Dienstag, 24. März 2020

La Malibran


Mit siebzehn sang sie in New York die Zerline in Mozarts Don Giovanni, das war eine amerikanische Erstaufführung. In London hatte sie gerade die Rosina in Der Barbier von Sevilla gesungen. María García kommt aus einer Musikerfamlie, dies ist der Beginn ihrer Karriere. In New York verliebt sie sich in den Bankier François Eugène Malibran, der ist siebenundzwanzig Jahre älter als sie. Und ist schnell pleite, sie muss ihn mit ihren Gagen durchfüttern. Die Ehe wird nicht lange halten. Aber der Name Malibran wird weltbekannt, denn inzwischen ist sie La Malibran, eine der ersten Diven der Operngeschichte.

Nur hier in Paris kann man erfahren, was Singen bedeutet. Heutzutage ist es unbestreitbar nicht die Pasta, sondern die Malibran-García, welche die erste in Europa ist – ein Wunder! schreibt Frédéric Chopin über die exotische Schönheit Maria Malibran. Mit Pasta meint er nicht das italienische Teiggericht, sondern Giuditta Pasta, die große Konkurrentin der Malibran. Und Gioachino Rossini sagt über die Malibran: Sie übertraf alle ihre Konkurrentinnen durch ihre wirklich überwältigende musikalische Begabung und alle Frauen, die mir begegnet sind, durch ihre geistige Überlegenheit, ihr breit gefächertes Wissen und ein rasantes Temperament, von dem man sich nicht die geringste Vorstellung machen kann.

Ludwig Börne wird in seinem 26. Brief aus Paris schreiben: Ehe ich die Malibran gehört, ahndete ich gar nicht, daß ein musikalischer Vortrag auch genialisch sein könne; ich dachte, der Gesang stände im Dienste der Komposition, und wie der Herr, so der Diener. Aber nein. Aus der Spielerei Rossinischer Musik machte die Malibran etwas sehr Ernstes, sehr Würdiges. Dem schönen Körper gibt sie auch eine schöne Seele. Börne erinnert sich daran, dass er in Berlin Henriette Sontag gehört hat, aber das ist nichts gegen das Erlebnis der Malibran: Ihr Gesang! Er kam aus dem Herzen des Herzens. Ich mußte mich daran erinnern, gerecht zu sein, um mich zu erinnern, daß die Sontag ebenso schön gesungen. Ich will Kenner fragen, die beide gehört. Aber das will ich verbürgen: die Sontag singt schön, weil sie gefallen will, und die Malibran gefällt, weil sie schön singt. Er ist nicht der einzige, der die Sangeskunst der Henriette Sontag kritisch sieht (es gibt hier einen Post zu der göttlichen Jette, die Goethe seine flatternde Nachtigall nannte); ich glaube, dass sie stimmlich nicht in  der gleichen Liga wie die Malibran singt. Sie sind mehrfach zusammen aufgetreten, das können wir dem italienischen Film ✺Maria Malibran entnhmen, wo Maria Cebotari die Malibran und Silvia De Bettini die Sontag verkörpern.

Die am 24. März 1808 geborene Sängerin Maria Malibran ist nicht alt geworden, sie wird 1836 in Manchester sterben. Sie hatte bei einem Reitunfall im Londoner Hyde Park schwere Verletzungen davongetragen, aber sie verweigert die ärztliche Behandlung, sie singt weiterhin die Amina in Bellinis La sonnambula. Fünfzigtausend Menschen werden die Straßenränder von Manchester säumen, als der Sarg vorbeigetragen wird. Die Gräfin Maria de las Mercedes Santa Cruz y Montalvo schrieb nach ihrem Tod: Der Tod raffte Maria Malibran frühzeitig hinweg. Aber als sie dieser Erde entschwebte, hat sie mindestens als letztes Andenken jene Eindrücke der Jugend, der Schönheit und des Talentes hinterlassen, welche wie der Duft der Blüthen durch den beseeligenden Hauch des Frühlings, sich von Jahr zu Jahr im Gedächtnisse erneuern, ohne daß die Zeit sie jemals brechen kann.

Die Malibran hat natürlich in diesem Blog mit Grande Opéra schon einen Post, und sie wird auch in den Posts Primadonna assolutaDivenHenriette Sontag und Nachtigallen erwähnt. Ich habe heute allerdings noch etwas Neues. Natürlich noch keine Tonaufnahme, die gab es noch nicht. Aber bewegte Bilder. Zum einen gibt es hier den Film von Werner Schroeter (der immer davon träumte, einen Film mit der Callas zu machen) ✺Der Tod der Maria Malibran (hier ein Bild aus dem Film). Und zum anderen kann ich den Dokumentarfilm ✺Cecilia Bartoli – Maria Malibran: Geschichte einer Leidenschaft von Michael Sturminger anbieten. Und ich hätte, da aller guten Dinge drei sind, auch noch den französischen Film ✺La Malibran aus dem Jahre 1944 im Programm.

Sonntag, 22. März 2020

Lilli Martius


Es gibt kaum ein Photo von Elisabeth (Lilli) Martius im Internet. Die unbedeutendsten Leute müllen das Netz mit ihrem Konterfei zu, aber keine Bilder von Lilli Martius. Dabei ist sie, so vornehm und zurückhaltend sie war, eigentlich eine Berühmtheit gewesen. Ich zähle mal eben einige der Ehrungen auf, die sie erfahren hat: Ehrenbürgerin von Kiel, Kulturpreis der Stadt Kiel, Honorarprofessorin der Universität und der Dannebrogorden von Königin Margarethe. Der Museumsdirektor Ernst Schlee hat sie einen bis ins hohe Alter beweglichen, aufnahmebereiten und dem Neuen aufgeschlossenen Menschen von seltenen Gaben und großer Weite des Denkens, dazu von erstaunlicher Tatkraft und wahrer Güte genannt. Eigentlich wollte ich die Kunsthistorikerin noch in den Post mit dem schönen Titel måneskinnsmaler hineingeschrieben haben, warf es aber wieder hinaus. Es wurde zu lang. Es wird immer zu lang.

Irgendwie war das schade, aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Es war Sonnabendnachmittag, und ich ging erst einmal zu Eschenburg. Mache ich meistens am Sonnabendnachmittag. Fand auch gleich, was ich suchte, nämlich den Band 47 der Zeitschrift Nordelbingen. Darin ist nämlich der Aufsatz Das Gemälde "Einfahrt ins Nærødal" von dem norwegischen Maler Knud Andreassen Baade von Jens Christian Jensen. Ich besitze alle möglichen Nummern von Nordelbingen (es gibt die Kulturzeitschrift seit 1923), aber Band 47 hatte ich nicht. Das Wort Nordelbingen fasziniert mich immer wieder, ist irgendwie eine Variation von Nordalbingien und Nordelbien. Klingt auf jeden Fall eindrucksvoller als Schleswig-Hostein Der echte Norden, ein Spruch, für den die Regierung von Herrn Albig viel Geld bezahlt hat.

Band 47 hat mich bei Eschi fünf Euro gekostet. Was ich nicht wusste: das war gleichzeitig eine Festschrift für Wolfgang J. Müller zum 65. Geburtstag gewesen. Bei mir im Regal steht nur Kunstsplitter: Beiträge zur nordeuropäischen Kunstgeschichte. Festschrift für Wolfgang J. Müller zum 70. Geburtstag überreicht von Kollegen und Schülern. Jetzt habe ich beide Festschriften. Jens Christian Jensen hat zu dem Bild von Baade nicht sehr viel zu sagen. Es ist sehr sympathisch, dass er gesteht, dass er sehr wenig über Baade wusste und mit dem Bild Einfahrt ins Naerøtal nicht so viel anfangen konnte. Aber bei ihm kann man auch lesen, dass Caspar David Friedrichs Zeichnung von Baade an der Staffelei auch das Bild Einfahrt ins Naerøtal zeigt.

Lilli Martius ist auf verschlungenen Pfaden zur Kunstgeschichte gekommen. Als sie 1929 mit einer Dissertation über die Die Franziskuslegende in der Oberkirche von San Francesco promoviert wurde, war sie schon vierundvierzig Jahre alt. Sie war in einem großbürgerlichen und vermögenden Elternhaus aufgewachsen. Ihre Mutter kam aus der Industriellenfamilie Borsig, über Stracks Borsig Villa in Moabit wird Lilli Martius eines Tages einen Aufsatz schreiben. Ihr Vater ist ab 1898 Professor für Philosophie und Psychologie in Kiel, er wird auch einmal der Rektor der Universität werden.

Die Familie Martius bewohnte bis 1937 eine repräsentative Villa in der Hohenbergstraße. Lilli Martius zog danach in die Esmarchstraße. Die Familie Martius hatte zuvor in Bonn auch standesgemäß gewohnt, in einer Villa, die zwischen dem Palais Schaumburg und der Villa Hammerschmidt lag. Der Garten des Hauses in Kiel ist kein Garten, es ist ein Park. Heißt heute noch Martiuspark. Ist umkämpftes Bauland. Schon heute denkt niemand mehr an Lilli Martius, wenn der Name Martius fällt. Der bedeutet heute das Bauprojekt Martius Terrassen. Es ist widerlich. Unter der Adresse Hohenbergstraße 4 ist beim Amtsgericht eine gewisse Friederike K. de Jong-von Knebel eingetragen, die ein Objektmanagement und unter dem Namen Koko von Knebel eine Lifestyle Agentur für Vierbeiner betreibt. Sic transit gloria mundi.

Lilli Martius hat in Bonn eine Privatschule besucht, später die Höhere Töchterschule in Kiel. Vor einem Studium fürchtet sie sich ein wenig: vor der Universität hatte ich soviel Respekt, daß ich auf das Hören von Vorlesungen, was bei Kunstgeschichte damals sehr üblich war, von vornherein verzichtete, zumal der Papa solchen Halbheiten sehr wenig zugetan war. Dass eine Tochter aus großbürgerlichem Haus (Der Haushalt ist ‘hochkultiviert’ mit Hausmusik, Kunst und Kultur, Gesellschaften und – ebenfalls noch dem gehobenen Bürgertum vorbehalten – Reisen) studiert, war vor dem Ersten Weltkrieg nicht die Regel.

Es war also bei mir und einem erheblichen Teil meiner Mitschüler die typische Lebensform der höheren Tochter, denn der Anspruch einer Berufsausbildung begann sich erst leise anzuzeigen, schreibt sie 1970 in ihren Erinnerungen Erlebtes: Verwandten und Freunden erzählt. Lilli Martius hatte für sich beschlossen, Malerin zu werden und nahm Zeichenunterricht an der Privatakademie für Malerei der Kieler Maler Georg Burmester (im oberen Absatz) und Fritz Stoltenberg (den Peder Severin Krøyer einmal gemalt hat). Das Bild Stoltenbergs zeigt die Kieler Howaldtswerke im Jahre 1907. Lilli Martius nimmt auch an einem Einführungskurs in die Lithographie bei dem Hamburger Maler Ernst Eitner (den man einmal den Monet des Nordens nannte) teil, geht dann aber 1907 nach Berlin, obgleich die Eltern Bedenken gegen diesen gefahrvoller Ort der Sittlichkeit hatten.

Im Ersten Weltkrieg leistet Lilli Martius freiwilligen Dienst als OP Schwester beim Deutschen Roten Kreuz, zwei ihrer drei Brüder werden im Krieg fallen. Professor Martius lässt für seine Söhne auf dem Eichhof Friedhof von keinem Geringeren als Adolf von Hildebrandt ein repräsentatives Mausoleum errichten. Ein Prunkbau des untergehenden Großbürgertums. Die ganze Familie Martius wird hier eines Tages liegen. In der Hauptstadt Berlin hat Lilli Martius ein neues politisches Bewusstsein gefunden, sie trat für das Wahlrecht der Frauen ein, das 1918 eingeführt worden war: Es war mir eine wichtige Sache, daß die Frauen nun wahlberechtigt wurden. Ich kam trotz einiger Zweifel an der Zweckmäßigkeit dieser Einrichtung doch zu dem Entschluß, daß es richtig sei, als Frau zu wählen.

Brigitte Schubert-Riese hat in Lotte Hegewisch, Lilli Martius, Gertrud Völker: Drei Frauenbilder aus der Kieler Stadtgeschichte versucht, Lilli Martius zu einer Vorkämpferin der Emanzipation zu stilisieren. Dem stehen aber Sätze wie Wie dem auch sei: die Probleme der Frauenfrage kamen für mich bei der festen Bindung an das Haus gar nicht in Frage entgegen, und man wird aus ihrer Autobiographie nichts anderes herauslesen können. Das Bild, das zum Cover des Katalogs Gute Gesellschaft wurde, habe ich übrigens schon in dem Post ythlaf gezeigt.

Ohne Lotte Hegewisch, Professorentochter wie Lilli Martius, gäbe es die Kunsthalle nicht an dem Ort, an dem sie seit 1909 steht. Der Professor Peter Wilhelm Forchhammer, der schon 1842 im Kieler Schloss eine Sammlung von Gipsabrücken der Elgin Marbles ausgestellt hatte (der Keim der späteren Antikensammlung), wollte im Kieler Schlossgarten eine Kunsthalle bauen. Lotte Hegewisch hörte schon die Axthiebe und sah den schönen Schlossgarten gefährdet. Nach längerem Nachdenken schrieb sie ihre Villa mitsamt dem sechstausend Quadratmeter großen Grundstück Klein Elmelo in ihr Testament. Das bleibt nicht unbeobachtet, sodass sie in ihre Erinnerungen früherer Stunden für Letzte Stunden schreiben kann: Im Dezember bekam ich, gesandt durch die 'Kaiserliche Schatulle', eine Brosche vom Kaiser: Sein Namenszug in Brillanten, als Anerkennung für mein Vermächtnis. Zum Thema der Griechen und der Elgin Marbles wird es hier in den nächsten Tagen einen Post geben.

Arthur Haseloff (hier unter dem Portal von S. Maria Nuova in Melfi photographiert) wurde 1920 als Nachfolger von Georg Graf Vitzthum Ordinarius für Kunstgeschichte in Kiel und wurde gleichzeitig Direktor der Kunsthalle und Vorsitzender des Kunstvereins. Er war ein Mann mit weitreichenden internationalen Verbindungen, der 1932 auch eine Professur in New York wahrnahm. Nicht viele deutsche Kunsthistoriker waren vor 1933 in Amerika. Nach 1933 waren es mehr, aber das hat einen anderen Grund. Als es Mitte der zwanziger Jahre eine neu geschaffene Zulassung zum Studium ohne Zeugnis der Reife gibt, ermutigt Haseloff Lilli Martius zu einem Studium der Kunstgeschichte. Ihr Vater, der 1927 stirbt, wird es nicht mehr erleben, dass seine Tochter einen Doktortitel trägt.

Damals war Lilli Martius schon Angestellte des Kunstvereins, sie hatte erkannt, daß Personen wie ich nicht mehr von Kapital und Zinsen leben konnten. Seit 1923 verwaltete sie das Kupferstichkabinett. Diese Stelle hatte sie wahrscheinlich durch die Protektion ihres Vaters bekommen. Eine Existenz als Malerin hatte sie doch nicht gewagt, sie fürchtete sich davor, zum Dasein einer kleinen Malerin auf dem Dorf verurteilt zu sein. Zu ihren Aufgaben gehörte wahrscheinlich etwas mehr als die Ordnung und Verwaltung der graphischen Sammlung, da Professor Haseloff lieber in Italien als in dem Institut in Kiel weilte. Wir sehen ihn hier mit seinem Photoapparat auf der Mauerkrone des palatiums von Friedrich Barbarossa in Lucera.

Harald Eschenburg, Sohn eines Admirals, Mitbegründer der FDP in Schleswig-Holstein, Buchhändler und im Alter Romanautor, hat Haseloff als Professor Fuchslauf in seine Romane hineingeschrieben. Die für Kiel so etwas sind, was die Buddenbrooks für Lübeck waren. Haseloff sieht bei seinem ersten Auftritt in Schlagseite: Roman aus der Weimarer Republik nicht sehr gut aus. Er hat gerade einen von einem Bilderfälscher gefälschten Corot für echt erklärt. So etwas passiert Direktoren einer Kunsthalle schon mal. Keiner der Rembrandts von Günther Busch in Bremen war echt (lesen Sie ➱hier mehr), und Sedlmaier sah bei der Geschichte um die Malskat Fälschungen auch nicht gut aus. Harald Eschenburg versichert uns natürlich, dass die handelnden Personen des Romans frei erfunden seien, allein die Leser in Kiel und Umgebung hatten jahrelang nichts anderes zu tun, als die wirklichen Namen der Romanfiguren zu entschlüsseln.

Lilli Martius hat sich in dem kleinen Institut sehr wohl gefühlt: ich habe es immer als glücklich empfunden in einem kleinen Museum und nicht als winziges Glied in einem Riesenbetrieb zu sein. Ab dem Wintersemester 1932/33 hält sie Übungen über die Techniken der Künste ab, und 1939 erhält sie eine Festanstellung als Assistentin. Hatte ihre Dissertation noch das italienische Trecento zum Thema (das Thema hatte ihr sicherlich Haseloff gegeben), so wird sie sich in Zukunft mehr für die Kunst im Lande interessieren.

Sie spricht in ihren Erinnerungen davon, dass ihre Forschungen von nun an die intensivere Beschäftigung mit den Schleswig-Holsteinischen Künstlern zum Ziel hat, da [sie] die Nutzung der dänischen Nachbarschaft für leichter durchführbar hält. Über diesen Maler (➱Hans Peter Feddersen) wird sie auch schreiben, und über viele andere aus dem Land. Kaum eine Region Deutschlands wird eine solche Aufarbeitung seiner Kunst erfahren. Ihre eigentlichen wissenschaftlichen Arbeiten werden erst in den fünfziger Jahren erscheinen. 1965 kommt ihr Hauptwerk Die schleswig-holsteinische Malerei im 19. Jahrhundert auf den Markt.

Den politischen Entwicklungen der dreißiger Jahre stand sie eher naiv gegenüber (... so sind mir maßgebende Geschehnisse mehr als gut gewesen wäre, entgangen). Ihre Devise war von Anfang an höchste Zurückhaltung und Handeln in der Stille. Über ihre Kollegin Aenne Liebreich, die aus der gleichen sozialen Schicht kommt wie sie, weiß sie in ihrer Autobiographie nur wenig zu sagen: Ich erhielt, wie gesagt, in der gleichen Zeit [Jahreswende 1932/32] die Berechtigung, Kurse über Technik der Künste im Kunsthistorischen Institut zu halten. Meine Freude wurde aber zunächst dadurch beeinträchtigt, daß die von meiner Kollegin Dr. Änne Liebreich erwartete Genehmigung zur Habilitation sich nicht nur immer weiter verzögerte, sondern als unrealisierbar angesehen wurde. Aenne Liebreich emigriert nach Frankreich, bekommt eine Stelle als Assistentin bei dem berühmten Henri Focillon und übersetzt ihre Habilitation ins Französische. Als ihre Verträge und Stipendien am Institut d‘art et d‘archéologie auslaufen, nimmt sie sich im Sommer 1939 das Leben. Seit März 2015 gibt es vor dem Haus Niemannsweg 133 einen Stolperstein.

Erstaunlicherweise waren viele von den Hochschullehrern, die einst die Nazis vergötterten, in den sechziger Jahren noch in Amt und Würden an der Universität. Und wunderten sich 1968, dass sie von den Studenten attackiert wurden. Den Professor Ferdinand Weinhandl und den blütenreinen Nazi Schmidt (alias Paul Carrell) habe ich schon in dem Post Feuer erwähnt. Das Buch Wissenschaft an der Grenze: Die Universität Kiel im Nationalsozialismus von Christoph Cornelißen und Carsten Mish sollte an dieser Stelle unbedingt genannt werden. Glücklicherweise sind unter den Kieler Kunsthistorikern keine überzeugten Nazis gewesen, Haseloff und Lilli Martius waren nie in der Partei.

Man kann es nirgendwo nachlesen, aber es ist mir mehrfach erzählt worden, dass Lilli Martius in den Jahren, als die Nazis an die Ausradierung der sogenannten entarteten Kunst gingen, still und heimlich Werke beiseite geschafft hat. Erst ins Magazin, wo sie niemand sieht, danach weit weg. Bilder bekamen andere Zuweisungen, waren dann nicht mehr auf den Listen. Auf einer Seite der Stadt Kiel wird es angedeutet: Lilli Martius hat sich als erster Kustos der Kieler Kunsthalle und als Retterin bedeutender Kunstwerke vor der Zerstörungswut der Nationalsozialisten einen Namen in der Kieler Stadtgeschichte gemacht.

Arthur Haseloff (der 1935 verhindert hatte, dass eine Adolf Hitler Büste in der Universität aufgestellt wurde) entwickelte in den Verhandlungen mit Adolf Ziegler, dem Lieblingsmaler Hitlers (der man auch Reichsschamhaarmaler nannte), ein gewisses Geschick. Aber unter dem Strich verlor die Kunsthalle 156 (oder zweihundert, die Zahlen gehen da auseinander) Kunstwerke. Es ist nicht ohne Pikanterie, dass man für die weggenommenen Exponate Leihscheine nach München schickte. Damit betonte man juristisch, dass man die Werke lediglich als für die Ausstellung Entartete Kunst entliehene Bilder betrachtete. Dieses Bild hier ist natürlich keine entartete Kunst, das ist ein echter Ziegler.

Ab 1941 hatte man begonnen, den Bestand der Kunsthalle auszulagern (dies Bild von Hans Rickers findet sich schon in dem lesenswerten Post Franco Costa). Die kunsthistorische Bibliothek wanderte nach Altenkrempe, wo sie im Seitenschiff der Kirche aufgestellt wurde (und von den Dorfbewohnern gerne benutzt wurde). Im Untergeschoss der zu großen Teilen zerstörten Kunsthalle blieb ein Raum von der Zerstörung verschont, in dem das Kunsthistorische Institut auf sechzehn Quadratmetern untergebracht war. Nach 1944, während der immer heftiger werdenden Bombenangriffe auf den Marinehafen Kiel (hier werden immer noch jeden Monat Bomben gefunden), hat Lilli Martius zusammen mit der Sekretärin der Kunsthalle Friedel Stender die restlichen Sammlungen des Kunstvereins evakuiert. Eigentlich hätte Friedel Stender, die auch eine Bibliographie der Schriften von Lilli Martius vorgelegt hat, die Universitätsmedaille bekommen müssen, hat sie aber nicht. An so etwas denkt man damals nicht. Ich empfand es immer als Sensation, dass unser verdienter Hausmeister Kurt Fröse die Medaille eines Tages bekommen wird.

Die Gehilfen, die Sir Kenneth Clark bei der Evakuierung der National Gallery hatte, hat sie nicht zur Verfügung. Und Klavierkonzerte gibt es in der Kunsthalle natürlich auch nicht. Aber Engländer gibt es jetzt genügend in der Stadt. Hier zeigt der englische Admiral H T Baillie-Grohman (den man im Krieg ebenso wie den General Carton de Wiart aus dem Ruhestand zurückgeholt hatte) dem Kommandeur des 8th Army Corps Generalleutnant E H Barker den Kieler Hafen.

Was man hier im Vordergrund vor der Kunsthalle sieht, ist die Universität Kiel im Jahre 1945. Der Lehrbetrieb der Universität beginnt auf einem Passagierschiff, das zuletzt als Truppentransporter gedient hat. Genau genommen sind es vier Schiffe, BarbaraSofiaOrla und Hamburg, die hunderte von Studenten beherbergen. Die Messen in den Bäuchen der Schiffe wurden notdürftig zu Hörsaalen umgebaut.

Die Kunsthistoriker beginnen in ihrem kleinen Raum in der zerstörten Kunsthalle, Vorlesungen (für die selbst Haseloff aus dem Ruhestand zurückkehrt) finden in der Zoologie oder der Medizin statt. Die einzige Mensa, die es weit und breit für die Studenten gibt, ist die Seeburg. Die einst im Jahre 1910 der Rektor der Kieler Universität Goetz Martius in Anwesenheit von Prinz Waldemar von Preußen feierlich eingeweiht hat. Viele Jahre später hat mein Freund Georg hier seine Examensparty gefeiert, würde ich gerne drüber schreiben, aber das wird wieder zu lang.

1945 übernahm Lilli Martius vertretungsweise die kunsthistorische Professur, der Ordinarius Richard Sedlmaier hielt sich zu einem längeren Kuraufenthalt in München auf. Auch so etwas gibt es im Krieg. Martius kündigte ein Seminar mit dem Titel Klassizismus und Romantik an, das aber wegen Raummangels nicht abgehalten werden konnte. Sie hätte dazu auch wohl keine Zeit gehabt, da man sie mit der Rückführung der ausgelagerten Institutsbestände betraut hatte. Klingt gut, war aber in der Praxis schwierig.

Die Universitätsverwaltung reagierte auf Lilli Martius' Frage nach Transportmitteln mit: Was wollen Sie, Bücher Bilder? Kartoffeln sind wichtiger. Gehen Sie zum Engländer. Die Engländer herrschen jetzt in der Stadt, die sie zu achtzig Prozent zerstört haben. Sogar einen British Kiel Yacht Club gibt es jetzt, das war vorher der Kieler Yacht Club. Die Engländer können der reizenden älteren Lady mit den vornehmen Manieren keinen Wunsch abschlagen, sie bekommt einen Lastwagen für den Rücktransport der Kunstwerke und der Bibliothek.

Sie fand bei ihren Aktionen einen tatkräftigen Gehilfen in Wolfgang J. Müller, dem Assistenten Sedlmaiers, der nach Kriegsdienst und Gefangenschaft gerade nach Kiel gekommen war. Er hat mir einmal von der damaligen Lage erzählt. Es war etwas dramatischer als aus den verhältnismäßig dürren Worten von Frank Büttner in der Geschichte des Instituts hervorgeht: Er kam in einer Situation, von deren Schwierigkeiten wir uns heute kaum noch eine rechte Vorstellung machen können. Mit einer Energie, die offensichtlich gar nicht zu bändigen war, wirkte er zusammen mit Lilli Martius, der Kustodin der Kunsthalle, für den Wiederaufbau des Kunsthistorischen Institutes.

1947 wurde Lilli Martius zur Kustodin der Kunsthalle ernannt, was sie etwas ironisch mit der Bemerkung quittierte, das sei für sie ein wichtiger Schritt auf dem Wege, zu einer Altersversorgung zu kommen. Die ersten Ausstellungen nach dem Kriege waren Emil Nolde und Ernst Barlach (beide 1947), Edvard Munch (1948) und Christian Rohlfs (1949) gewidmet. 1951 ging sie in den Ruhestand, der eher ein Unruhezustand war, denn jetzt begann sie zu schreiben.

Unter anderem über Bilder wie dieses von Erik Pauelsen, das sich in Skandinavische Landschaftsbilder: Deutsche Künstlerreisen von 1780 bis 1864 findet. In der Kunsthalle war sie immer zu sehen. 1958 hatte sie den ersten Katalog nach dem Kriege fertig. 1973 erschien Johann Schlicks Katalog der Gemälde, der natürlich das Werk von Lilli Martius würdigt. Der neueste Katalog hat für Lilli Martius einen halben Satz übrig. Der Katalog trägt den Namen eines Mannes, der als Kunsthallendirektor das Museum als Spielwiese für 'Neues Ausstellen' missbrauchte. Kiel verdankt ihm epochale Ausstellungen wie Heavy MetalBallermannAccessoiremaximalismus oder Malerei ohne Malerei.

1963 erschien zu ihrem achtzigsten Geburtstag als Band 34 von Nordelbingen eine Festschrift, die durch Subskription finanziert worden war. In der tabula gratulatoria fand ich auch den Namen der Baronin von Stoltzenberg, allerdings etwas falsch geschrieben. Solche Druckfehler findet man in den Bänden von Nordelbingen immer wieder. In manchen Schriften glücklicherweise nicht. Joachim Kruse hat mir einmal erzählt, welche Arbeit er (damals gerade promoviert) mit dem Korrekturlesen des Katalogs von Lilli Martius gehabt hat. Sie hat ihm natürlich dafür gedankt. Steht so im Katalog. Und über Friedrich Nerly, den Maler dieses Bildes, hat sie auch geschrieben.

Nach ihrem Tod landete ihre Bibliothek bei Eschenburg. Es kam im Laden beinahe zu Handgreiflichkeiten, weil sich jeder die besten Stücke sichern wollte. Harald Eschenburg pflegte in jenen Tagen seinen Laden abends mit dem Satz abzuschliessen: Die Raubtierfütterungszeit ist jetzt zu Ende.

Es ist April, und Sie wissen schon, was jetzt kommt: ein Monat lang Gedichte. Ich suchte ein Gedicht, das mit einer Kunsthalle zu tun hat, das erste, das mir einfiel, war Audens Musée des Beaux Arts. Das habe ich zwar schon einmal in dem Post William Carlos Williams gebracht, aber das macht nichts. Einen Brueghel besitzt Kiel natürlich nicht, aber dieses Bild muss natürlich hier abgebildet werden, ohne das Bild geht das Gedicht nicht:

About suffering they were never wrong,
The Old Masters; how well, they understood
Its human position; how it takes place
While someone else is eating or opening a window or just walking dully along;
How, when the aged are reverently, passionately waiting
For the miraculous birth, there always must be
Children who did not specially want it to happen, skating
On a pond at the edge of the wood:
They never forgot
That even the dreadful martyrdom must run its course
Anyhow in a corner, some untidy spot
Where the dogs go on with their doggy life and the torturer's horse
Scratches its innocent behind on a tree.
In Breughel's Icarus, for instance: how everything turns away
Quite leisurely from the disaster; the ploughman may
Have heard the splash, the forsaken cry,
But for him it was not an important failure; the sun shone
As it had to on the white legs disappearing into the green
Water; and the expensive delicate ship that must have seen
Something amazing, a boy falling out of the sky,
had somewhere to get to and sailed calmly on.

Mittwoch, 18. März 2020

Uschi Glas


Ach, war sie da niedlich. Hier auf dem Photo ist sie mit Werner Enke und der Regisseurin May Spils zu sehen. May Spils kam aus Twistringen, einem kleinen Kaff bei Bremen. Wenn man da herkommt, will man da raus. Wie May Spils. Oder Reinhold Beckmann. Obgleich es da angeblich so schön ist, es gibt sogar ein Lied auf Twistringen:

Perle, du in Niedersachsen,
Stätte schönster Fröhlichkeit,
Twistringen, ans Herz gewachsen
Bist du mir in aller Zeit.

Aber wir lassen das mal beiseite und konzentrieren uns auf diese junge Dame. Hier ist sie, wie auf dem Photo oben, bei den Dreharbeiten zu dem Spielfilm Zur Sache Schätzchen. Das vierundzwanzigjährige Schnuckelchen und die schnoddrigen Dialoge machten 1968 den Film zu einem Kultfilm. Es war nicht der erste Film von Uschi Glas. Sie hatte schon eine kleine Rolle in Der unheimliche Mönch gehabt. Und war das Halbblut Apanatschi in Winnetou und das Halbblut Apanatschi gewesen. Zu der Zeit hatte Catherine Deneuve schon La Vie de château (lesen Sie hier mehr dazu), Les Demoiselles de Rochefort und Belle de Jour gedreht, das sollte man nicht vergessen. Und 1968 kam auch Truffauts Baisers Volés ins Kino, der Henri Langlois (der hat hier natürlich einen Post hat) gewidmet war, das war ein ganz anderes Kino.

Doch der Film Zur Sache Schätzchen, der ein wenig vom französischen Kino abgekupfert war (und ein klein wenig von À bout de souffle hatte), wurde in Deutschland ein ungeahnter Erfolg, über sechs Millionen Deutsche gingen ins Kino. Ich auch. Sogar zweimal. Es gab drei Bundesfilmpreise, die Goldene Leinwand, ein goldenes BAMBI und die deutsche Nominierung für Cannes. Und Uschi Glas hatte fortan den Spitznamen Schätzchen der Nation.

Gefilmt im Sommer 1967 in München-Schwabing, war "Zur Sache, Schätzchen" einer der Erfolgsfilme des Jahres 1968 - dem Geist der Zeit entspricht der Film dabei auf so unorthodoxe, spielerische Weise, dass er ihm eigentlich schon wieder zuwider läuft: "Zur Sache, Schätzchen", das ist der federleichte Traum, die Regeln der Gesellschaft mit nichts außer Kraft zu setzen, als mit ein paar Scherzen und sinnfreien Bemerkungen (von denen es einige, so "Es wird böse enden" zum geflügelten Wort gebracht haben). Hier kommt zuerst das Wurstbrot (bei dem "die Wurst so richtig überlappt"), dann die Weltrevolution. Schreibt der Spiegel, nun wissen wir Bescheid. Das Photo hier zeigt die beiden Hauptdarsteller im letzten Jahr.

Ein Zeitzeuge hat zu dem Film gesagt: Auf seine Weise hat mich der Film wohl auch deshalb angesprochen , weil er die Ereignisse von 1968 so ganz anders auf den Punkt brachte - eben nicht mit langen Theoriedebatten. Aber alles, was Martin tut oder vor allem nicht tut, ist Auflehnung, und er hat auch noch seinen Spaß dabei. Das war natürlich kein politisches Programm, aber es drückte den Umbruch aus, den wir, die wir damals Mitte 20 waren, verspürten. Der Zeitzeuge, der hier redet, wird Jahre später am Gitterzaun des Kanzleramts rütteln und Ich will da rein brüllen. Auch für ihn gilt einer der Sprüche des Films: Es wird böse enden.

Zur Sache Schätzchen war der beste Film von Uschi Glas, was danach kam, gehört nicht gerade zu den Perlen der Filmkunst: Der Gorilla von SohoImmer Ärger mit den PaukernZur Hölle mit den PaukernDie Tote aus der ThemseVerliebte Ferien in Tirol. Wir tun uns in Deutschland schwer mit komödienhafter Leichtigkeit. Wir haben jemanden wie Curt Goetz gar nicht verdient. Man kann den Film leicht preiswert als DVD bekommen, man kann ihn sich immer noch ansehen. Gut, er hat ein wenig Patina angesetzt. Aber Uschi Glas, Werner Enke und die Filmmusik (und das BMW Cabrio) reißen alles heraus. Man darf sich natürlich zuvor nicht Richard Lester wunderbaren Film The Knack …and How to Get It angesehen haben (Sie könnten jetzt noch mal eben den Post ➱Lester lesen). Die DVD enthält auch noch ein sehenswertes Interview mit Werner Enke und zwei Kurzfilme (Das Portrait und Das Manöver), allein diese Extras würden den Kauf der DVD lohnen.

Ich überlasse das letzte Wort zu dem Film Zur Sache Schätzchen Else Buschheuer, die in ihrem Buch Verrückt bleiben! Mein Leitfaden für freie Radikale über Strategien zur Bekämpfung von Depressionen schreibt: Ein frischer Schlafanzug wirkt manchmal Wun­der. Legen Sie eine DVD ein, nichts Neues, lieber einen vertrauten Film, über den Sie lachen oder wenigstens müde lächeln können. Für mich wäre das »Zur Sache, Schätzchen«, der hilft mir immer. Der Film ist auf illusionslose Weise lustig, er ist intelligent, aber nicht oberschlau, er ist sexy, aber frei von Kitsch. Ein kleiner Film für kleine Tage.

Uschi Glas wird heute (2.3.2014) siebzig, da gratulieren wir herzlich.

Schönheitssalon


Die Schnuckelige da in der Mitte ist Audrey Tautou in dem Film Vénus Beauté (1999), sie hatte mit diesem Film, der mit vier Césars prämiert wurde, ihren Durchbruch. Links neben ihr sitzt Nathalie Baye, die war schon richtig berühmt. 1973 hatte sie eine Nebenrolle als Scriptgirl in Truffauts Film Die amerikanische Nacht, gefolgt von einem Kurzauftritt in Der Mann, der die Frauen liebte. Danach bekam sie ihre erste große Hauptrolle als Partnerin Truffauts in dessen Film Das grüne Zimmer (1978). In dem Film über den Schönheitssalon Vénus Beauté Institut spielt sie eine vierzigjährige Kosmetikerin, die auf der Suche nach dem richtigen Mann ist. Nathalie Baye ist zwar schon fünfzig, aber das sieht man ihr nicht an, französische Filmschauspielerinnen sind alterslos.

Der Film Schöne Venus wurde am Montag von arte gezeigt, fünfzehn Jahre, nachdem arte die 25teilige TV Serie Vénus et Apollon, die aus dem Film entstanden war (es war die erste Serie, die arte produziert hatte), täglich gesendet hatte. Ich habe damals keine Folge verpasst. Die Serie hatte nicht mehr die Originalbesetzung, dafür aber eine Vielzahl von Cameo Auftritten von Berühmtheiten wie Marisa Berenson, Catherine Jacob und Marie-France Pisier, die schon in den ersten Filmen von Truffaut zu sehen gewesen war.

Man muss arte und 3sat ja dankbar sein, dass sie von Zeit zu Zeit einen französischen Film zeigen, der auch nach zwanzig Jahren immer noch frisch ist. Die Regisseurin Tonie Marshall hat mit Vénus Beauté eine romantic comedy gedreht, die manchmal auch ein wenig traurig ist. Ein Schönheitssalon in pastelligem Pink in einem Vorort von Paris. Eine Chefin (Bulle Ogier), drei Angestellte. Und viele Kundinnen, die auf der ewigen Suche nach Schönheit sind. Zu dieser Dame hier komme ich gleich noch.

Dennis Littrell konnte den Film nur empfehlen: See this for Nathalie Baye who gives the performance of a lifetime, simultaneously subtle and strong, vulnerable and willful. She makes us identify with her character and she makes us wish her love. Und er sagte in seiner Rezension: So this is a romantic comedy of sorts centered around a beauty parlor. 

However any resemblance to Hollywood movies in the same genre (Shampoo (1975) and Hairspray (1988) somehow come to mind) is purely coincidental. Here the salon is brightly and colorfully lit with a tinker bell as the door opens, and the clientele are eclectic to say the least: an exhibitionist who arrives in a raincoat and nothing else; a rich old man lusting after Tautou. Die Erwähnung der Exhibitionistin hat kein Rezensent ausgelassen. Sie kommt, nackt unter dem Regenmantel, in den Schönheitssalon, läuft nackt über die Flure und verläßt den Salon wieder mit ihrem Regenmantel. Es ist ein running gag, jeweils nur wenige Sekunden lang.

Als ich den Film vor zwanzig Jahren sah, fragte ich mich: Wer ist diese Frau? Ihr Name stand nicht auf dem Filmplakat. Heute weiß ich, wer sie ist. Sie heißt Claire Nebout, war eine Tänzerin, danach ein Mannequin (un métier sans intérêt) und wurde dann Schauspielerin. Alle drei Berufe haben damit zu tun, dass man seinen Körper zur Schau stellt. Und das tut Claire Nebout. In diesem Film für wenige Sekunden.

Ein Jahr später zog sie sich für den Photographen Jean-Pierre Larcher für den kurzen Dokumentarfilm Belles de Nuit aus. Für Larcher war das ein ein Dokumentarfilmprojekt, das er zehn Jahre später mit À la lueur des désirs und einem Photoband wiederholte. Die Barocklyriker hätten dafür kein Verständnis gehabt: Es wird der bleiche Tod mit seiner kalten Hand Dir endlich mit der Zeit umb deine Brüste streichen. Der liebliche Corall der Lippen wird verbleichen; Der Schultern warmer Schnee wird werden kalter Sand. Aber Claire Nebout wollte sich in À la lueur des désirs und Nus mit sechundvierzig noch einmal zeigen: c’est mon corps qui décidait de tout. Je comptais sur l’âge pour prendre ma revanche. Et bien voilà, nous y sommes.

Als Catherine Deneuve, die sich mit zweiundzwanzig für den Playboy ablichten ließ, in dem Alter von Nebouts erotischen Photos war, spielte sie in einem Film, der Nächtliche Sehnsucht: Hemmungslos hieß. Sie trug die ganze Zeit einen Pelzmantel und von hemmungslos war da gar nichts. Claire Nebout ist nicht so berühmt wie Catherine Deneuve (neben der sie übrigens 1986 in ihrem ersten Film Le Lieu du crime vor der Kamera steht), aber auf ihre Art ist die Schauspielerin, die in den letzten zehn Jahren häufiger auf der Bühne als auf dem Bildschirm zu sehen war, auch eine Berühmtheit.

Ein Schönheitssalon mit einer Glasfront und der Leuchtreklame Vénus Beauté Institut wird zu einem microcosme de la féminité (Gilles Verdiani). Und zu einem Schaufenster für Generationen von französischen Schauspielerinnen. Da ist Micheline Presle (die Mutter Regisseurin Tonie Marshall), die 1938 ihren ersten Film drehte, da ist Bulle Ogier, die ihren großen Erfolge in den sechziger Jahren hatte. Da ist Marie Rivière, die das Drehbuch zu Eric Rohmers wunderbarem Film Das grüne Leuchten schrieb, und da ist Audrey Tatou, die ihre Karriere noch vor sich hat, da ist Claude Jade, in die Truffaut so verliebt war. Und natürlich Nathalie Baye, who gives the performance of a lifetime. Und mittendrin für einen Augenblick Claire Nebout, die das Drehbuch als La cliente exhibitioniste verzeichnet. Dieser Film, der sich seine vier Césars verdient hat, beweist einmal mehr Truffauts Satz Le cinéma c'est de l'art de faire faire de jolies choses à de jolies femmes. Ob sie nun angezogen oder nackt sind.