sie das Buch kaufen. Lohnt sich unbedingt. 

Donnerstag, 20. Juli 2023

Jane Birkin ✝

Das ist die gerade verstorbene Jane Birkin in ihrem ersten Film. Ich kannte den Film, ohne ihn gesehen zu haben. Weil ich in Bremen das von Peter Zadek übersetzte Theaterstück Was ist an Tolen so sexy? gesehen hatte. Und dieses Theaterstück von Ann Jellicoe, das im Original The Knack hieß, war die Basis für Richard Lesters Film ✺The Knack. Jane Birkin hatte nur eine Nebenrolle in dem Film, die Hauptrolle hatte Rita Tushingham. Aber die machte nicht die Weltkarriere, die die schönen jungen Nebendarstellerinnen machten. 

Und damit meine ich Jacqueline Bisset, Charlotte Rampling und Jane Birkin. Und das Top of the Pops Girl Samantha Juste. Für alle vier war es ihre Filmrolle. Sie tauchen in den credits unter extras auf. Und man weiß kaum, wer wer ist. Zum einen sahen die androgynen jungen Frauen damals sowieso alle gleich aus, zum anderen sind sie hier bis zur Unkenntlichkeit geschminkt, mit viel schwarzem Kajal um die Augen, Wen Jacqueline Bisset in dem Film spielte, das weiß ich nicht mehr, aber Jane Birkin ist die auf dem Moped. Und Charlotte Rampling ist die, die Wasserski läuft.

Jane Birkin war, das versichern uns die Nachrufe in den Feuilletons, eine Stilikone. So wie sie aussah, konnte sie anziehen, was sie wollte. Wir wissen, wer Audrey Hepburn eingekleidet hat, bei Jane Birkin wissen wir es nicht, obgleich sie immer auf den Seiten von Vogue und Paris Match war. Wahrscheinlich konnte sie am Boulevard Haussmann ins Printemps marschieren und sich bei den Sonderangeboten bedienen. Sie ist einmal mit Twiggy für Modephotos aufgetreten, aber sie hatte als Model nicht die Berühmtheit, die Jean Shrimpton hatte. Die Firma Hèrmes hat eine Tasche nach ihr benannt, die heute secondhand zwischen zehntausend und hunderttausend Euro kostet. 

Das bleibt von den berühmten Schönheiten: die nach Grace Kelly benannte Kelly Bag und die Birkin Bag. Jane Birkin hatte die Firma Hèrmes verklagen wollen, nachdem sie von der Tierschutzorganisation Peta erfahren hatte, wie die Haut der Krokodile auf die Birkin Bag kommt: Ich habe Hermès aufgefordert, die 'Birkin Croco' umzubenennen, bis bessere Praktiken, die internationalen Normen entsprechen, bei der Herstellung dieser Tasche umgesetzt werden können. Man hat sich außergerichtlich geeinigt. Hèrmes ist jetzt nett zu den Krokodilen. Bei Zalando gibt es übrigens eine ganz ähnliche Tasche für neunundsiebzig Euro. Hèrmes wird sowieso überschätzt, ich habe meiner Ex mal eine Hèrmes Aktentasche geschenkt, die sich in wenigen Jahren in ihre Bestandteile zerlegt hat.

Dies Bild stammt aus einem frühen Film von Jane Birkin.: Er hat viele Frauen, aber am Ende kriegt sie ihn, und sie gehen zum Bahnhof, um Eisenbahnen zu gucken. Sie guckt gerne den Eisenbahnen nach. Das ist jetzt eine etwas kryptische Beschreibung des Films Das wilde Schaf (✺Le mouton enragé). Vielleicht spielt Romy Schneider da die Hauptrolle, aber man guckt den Film nur wegen der Nebenrollen. Wegen Jane Birkin und Florinda Bolkan. Und natürlich wegen Jean-Louis Trintignant.

Sie braucht keine großen Rollen, in vielen Filmen spielt sie nur die Nebenrolle, wie das magersüchtige Model in Blow-Up, aber sie ist immer ein eye candy. Für die anonymen Autoren des Wikipedia Artikels ist sie überhaupt keine Schauspielerin, da ist sie nur eine Sängerin von Je t’aime … moi non plus und Ähnlichem. Birkin spielte zudem in zahlreichen, oft seichten Kinofilmen, steht da im Text. Das Lied, das sie mit Serge Gainsbourg aufgenommen hatte, ist bei YouTube verschwunden. Es gibt allerdings im Netz noch die ✺Version, die Gainsbourg mit Brigitte Bardot aufgenommen hatte.

Jane Birkins Erfolg als Sängerin kam mit Serge Gainsbourg, mit dem sie viele Jahre zusammenlebte. Er ist der Svengali, der das Lolita Püppchen an seiner Seite berühmt macht. Mit ihm trat sie in einer Nebenrolle auch in diesem seltsamen Film ✺Le Roman d’un voleur de chevaux auf, in dem Gainsbourg zum erstenmal La Noyée sang. Über den Dokumentarfilm von Agnès Varda Jane B. par Agnès V. sagte Christiane Peitz in der  taz, er mache nur deutlich, dass Birkin eine schlechte Schauspielerin sei. Sie sei nur gut, wenn sie sich selbst spiele. Da ist wahrscheinlich etwas dran. Eine besonders gute Sängerin war sie auch nicht, sie war keine Juliette Gréco, keine Françoise Hardy. Aber sie machte immer weiter mit dem Singen, ihre letzte CD Oh! Pardon tu dormais… ist zwei Jahre alt. Sie wollte jetzt im Frühjahr in Deutschland auftreten, musste die Konzerte aber absagen, Kein anderer Song von Birkin wurde so berühmt wie Je t’aime … moi non plus, sie hat einmal gesagt: When I die, that'll be the tune they play, as I go out feet first.

Wenn sie sich selbst spielen kann und nicht zu singen braucht, dann kann sie wirklich gut sein. Wenn sie einen guten Regisseur hat. Wie zum Beispiel Bertrand Tavernier, der einmal als Regieassistent bei Jean-Pierre Melville angefangen hatte. Er sei ein schlechter Regieassistent gewesen, hat Tavernier gesagt, aber er wurde ein guter Regisseur. 

Tavernier war mit einer Engländerin verheiratet, die ihm die Drehbücher für seine besten Filme geschrieben hat, wie ✺Un dimanche à la campagne (Ein Sonntag auf dem Lande) oder Daddy Nostalgie (aus dem diese Photos stammen). Ich habe von diesem Film, in dem Jane Birkin neben Dirk Bogarde spielt, eine witzige ✺Kurzfassung mit der Musik von Nat King Coles These Foolish Things. Ich habe aber natürlich auch den Film ✺Daddy Nostalgie für Sie. Und ein langes Gespräch zwischen der Drehbuchautorin ✺Colo Tavernier und Jane Birkin. Wenn Sie noch fünfzig Minuten Zeit haben, dann hätte ich hier noch die arte Dokumentation ✺Jane Birkin - Muse, Sexsymbol, Ikone für Sie. Mehr gibt es heute nicht, ich war nie ein Jane Birkin Fan. Ich weiß auch nicht, ob man ihre Munkey Diaries lesen muss.