Immer wieder bekomme ich Anfragen von Lesern, die nach der Lektüre eines Post, in dem auf das work in progress mit dem Titel Bremensien hingewiesen wurde, anfragen, wann das Buch denn erscheint. Sie müssen noch etwas warten, es ist erst einmal auf Eis gelegt, im Augenblick gefällt mir meine Tätigkeit als Blogger besser. Viel besser. Aber ich bin von Zeit zu Zeit versucht, kleine Teile aus den Bremensien hier zu veröffentlichen. Und da ich gerade die Freiin Gisela von Stoltzenberg in dem Post Bloomsday erwähnt habe und weil die Welt, die ich in Familiengeschichte schilderte, so zu ihrer Welt passte, dachte ich mir, dass diese kleine Erinnerung an eine außergewöhnliche Frau hier ganz schön sein würde.
Nach einem Abend bei ihr wird er beim Verlassen des Landhauses Sonnenhof (Bild) draußen Schafe sehen und die Baronin fragen, ob sie ihm für seinen Winter's Tale einige Schafe leihen würde. Er bekommt die Schafe, aber Frau von Stoltzenberg macht sich doch Sorgen. Es ist die berühmte Aufführung von 1978, bei der Zadek die ganze Bühne mit zwei Tonnen grünem, glibberigem slime überzogen hat, die Baronin macht sich da schon Gedanken, wie sich die beiden Schafe fühlen mögen. Die Schafe kommen in allen Besprechungen vor, auch in der Zeit, die in ihrer Besprechung schreibt: Slime heißt die Kanaille, eigentlich jüngster Hit auf dem Spielzeugmarkt. Ein Freund hatte Zadek eines Tages eine Dose davon auf den Tisch gestellt und der hat's dann gleich tonnenweise bestellt. Jetzt schwabbelt es über den Bühnenboden, tropft auch in Fäden und Fladen aus dem Theaterhimmel. Ein teurer Gag? Oder Ferment eines Kunstvorgangs, wie die beiden höchst lebendigen Schafe, deren unprogrammierbares 'Bäh' den Schauspielern gelegentlich in den Text fährt? Die Engländer finden Zadek nicht so witzig: Zadek’s dreadful Winter’s Tale in Hamburg, with a provincial prose text...stage covered in green ’slime‘, live sheep, and so on.
Dass jemand am Wochenende bei Frau von Stoltzenberg vorbeischaut, um sich alles über Shakespeare erzählen zu lassen, ist kein Einzelfall, eine Vielzahl von Publikationen von deutschen Wissenschaftlern enthält im Vorwort ihren Namen. Das klingt dann so: for a number of details I am indebted to Gisela Freiin von Stoltzenberg who pointed them out in private conversations many years ago. Diese privaten Gespräche mit ihr wirken noch Jahre nach. Manche kommen auch verstohlen und heimlich vorbei, damit die Kollegen es nicht erfahren. Sie hat nicht sehr viel veröffentlicht, aber wenn es galt, eine Frau wie Elida Maria Szarota zu ehren, dann war sie in deren Festschrift natürlich mit einem Beitrag vertreten.
Sie hat niemals eine Professur für Anglistik gehabt, und doch akzeptiert sie jeder als Autorität. Wahrscheinlich liegt das daran, dass sie das Oxford English Dictionary auswendig kann (ihr Französisch ist auch perfekt). Gut, das OED kann niemand auswendig, aber wenn irgendjemand nahe daran kommt, dann ist sie es. Als ich ihr erzähle, dass ich meine Doktorarbeit nun doch nicht über englische Lyrik und Landschaftsmalerei im 18. Jahrhundert schreiben werde, sondern über den englischen Spionageroman, sagt sie mir: Der Ian, der kommt ja aus einer guten Familie. Der Ian ist natürlich Ian Fleming, und natürlich kennt sie seine Familie. Witzigerweise bekomme ich bei diesem Gespräch heraus, dass sie Graham Greene (der natürlich in meiner Arbeit auftauchen wird) überhaupt nicht ausstehen kann. Die Entschiedenheit, mit der sie sein Werk ablehnt, erstaunt mich. Wir reden nicht weiter über dieses Thema.
Vielleicht hätte ich Sir Hugh Greene, der seinem Bruder eines Tages das Graham Greene Kapitel meines Buches übersetzt, mal fragen sollen, ob sein Bruder und die Baronin sich kannten. Aber wahrscheinlich ist es seine Hinwendung zum Katholizismus, die der entschiedenen Protestantin nicht gefällt. Beinahe jeden Schriftsteller, der in den dreißiger Jahren in Paris war (und das ist die halbe Literatur des 20. Jahrhunderts), kennt sie persönlich. Von 1929 bis 1939 ist sie Wissenschaftliche Assistentin im Sekretariat des Völkerbundes in Genf. Deshalb kennt sie auch Eamon de Valera. Sie hat mir einmal ein Photo von James Joyce geschenkt. Das habe ich dann so gut weggepackt, dass ich es bis heute nicht wieder gefunden habe. Sonst habe ich noch alles, was sie mir geschenkt hat: die Bücher aus dem 18. Jahrhundert, den gläsernen Aschenbecher und den Einblick in Demut und Bescheidenheit bei der größten vorstellbaren Bildung.
Sie hat niemals eine Professur für Anglistik gehabt, und doch akzeptiert sie jeder als Autorität. Wahrscheinlich liegt das daran, dass sie das Oxford English Dictionary auswendig kann (ihr Französisch ist auch perfekt). Gut, das OED kann niemand auswendig, aber wenn irgendjemand nahe daran kommt, dann ist sie es. Als ich ihr erzähle, dass ich meine Doktorarbeit nun doch nicht über englische Lyrik und Landschaftsmalerei im 18. Jahrhundert schreiben werde, sondern über den englischen Spionageroman, sagt sie mir: Der Ian, der kommt ja aus einer guten Familie. Der Ian ist natürlich Ian Fleming, und natürlich kennt sie seine Familie. Witzigerweise bekomme ich bei diesem Gespräch heraus, dass sie Graham Greene (der natürlich in meiner Arbeit auftauchen wird) überhaupt nicht ausstehen kann. Die Entschiedenheit, mit der sie sein Werk ablehnt, erstaunt mich. Wir reden nicht weiter über dieses Thema.
Vielleicht hätte ich Sir Hugh Greene, der seinem Bruder eines Tages das Graham Greene Kapitel meines Buches übersetzt, mal fragen sollen, ob sein Bruder und die Baronin sich kannten. Aber wahrscheinlich ist es seine Hinwendung zum Katholizismus, die der entschiedenen Protestantin nicht gefällt. Beinahe jeden Schriftsteller, der in den dreißiger Jahren in Paris war (und das ist die halbe Literatur des 20. Jahrhunderts), kennt sie persönlich. Von 1929 bis 1939 ist sie Wissenschaftliche Assistentin im Sekretariat des Völkerbundes in Genf. Deshalb kennt sie auch Eamon de Valera. Sie hat mir einmal ein Photo von James Joyce geschenkt. Das habe ich dann so gut weggepackt, dass ich es bis heute nicht wieder gefunden habe. Sonst habe ich noch alles, was sie mir geschenkt hat: die Bücher aus dem 18. Jahrhundert, den gläsernen Aschenbecher und den Einblick in Demut und Bescheidenheit bei der größten vorstellbaren Bildung.
Vielleicht muss man dafür adlig sein, um diesen Stil zu haben. Seit Friedrich Heinrich, der Markgraf von Brandenburg-Schwedt, seine Geliebte Marie Magdalena Kramann zur Freifrau von Stoltzenberg gemacht hat, gibt es diese Familie. Diese Namenswahl war nicht zufällig, Stoltzenberg ist der Name seines Stammschlosses. Diese Stoltzenbergs gehören zum Haus Preußen, wenn auch nur in einer Nebenlinie. Das hat sie nie erzählt, noblesse oblige. Als ich nach Kiel komme und sofort in ihrem Proseminar über James Joyces Dubliners lande, ist sie schon weit jenseits der Pensionsgrenze. Das weiß aber niemand von uns, keiner ahnt, wie alt sie ist. Eigentlich ist sie völlig zeitlos. Sie trägt Kleider, die nur für sie geschneidert werden, eine Mischung von englischem gown und einem Überkleid. Häufig in schottischen Tartanmustern, die ihre kleine, etwas rundliche Figur elegant umhüllen. Ihre grauen Haare trägt sie in einer Pagenfrisur, sie wirkt wie aus einer anderen Epoche. Als sie geboren wurde, lebte die Königin Victoria noch. Dabei lebt die Freiin trotz ihres Alters völlig quirlig im hic et nunc. Auf alten Schwarzweißphotos wirkt ihr Gesicht jugendlich, für ihr Lachen fällt mir nur das englische Wort impish ein.
Sie ist auf vielen studentischen Demos zu finden, ihr Name steht 1966 zusammen mit der crème de la crème der deutschen Intelligenz in der Zeit unter einer Anzeige gegen den Vietnamkrieg, sie hat eine vollständige Sammlung der Platten der Pilzköpfe aus Liverpool. Sie soll an der Sorbonne studiert haben. Hinter ihrem Doktortitel steht sc.pol. nicht phil., das ist außergewöhnlich (sie hat 1945 über Probleme der Wirtschaftsplanung im kolonialen Afrika promoviert). Ihre ganze Laufbahn ist außergewöhnlich. Sie hat Jura studiert, muss aber auch irgendwann Malerei studiert haben, sie malt gerne, schätzt ihr Talent aber gering ein. Obgleich eine Vielzahl von Malern und Malerinnen in der Familie sind. Nach ihrer Zeit beim Völkerbund ist sie 1940 Wissenschaftliche Assistentin am Institut für Weltwirtschaft in Kiel gewesen, hat ab dem Sommersemester 1943 englische Sprachkurse gegeben und wurde am 1. November 1946 Lektorin für englische Sprache und Geschichte.
In den dreißiger Jahren war ihr Vater, wie viele kaisertreue Adlige, im Stahlhelm und anderen Kriegervereinen. Dort wird der ehemalige königlich preußische Oberst im Großen Generalstab im Jahre 1933 bei einer Versammlung sagen Wir brauchen uns daher weder um Partei noch Parteipolitik zu kümmern. Unsere Politik heißt ’Soldatentum‘. Das würde mein Opa genau so gesehen haben. Der macht in diesem Jahr noch einen verzweifelten Versuch, seinen Frontsoldatenbund aus der Gleichschaltung zu befreien. Er fährt in seiner Stahlhelmuniform nach Berlin, um in einem Ministerium vorzusprechen, Onkel Karl kann sich noch daran erinnern, wie Opa plötzlich in Uniform beim Bruder Carl auftauchte. In der Parteileitung des Kreises Stormarn hört man die Sätze des preußischen Barons aus Trittau nicht so gerne. Und wenn er die neuen NSDAP Bürgermeister als Dorf-Mussolinis bezeichnet, hat er die Gestapo als Hals. Dies Bild zeigt die Freiwillige Feuerwehr von Trittau bei einem Konzert im Garten des Stoltzenbergschen Landsitzes, der Oberst ist selbstverständlich ein Mitglied der Feuerwehr.
In den dreißiger Jahren war ihr Vater, wie viele kaisertreue Adlige, im Stahlhelm und anderen Kriegervereinen. Dort wird der ehemalige königlich preußische Oberst im Großen Generalstab im Jahre 1933 bei einer Versammlung sagen Wir brauchen uns daher weder um Partei noch Parteipolitik zu kümmern. Unsere Politik heißt ’Soldatentum‘. Das würde mein Opa genau so gesehen haben. Der macht in diesem Jahr noch einen verzweifelten Versuch, seinen Frontsoldatenbund aus der Gleichschaltung zu befreien. Er fährt in seiner Stahlhelmuniform nach Berlin, um in einem Ministerium vorzusprechen, Onkel Karl kann sich noch daran erinnern, wie Opa plötzlich in Uniform beim Bruder Carl auftauchte. In der Parteileitung des Kreises Stormarn hört man die Sätze des preußischen Barons aus Trittau nicht so gerne. Und wenn er die neuen NSDAP Bürgermeister als Dorf-Mussolinis bezeichnet, hat er die Gestapo als Hals. Dies Bild zeigt die Freiwillige Feuerwehr von Trittau bei einem Konzert im Garten des Stoltzenbergschen Landsitzes, der Oberst ist selbstverständlich ein Mitglied der Feuerwehr.
Der Rechtsritter des Johanniterordens Max von Stoltzenberg ist auch Kirchenältester (er wird die Glasfenster der Kirche in Trittau spenden). Die Autorität des kaiserlichen Obristen, der einmal Militärattaché an der deutschen Botschaft in Madrid gewesen ist, wird im Ort nicht angetastet. Auch nicht in der Familie. Als seine Tochter ihre große Liebe, ihren langjährigen englischen Freund heiraten will, kommt aus seinem Mund ein schroffes Nein. Ein Engländer, der noch dazu Jude ist, das geht für den Freiherrn nicht. Wie alle wissen, opferte Tante Gila ihre Liebe der Liebe zu ihren Eltern, was für uns Heutige in Zeiten von Gleichberechtigung und Selbstbestimmung nur schwer nachvollziehbar ist, resümiert ihr Neffe in seinen Lebenserinnerungen. Gisela von Stoltzenberg ist Mitglied der Bekennenden Kirche gewesen, Dietrich Bonhoeffer war für sie ein Vorbild. Eugen Gerstenmaier auf keinen Fall. Der soll Kirchengelder veruntreut haben, was nicht bekannt geworden sei. Sie will aber nicht darüber sprechen. Sie ist über jedes Tagesgeschehen bestens informiert. Das Gespräch über Gerstenmaier haben wir 1969 vor dem Hintergrund der Gerstenmaier Affäre, bei der dem Bundestagspräsidenten auf Grund eines Gesetzes, an dessen Entstehung er selbst beteiligt war, 281.107 DM für eine entgangene eventuelle professorale Tätigkeit zugesprochen werden. Viele Hochschullehrer, die von den Nazis aus dem Amt vertrieben werden, erhalten keinen Pfennig.
Viele Ungerechtigkeiten können sie aufregen. Eigentlich ist diese Frau, die damals weit über siebzig ist, eine echte 68erin. Die Texte für ihre Seminare tippt sie selbst mit mehreren Lagen hauchdünnen Durchschlagpapiers, das Institut besitzt noch keinen Photokopierer. Ihre Seminare sind klein, aber deshalb bin ich ja nach Kiel gegangen. Mit 150 Studenten im Hebbelsaal in einem Proseminar über Thomas Manns Erzählungen zu sitzen, bringt unterm Strich nichts. Mit acht Leuten in ihrem W.H. Auden Seminar zu sein, das bringt schon etwas - es wird mir eines Tages noch mehr bringen als ich ahne. Obgleich es manchmal demoralisierend ist: als ich gerade eine schöne Interpretation eines Gedichtes von Auden vorgetragen habe, bricht sie in ihr berühmtes Kichern aus. Nein, daran hätte Auden nicht gedacht. Sie sei zufälligerweise dabei gewesen, als Auden in Paris dieses Gedicht in einem Straßencafe konzipiert hätte. Obgleich das eine interessante Sichtweise sei, die ich da hätte. Aber sie zeigt mir die Schwächen meiner Argumentationskette aus dem Text heraus. Sie beherrscht die englische Sprache mit allen Nuancen wie niemand sonst. Als ich ihr meine erste Publikation über Edgar Allan Poe zusende, wird sie mir in einem langen Brief beweisen, dass ich mit einer Bemerkung über den Prosastil von Poe und Cooper absolut falsch läge; sie zitiert auch gleich ein halbes Dutzend Belegstellen, die ihr Argument unterstützen. Wahrscheinlich aus dem Gedächtnis.
Sie ist eine der wenigen, die ich in meinem Literaturstudium kennenlerne, die die Literatur wirklich liebt. Als T.S. Eliot starb, hat sie ihm Hörsaal geweint. Es ist leider in der Anglistik heute völlig aus der Mode gekommen, dass man die Literatur liebt, die Texte kennt oder im Hörsaal weint. Es ist auch leider vor meiner Zeit in Kiel gewesen, dass sie eine Vorlesung über Faulkner gehalten hat, das hat mir Peter Nicolaisen erzählt, der das Vorlesungsmanuskript besitzt. Wenn ihre Seminare ansonsten glücklicherweise nicht überlaufen sind, ihre Shakespeare Mittelseminare sind immer knüppeldicke voll. Das ist ein Pflichtkurs, ohne den kommt man nicht ins Hauptstudium. Da muss man ein Referat halten oder eine dreistündige Klausur schreiben, und diese Klausur hat es in sich. Man ist gut beraten, wenn man die Bücher von Rosamund Tuve, G. Wilson Knight und E.M.W.Tillyard kennt. Das Niveau wäre heute weit oberhalb der Staatsexamensklausuren, woran man wieder den Substanzverlust des Faches ablesen kann. Ich bin auch in ihrem Seminar über Miltons kleinere Dichtungen gewesen, was mir eines Tages, obgleich ich Milton eigentlich nicht ausstehen kann, eine schöne Substanz für meine Tätigkeit als Assistent bei Helmut Papajewski geben wird. Der wird nämlich ein Semester lang nichts als Milton machen und immer über meine Kenntnisse staunen.
Man legt ihr irgendwann den Abschied nahe, da muss sie schon beinahe achtzig sein. Sie wird ihren Lieblingsstudenten schöne Buchgeschenke machen. Eigentlich hätten wir ihr etwas Tolles schenken sollen. Sie bietet dem Englischen Seminar G. C. Lichtenberg’s ausführliche Erklärung der Hogarthischen Kupferstiche, mit verkleinerten aber vollständigen Copien derselben von E. L. Riepenhausen (mit dem Tafelband von Riepenhausen) zum Kauf an. Das Paket liegt Monate bei Professor X auf dem Schrank und setzt schon Staub an. Irgendwann frage ich sie, was es kosten soll. Ob sie es mir verkaufen würde? Für 150 Mark (was für mich damals sehr viel Geld ist) gehören mir seitdem die gesamten Originallieferungen und der Tafelband, in dem Riepenhausen Hogarths Kupferstiche kopiert hat. Diese Geschichte zeigt aber auch, dass die Seminarleitung nur aus Banausen besteht. Einen originalen Lichtenberg nicht für die Bibliothek zu kaufen! Die Baronin wird in ihrer Wohnung im Dachgeschoß des Hauses, in dem unten die Buchhandlung Dawartz ist, eine Abschiedsparty geben, bevor sie sich auf den Familiensitz nach Trittau zurückzieht. Die kleine Gesellschaft besteht aus ausgewählten Angehörigen des Englischen Seminars, Freundinnen von ihr, die aussehen, als seien sie Malerinnen oder Bildhauerinnen (was sie wahrscheinlich auch sind) und einem jungen Schauspieler in einem wunderbar farbigen Hemd. Sieht aus, als käme es aus der Carnaby Street oder von Gucci.
Der geschäftsführende Direktor X tritt natürlich wieder in jedes gesellschaftliche Fettnäpfchen, dafür ist er berühmt. Der Picasso Druck hängt bei uns zuhause auch in der Küche, trompetet er heraus. Ja, nur ist dies ein von Picasso signiertes Original. Als X irgendwann mit einer gesellschaftlichen Ungeschicktheit (es ist erstaunlich, wie wenige Professoren sich damals gesellschaftlich benehmen können) ein kleines Gelächter verursacht, setzt er sich in eine Ecke und schmollt. Peter Nicolaisen muss eine Viertelstunde auf ihn einreden, damit er seine Abschiedsrede hält. Aber dann erleben wir die Verwandlung von Hyde zu Jekyll, er wird eine sehr erstaunliche, anrührende Rede halten. Hätte ihm eine Viertelstunde zuvor keiner zugetraut.
Ich werde die Baronin häufig in Trittau besuchen (hier eine Ecke des Gutshauses Sonnenhof). Viele ihrer Studenten werden sie noch besuchen. Ich schicke ihr alle meine Publikationen, wenn man noch jung in der wissenschaftlichen Welt ist, ist man ja auf jede Veröffentlichung stolz. Sie wird loben und tadeln, und ich nehme das ernst. Ich werde einmal beim Abendessen in Trittau einen wunderbaren faux pas begehen, wenn ich in Anwesenheit ihres Neffen, der gerade zu Besuch ist, gehässige Bemerkungen über Porsche Cabrio Fahrer in van Laack Hemden mache. Es sind bei mir immer wieder Reste aus einer revolutionären Phase vorhanden (obgleich ich selbst Hemden dieser Firma trage). Der adlige Neffe sagt mir, dass das Hemd unter seinem gelben Pullover auch von der Firma van Laack sei (wenn man adlig ist, muss man wahrscheinlich Hemden mit dem Krönchen tragen). Und sein Auto draußen auf dem Kies sei ein Porsche. Touché. Meine Frau weiß nicht, wohin sie gucken soll. Aber die Baronin bricht in ein solch ansteckendes Kichern aus, dass wir alle zu lachen anfangen.
Man legt ihr irgendwann den Abschied nahe, da muss sie schon beinahe achtzig sein. Sie wird ihren Lieblingsstudenten schöne Buchgeschenke machen. Eigentlich hätten wir ihr etwas Tolles schenken sollen. Sie bietet dem Englischen Seminar G. C. Lichtenberg’s ausführliche Erklärung der Hogarthischen Kupferstiche, mit verkleinerten aber vollständigen Copien derselben von E. L. Riepenhausen (mit dem Tafelband von Riepenhausen) zum Kauf an. Das Paket liegt Monate bei Professor X auf dem Schrank und setzt schon Staub an. Irgendwann frage ich sie, was es kosten soll. Ob sie es mir verkaufen würde? Für 150 Mark (was für mich damals sehr viel Geld ist) gehören mir seitdem die gesamten Originallieferungen und der Tafelband, in dem Riepenhausen Hogarths Kupferstiche kopiert hat. Diese Geschichte zeigt aber auch, dass die Seminarleitung nur aus Banausen besteht. Einen originalen Lichtenberg nicht für die Bibliothek zu kaufen! Die Baronin wird in ihrer Wohnung im Dachgeschoß des Hauses, in dem unten die Buchhandlung Dawartz ist, eine Abschiedsparty geben, bevor sie sich auf den Familiensitz nach Trittau zurückzieht. Die kleine Gesellschaft besteht aus ausgewählten Angehörigen des Englischen Seminars, Freundinnen von ihr, die aussehen, als seien sie Malerinnen oder Bildhauerinnen (was sie wahrscheinlich auch sind) und einem jungen Schauspieler in einem wunderbar farbigen Hemd. Sieht aus, als käme es aus der Carnaby Street oder von Gucci.
Der geschäftsführende Direktor X tritt natürlich wieder in jedes gesellschaftliche Fettnäpfchen, dafür ist er berühmt. Der Picasso Druck hängt bei uns zuhause auch in der Küche, trompetet er heraus. Ja, nur ist dies ein von Picasso signiertes Original. Als X irgendwann mit einer gesellschaftlichen Ungeschicktheit (es ist erstaunlich, wie wenige Professoren sich damals gesellschaftlich benehmen können) ein kleines Gelächter verursacht, setzt er sich in eine Ecke und schmollt. Peter Nicolaisen muss eine Viertelstunde auf ihn einreden, damit er seine Abschiedsrede hält. Aber dann erleben wir die Verwandlung von Hyde zu Jekyll, er wird eine sehr erstaunliche, anrührende Rede halten. Hätte ihm eine Viertelstunde zuvor keiner zugetraut.
Ich werde die Baronin häufig in Trittau besuchen (hier eine Ecke des Gutshauses Sonnenhof). Viele ihrer Studenten werden sie noch besuchen. Ich schicke ihr alle meine Publikationen, wenn man noch jung in der wissenschaftlichen Welt ist, ist man ja auf jede Veröffentlichung stolz. Sie wird loben und tadeln, und ich nehme das ernst. Ich werde einmal beim Abendessen in Trittau einen wunderbaren faux pas begehen, wenn ich in Anwesenheit ihres Neffen, der gerade zu Besuch ist, gehässige Bemerkungen über Porsche Cabrio Fahrer in van Laack Hemden mache. Es sind bei mir immer wieder Reste aus einer revolutionären Phase vorhanden (obgleich ich selbst Hemden dieser Firma trage). Der adlige Neffe sagt mir, dass das Hemd unter seinem gelben Pullover auch von der Firma van Laack sei (wenn man adlig ist, muss man wahrscheinlich Hemden mit dem Krönchen tragen). Und sein Auto draußen auf dem Kies sei ein Porsche. Touché. Meine Frau weiß nicht, wohin sie gucken soll. Aber die Baronin bricht in ein solch ansteckendes Kichern aus, dass wir alle zu lachen anfangen.
Der Neffe, Jobst von Nordheim, ist (obgleich er Porschefahrer ist) ein ganz reizender und gebildeter Mann. Er wird im Alter ein kleines Buch mit dem Titel Verlorene Jahre darüber schreiben, wie der Krieg und die Nazis ihm einen Teil seines Lebens geraubt haben. Der junge von Nordheim gehörte - wie der Rest seiner Familie - zur Bekennenden Kirche, Helmut Gollwitzer hatte ihn konfirmiert. Er wird Fahnenjunker im Infanterie Regiment 17 weil er glaubt, sich so allen Nazi Organisationen entziehen zu können. Es musste für ihn diese Einheit sein, die als Nachfolger der braunschweigischen Husaren ein Totenkopf Emblem tragen. Nur mit Mühe wird er in der Gefangenschaft einen jungen russischen Leutnant davon überzeugen können, dass dieses Symbol nichts mit der Totenkopf SS zu tun hat. Der Leutnant der Roten Armee spricht perfekt Deutsch, er hat vor dem Krieg in München Germanistik studiert. Kurz vor seinem Tode reicht Jobst von Nordheim noch einen Entwurf bei dem Wettbewerb für das Berliner Holocaust Mahnmal ein.
Als er noch ein kleiner Junge war, träumte Jobst von Nordheim davon, Förster in der Hanheide, den großen Wäldern von Trittau, zu werden. Ein anderer, den er eines Tages kennenlernen wird, wird diesen Traum leben. Der heißt Bernd Heinrich und ist ein weltberühmter Biologe. In seinen Memoiren The Snoring Bird: My Family’s Journey Through a Century of Biology wird Heinrich in dem Kapitel In the Enchanted Forest darüber schreiben, wie seine Familie auf der Flucht 1945 zu dem Oberst von Stoltzenberg nach Trittau gelangte. Das sind jetzt die Tage, in denen der halbe Adel des deutschen Ostens nach Schleswig-Holstein kommt. Heinrichs Vater Gerd, hatte von seinem Freund, dem Hobbyornithologen Hans von Nordheim, den Rat bekommen, zur Familie seines Schwiegervaters zu gehen. Aber der Oberst von Stoltzenberg hat das Haus schon voll mit Flüchtlingen und kann der Familie Heinrich als Provisorium nur eine Waldhütte anbieten. Dort wird der kleine Bernd Heinrich die nächsten fünf Jahre leben. Heute ist das für ihn a dreamlike fairyland in my memory. Heute lebt der emeritierte Professor in einer Blockhütte im Wald von Maine. Der Mann, der kein Förster wurde und der andere Mann, dessen Fähigkeiten zur Beobachtung der Natur im Wald von Trittau geschult wurden, haben sich übrigens eines Tages getroffen: Around 1990, when I was starting to pursue my father's roots, I received a letter from Jobst von Nordheim of Trittau, our destination after the war. Jobst had just read my book 'Ravens in Winter', and he wondered if I might possibly be Gerd's son because 'all tracks in the raven book I just read lead to Trittau and the Hahnheide and the years of the Flüchtlinge'.
Das Landhaus Sonnenhof gehört der Familie seit Ende des Ersten Weltkriegs, es hat innen schon beinahe museale Züge, alles was eine Adelsfamilie über die Jahrhunderte angehäuft hat, hat irgendwo seinen Platz. Hier ist nie etwas weggeworfen worden. Es ist auch 1945 nicht geplündert worden, die Baronin hat den englischen Truppen sehr energisch in blütenreinem Oberklassenenglisch eine kleine Rede gehalten, woraufhin die abzogen. Jeder Hamburger Antiquitätenhändler würde hier nach fünf Minuten einen Herzinfarkt bekommen, wenn er diese Ansammlung von Kunstwerken und Antiquitäten zu Gesicht bekäme. Hier gibt es blaue Spode ware aus dem 18. Jahrhundert, mindestens fünfzig Gedecke. Und überall Chinoiserien (ihr Vater ist als Offizier bei den deutschen Truppen zur Niederschlagung des Boxeraufstands gewesen).
Dies alles hat nichts von einer neureichen Inszenierung aus Schöner Wohnen, alles ist an seinem Platz, an dem es schon seit Jahrzehnten ist. Ich versuche, ein auf Holz gemaltes Ölbild, das genialisch lieblos an eine Tür genagelt wurde, zu datieren. Sie stimmt der Datierung zu Das war die Luzie, sie ist dann und dann ins Kloster gegangen, das muss also noch vorher gemalt sein. Die Luzie ist nicht gestern ins Kloster gegangen, sondern vor einigen hundert Jahren, aber es klingt bei ihr, als wäre diese junge Frau in Öl immer noch Teil der Familie. Einen Leipziger Tischbein gibt es auch, nicht weil es ein Tischbein ist, sondern weil Verwandte auf dem Bild sind. Es sind überall identifizierbare Verwandte auf den Bildern. Wenn es einmal Landschaftsbilder gibt, dann sind die von einem Mitglied der Familie wie Leo von König, bei dem seine Cousine Mary Freiin Knigge in Berlin Mal- und Zeichenunterricht gehabt hat. Die Cousine der Baronin wird heute dem Kreis der Berliner Secession zugerechnet.
1989 wird mir der Bruder, Max-Ulrich Freiherr von Stoltzenberg, mitteilen, dass seine geliebte letzte Schwester gestorben ist. Sie ist beinahe 95 Jahre alt geworden. Die Handschrift von ihrem Bruder, der neben seiner Tätigkeit als Amtsgerichtsrat in Schleswig ein renommierter Fontaneforscher gewesen ist, sieht beinahe aus wie ihre Handschrift. Ich treffe Monate später auf der Holstenstraße in Kiel G., mit der ich studiert habe. Sie fragt mich, ob ich noch Bücher aus dem Nachlass haben wolle, der Neffe habe mit ihr telephoniert. Ich weiß nicht, wo der Porschefahrer die Telephonnummer von G. her hat. Aber ich habe schon so viel von der Baronin bekommen, dass ich das großzügige Angebot ausschlage. G., die vom Kommunismus bis zum Feminismus jeden Trend mitgemacht hat, ist eine treue Seele und hat nie den Kontakt zu ihrer alten Dozentin abreißen lassen. Sie hat aber nie zu diesen elitären Intellektuellen und heimlichen Dichtern gehört, die die Baronin magisch anzog. Wie Bernhard Glienke, der für den Band Makrelen für Kalliope die einzigen wirklich guten Gedichte beisteuern. Er wird Professor in Cambridge werden und leider früh sterben. Dichter sterben immer früh.
Ihre Briefe sind über die Jahre noch immer voll von dem, was sie in einem Kommentar zu meinem Ian Fleming Kapitel als die beiden wichtigsten ’saving graces’ von Ian Fleming beschreibt: nämlich der völlige Unernst und der gute Stil. Auch sie kann herzerfrischend komisch sein, sie bewahrt sich auch im Alter ein manchmal kindliches Vergnügen an vielen Dingen. Und wenn jemand einen guten Stil schreibt, dann ist sie es. Die Villa Sonnenhof steht heute unter Denkmalschutz. Der Architekt Jobst von Nordheim hat in dem Buch eines Lokalhistorikers eine kleine, liebevolle Geschichte des Sonnenhofs geschrieben. Die Tätigkeit der Baronin ist von der Universität Kiel nie gewürdigt worden. Die Universität von Pittsburgh allerdings hat nach ihrem Tode einen Bibliotheksraum nach ihr benannt.
Es ist auch eine untergegangene Welt, die die Baronin verkörperte. Es ist eher die Welt des Hamburger Großbürgertums, wie sie Ascan Klée Gobert (der Vater von Boy Gobert) in seinen autobiographischen Skizzen so einfühlsam beschrieben hat. Es hat eher etwas von dieser Englandbegeisterung, die die Deutsch-Engländerin Gertrude von Sanden-Toussainen (die als M.B. Kennicott schrieb) in ihrem Roman Die Geschichte der Tilmansöhne heraufbeschworen hat. Ludwig Renn (der eigentlich Arnold Vieth von Golßenau hieß) hat über sein Buch Adel im Untergang gesagt: Man sollte mein Buch auch als historisches Dokument sehen, das einfach festhält, was bald niemand mehr von nahem erlebt haben wird. Wenn ich sie fragte Warum schreiben Sie das alles nicht einmal auf?, brachte ich sie damit in Verlegenheit, es gab nicht einmal ihr berühmtes Kichern. Ich glaube, sie hat in ihrer Bescheidenheit niemals ihre eigene wirkliche Größe wahrhaben wollen.
Ihre Briefe sind über die Jahre noch immer voll von dem, was sie in einem Kommentar zu meinem Ian Fleming Kapitel als die beiden wichtigsten ’saving graces’ von Ian Fleming beschreibt: nämlich der völlige Unernst und der gute Stil. Auch sie kann herzerfrischend komisch sein, sie bewahrt sich auch im Alter ein manchmal kindliches Vergnügen an vielen Dingen. Und wenn jemand einen guten Stil schreibt, dann ist sie es. Die Villa Sonnenhof steht heute unter Denkmalschutz. Der Architekt Jobst von Nordheim hat in dem Buch eines Lokalhistorikers eine kleine, liebevolle Geschichte des Sonnenhofs geschrieben. Die Tätigkeit der Baronin ist von der Universität Kiel nie gewürdigt worden. Die Universität von Pittsburgh allerdings hat nach ihrem Tode einen Bibliotheksraum nach ihr benannt.
Es ist auch eine untergegangene Welt, die die Baronin verkörperte. Es ist eher die Welt des Hamburger Großbürgertums, wie sie Ascan Klée Gobert (der Vater von Boy Gobert) in seinen autobiographischen Skizzen so einfühlsam beschrieben hat. Es hat eher etwas von dieser Englandbegeisterung, die die Deutsch-Engländerin Gertrude von Sanden-Toussainen (die als M.B. Kennicott schrieb) in ihrem Roman Die Geschichte der Tilmansöhne heraufbeschworen hat. Ludwig Renn (der eigentlich Arnold Vieth von Golßenau hieß) hat über sein Buch Adel im Untergang gesagt: Man sollte mein Buch auch als historisches Dokument sehen, das einfach festhält, was bald niemand mehr von nahem erlebt haben wird. Wenn ich sie fragte Warum schreiben Sie das alles nicht einmal auf?, brachte ich sie damit in Verlegenheit, es gab nicht einmal ihr berühmtes Kichern. Ich glaube, sie hat in ihrer Bescheidenheit niemals ihre eigene wirkliche Größe wahrhaben wollen.
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