Bettina von Arnim wurde am 4. April 1785 geboren. Als ich das las, fiel dazu als erstes das Buch Dies Buch gehört dem König ein. Gibt es als schön gemachtes Insel Taschenbuch, herausgegeben von Ilse Staff (und hier im Volltext). Aber dies revolutionäre Buch ist kein Gedicht. Obgleich es häufig sehr poetisch ist. Das erste Gedicht von Bettina von Arnim, das mir einfiel, war natürlich das Gedicht Auf diesem Hügel überseh ich meine Welt!, und das soll heute mein Gedicht des Tages sein:
Auf diesem Hügel überseh ich meine Welt!
Hinab ins Tal, mit Rasen sanft begleitet,
Vom Weg durchzogen, der hinüber leitet,
Das weiße Haus inmitten aufgestellt,
Was ist’s, worin sich hier der Sinn gefällt?
Auf diesem Hügel überseh ich meine Welt!
Erstieg ich auch der Länder steilste Höhen,
Von wo ich könnt die Schiffe fahren sehen
Und Städte fern und nah von Bergen stolz umstellt,
Nichts ist’s, was mir den Blick gefesselt hält.
Auf diesem Hügel überseh ich meine Welt!
Und könnt ich Paradiese überschauen,
Ich sehnte mich zurück nach jenen Auen,
Wo Deines Daches Zinne meinem Blick sich stellt,
Denn der allein umgrenzet meine Welt.
Das Gedicht steht in ihrem mehrbändigen Werk Goethes Briefwechsel mit einem Kinde in dem Abschnitt In Goethes Garten. Sie können in das Buch, das aus Originalbriefen, aber auch vielen erfundenen Schreiben besteht, hier hineinschauen. Es ist ein erstaunliches Werk, das dem Fürsten Pückler gewidmet ist (der kommt in diesem Blog immer wieder vor), der nicht nur ein großer Dandy ist und sich finanziell mir seinen Landschaftsparks ruiniert, nein, er fördert auch Dichter. Ganz oben ist ein Bild von Carl Blechen zu sehen. Dies hier ist vielleicht auch eins, man ist sich nicht so sicher. Auf jeden Fall hängt es im Fürst Pückler Museum, das passt doch. Und man kann von dem Hügel auch die Welt übersehen.
Bettina von Arnim bewunderte die Bilder von Carl Blechen, das tat damals nicht jeder. Die wenigen Bewunderer und Käufer seiner Bilder waren Bettina von Arnim, der Kunsthändler Louis Friedrich Sachse (mit dem Blechen einmal nach Paris reiste) und der Verlagsbuchhändler von Decker. Und dann war da noch der Bankier Brose, aus dessen Nachlass die Berliner Nationalgalerie ihre Blechens erworben hat. Bettina von Arnim hat den Plan, eins ihrer Bilder (eine kleinere Fassung dieses Bildes) in einer Lotterie zu verauktionieren (das Los kostet einen Louisdor). Mit dem Geld soll eine Italienreise für den schwerkranken Blechen finanziert werden. Auf keinen Fall soll ihn seine Frau begleiten. Als Begleiter hat sich Bettina den italienischen Arzt und Kunsthistoriker Giovanni Morelli (der hier einen Post hat) auserkoren.
In Italien, wo er seine schönsten Bilder malte, war Blechen glücklich. Jetzt steht er vor dem Wahnsinn. Es wird dunkler um ihn, am Ende bleibt nur die Irrenanstalt. Blechens Frau Henriette (eine gelernte Putzmacherin) kann es nicht ausstehen, dass sich die feine Dame Bettina von Arnim um ihren Mann kümmert. Die feine Dame verachtet wiederum die Schneidermamsell, 10 Jahre älter als er und macht Henriette für den desolaten Zustand des Malers verantwortlich. Wenn ich Ihnen den Namen Blechen nenne, so werden Sie sein Verdienst zu schätzen wissen und auch einen Teil seines Verhältnisses erraten, das ihn in diesen jammervollen Zustand brachte, schreibt sie an Moritz August von Bethmann-Hollweg. Zickenkrieg. Theodor Fontane, der eine Studie über Blechen schreiben wollte, wertet Henriette dagegen auf:
Aber das möchte ich mit annähernder Gewißheit sagen: Wenn es so gewesen ist, so ist nicht die Frau dafür verantwortlich zu machen. Im Gegenteil, nicht nur aus der Handlungsweise der Frau, wie sie sich in ihrem Testament und anderen Dingen ausspricht, sondern namentlich auch aus etwa dreißig mir vorliegenden Briefen und Briefchen der Frau geht hervor, daß es eine sehr gute, sehr verständige und, ich schreibe dies Wort mit allem Vorbedacht nieder, eine sehr edelmütige Frau gewesen ist, ganz schlicht, ganz einfach, ganz ohne 'Höhere Bildung', aber von allergesundestem Menschenverstand, und nicht bloß von richtigem, sondern auch von feinem Gefühl.
Das Bild oben (Nachmittag auf Capri) war einmal im Besitz von Bettina. Bettina fühlt mit, nicht mit Henriette, nur mit dem Maler Carl Blechen: Die Bilder, die er in seiner letzten Zeit gemalt, und worauf eine große Abspannung folgte, waren mit so gewaltiger Phantasie, die, im Zügel gehalten und der Natur treu sich anschmiegend, das Unmögliche auf die Leinwand zauberte. In jedem kleinen Gegenstand spiegelt sich die Aufregung des Gemüts, in dem die Natur wühlt, um ihm begreiflich zu werden. Dabei ist alles aufs innigste mit Fleiß und Demut vollendet und in der Harmonie wie in einem Netz gefangen. Unmöglich ist es, höheres Genie in irgendeinem Kunstwerk jetzt lebender Künstler zu entdecken. Allein, wie dem Fruchtbaum, je edler er ist, auch das Klima um so günstiger sein muß, um ihn vor Verderben zu schützen, so scheint es auch bei dem Menschen der Fall zu sein, dessen Intellektion so vom Genius aufgereizt ist, daß er mehr schafft, als er selber begreift.
Ich irre nicht, wenn ich Blechens gestörte Organisation dem Mangel an Teilnahme und Begriff seiner Mitwelt zuschreibe. Noch erhitzt von den Steigerungen seines Innern bei so kühnen Visionen prallte er von allen Seiten an das mauerfeste Gefängnis der Philisterwelt, die ihn umgab. Kaltes Mißverstehen, blödsinniges Urteil, neidisches Verzerren seiner gigantischen Versuche machten ihn rasend, und kein Tröpfchen Tau des Einverständnisses sollte ihn erquicken. Entzweiung mit sich selber, Verwirrung seines Instinktes war die Folge! War es optischer Betrug, daß er die Welt so schaute, war er’s allein, dem die kühnen Massen, die er auf die Berge und Felsen pflanzte, so edel und groß erschienen? Und das Licht, das aus seinem Pinsel strömte, sollte das bloß Fiktion sein und keine Wahrheit? Diese Streitfragen haben ihn gewaltiger angegriffen wie wohl keinen anderen, denn sein Alles stand auf dem Spiel, denn er war ganz durchdrungen vom Geist seiner Kunst, es hatte kein anderer Nebenzweck Platz in seiner Seele.
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