Donnerstag, 30. April 2020

les grandes horizontales


Ein Sieger, ein Besiegter. Der Sieger trägt einen Säbel und hat auch noch eine Pistole umgeschnallt. Sicher ist sicher, bei den Franzosen weiß man ja nie. Der Herr mit den roten Hosen ist der Kaiser von Frankreich, der gerade einen Krieg verloren hat.Verlieren kann er gut, zahlreiche seiner Putschversuche sind fehlgeschlagen, bevor er französischer Präsident wurde.

Am 2. Dezember des Jahre 1852, dem Jahrestag der Kaiserkrönung seines Onkels Napoleon Bonaparte, hatte sich Charles-Louis-Napoleon Bonaparte als Napoleon III zum Kaiser der Franzosen gekrönt. Knapp zwei Jahrzehnte  später sitzt er neben Bismarck nach der Schlacht von Sedan auf der Bank. Da heißt es dann Ab nach Kassel. Zu Hause wird er auch noch abgesetzt, und Wilhelm Busch dichtet Eins, zwei, drei – ich zähl' herum – Der Louis ist Napolium! Ich lasse den Louis heute mal ein wenig draußen vor, er hatte hier schon vor acht Jahren einen Post. Ich kapriziere mich heute einmal auf die Damen, die ihn umgeben. Wie diese Engländerin, die von einem seiner Verwandten begleitet, so elegant auf dem Pferd sitzt.

Nicht nur die Frauen kennt der Louis gut, auch Gefangenschaft und Exil kennt er gut. Wie man einen Krieg verliert, weiß er auch. Das Ergebnis seiner Intervention in Mexiko kennen wir alle, weil wir Robert Aldrichs Film ✺Vera Cruz gesehen haben und dieses Bild von Eduard Manet (das hier schon einen ausführlichen Post hat) im Kopf haben. Vielleicht hat sich der Louis auch von der Fürstin Pauline von Metternich, der besten Freundin seiner Frau (die man in Wien wegen ihrer Klatschsucht Mauline Petternich nennt) in das mexikanische Abenteuer reinquatschen lassen.

Das hier ist die Italienerin Virginia Oldoni, die Contessa di Castiglione, auf jeden Fall sieht sie in der Fernsehserie ✺Ottocento so aus, wenn ✺Virna Lisi sie spielt. Yvonne De Carlo ist allerdings in dem Film ✺La Contessa di Castiglione etwas züchtiger bekleidet. Bei ihrem ersten Auftritt in Paris trug die Contessa ein hauchdünnes Kleid mit aufgenähten Herzchen, die ihre Brustwarzen gerade mal eben bedeckten. Zwischen den Beinen war auch noch ein Stoffherz aufgenäht, das die Schamhaare nicht ganz bedeckte. Was die Kaiserin Eugénie zu dem Satz Das Herz dieser Dame sitzt wohl etwas tief veranlasste.

Frauen machen jetzt Politik. Und Mode. Hier ist die Castiglione mal züchtig bekleidet, von Alessandro Milesi gemalt. Sie wird auf hunderten von Photographien zum ersten Supermodell des 19. Jahrhunderts werden. Der Louis ist fasziniert von ihr, schenkt ihr teuren Schmuck, ein Haus in der Rue de Ponthieu und seidene Unterwäsche mit seinem Monogramm. Sie wird seine Maitresse, und sie zieht ihn in die Machtkämpfe um Italien und in den Sardinischen Krieg hinein. Diese Geschichte hätte ich gerne erzählt, aber sie steht schon in dem Zeitungsartikel Diese Sexfalle trieb Napoleon III. in den Krieg.

Es sind immer wieder die Frauen, die den entscheidungsschwachen Parvenu auf dem Kaiserthron antreiben. Auch seine Gattin Eugénie macht Politik, sie will den Krieg gegen die Preußen. Sie macht nicht nur Politik, sie macht auch Mode. Dies ist die Geburtsstunde der Haute Couture. Auf diesem Bild von Franz-Xaver Winterhalter trägt die Kaiserin Eugénie ein Kleid von Charles Frederick Worth (der hier schon einen Post hat), die Damen um sie herum wahrscheinlich auch alle.

Pauline Metternich (hier auch von Winterhalter gemalt) hat ihre Freundin die Kaiserin natürlich sofort überredet, dass man neuerdings nur noch Worth tragen kann. Das ist jetzt bei Kaiserinnen der letzte Schrei. Auch unsere Sissi hat Kleider von Worth getragen. Allerdings auch die Contessa Castiglione (das nackte Kleid mit den Herzchen war allerdings nicht von ihm), das wird jetzt ein teurer Spaß für den Louis Napoleon, den Victor Hugo als Napoleon le Petit verhöhnt hat, dass er die Garderobe seiner Gattin und seiner Maitressen bezahlen muss.

Die Kleider für die Courtesane Cora Pearl (die da oben im zweiten Absatz auf dem Pferd sitzt), die auch alle von Charles Frederik Worth kommen, braucht der Louis allerdings nicht zu bezahlen. Die bezahlen schon sein Halbbruder Charles Duc de Morny und sein Cousin Napoleon Joseph Charles Paul Bonaparte, deren Geliebte die Engländerin ist. Sie ist in der Welt der Aristokratie und der Demimonde so berühmt, dass sie in das Dictionary of National Biography aufgenommen wurde, und es gibt auch einen Film (Mam'zelle Bonaparte) über sie. Bei Amazon kann man ihre Memoiren kaufen, die den Titel Grand Horizontal haben, die sind zwar nicht von ihr, aber der Titel Grand Horizontal ist wunderbar.

Der Ausdruck kommt natürlich aus dem Französischen. Das zweite Kaiserreich ist die große Zeit der Courtesanen, es ist kein Zufall, dass Balzac einen Roman mit dem Titel Glanz und Elend der Kurtisanen schreibt. Wenn die Damen der Demimonde Glück haben, macht der Louis sie zur Gräfin, wie die Gräfin Valtesse de La Bigne. Einer ihrer Geliebten ist der Maler Henri Gervex, der auch dieses Bild gemalt hat. Die auf dem Bett hingegossene Dame ist allerdings nicht die Contessa, das ist Ellen Andrée, die vielen Malern der Belle Epoque als Modell gedient hat.

Balzac ist nicht der einzige, der über les grandes horizontales schreibt. Da haben wir auch noch Alexandre Dumas mit seinem Roman La dame aux Camelias. Und Emile Zola, der Nana schreibt. Eine Nana hat auch Manet gemalt, Modell stand ihm die Schauspielerin Henriette Hauser, die man Citron nannte. Sie war die Kokotte des niederländischen Prinzen Wilhelm von Oranien-Nassau, den die Presse jetzt nicht mehr Prince de Orange, sondern Prince de Citron nannte. Die Hamburger Kunsthalle besitzt dieses Bild, 1973 stand es im Zentrum der Ausstellung Nana – Mythos und Wirklichkeit, das schöne Katalogbuch von DuMont kann man noch antiquarisch finden.

Die Gräfin Valtesse de La Bigne, die in Zolas Roman Nana eine Rolle spielt, wird Louis Napoleon und das Zweite Kaiserreich überleben. Sie hatte vor ihrem Tod ihre eigene Todesanzeige vorbereitet: Man muss viel oder wenig lieben, gemäß der eigenen Natur, aber schnell, in einem Augenblick, so wie man den Gesang der Vögel liebt der unsere Seele erfüllt und den wir schon nach der letzten Note sofort wieder vergessen. So wie man die roten Schatten der Sonne liebt, die am Horizont verschwindet. Das Ende des Second Empire ist auch das Ende der großen Courtisanen und ihrer Salons, man macht sie für den verlorenen Krieg verantwortlich. Die Herren Worth und Bobergh schließen ihr Atelier in der Rue de la Paix. Das Musée d'Orsay hat der Prostitution in Paris, von den pierreuses, den Bordsteinschwalben, bis zu den grandes horizonztales eine große Ausstellung gewidmet. Die grandes horizontales sind Geschichte, die pierreuses gibt es immer noch.


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