Donnerstag, 5. Juni 2025

Malweiber

Als ich in dem Post Marie Krøyer das Wort Malweiber benutzte, zögerte ich einen Augenblick. Das Wort, das man heute ironisch für die ersten Malerinnen in der Kaiserzeit verwendet, war im 19. Jahrhundert nur ein Schimpfwort. Im Simplicissimus konnte man 1901 unter der Zeichnung Malweiber von Bruno Paul lesen: Sehen Sie, Fräulein, es giebt zwei Arten von Malerinnen: die einen möchten heiraten und die anderen haben auch kein Talent. Und auch Peder Severin Krøyers Satz Aah, diese Damen, diese Damen, die alle malen wollen – lasst mich frei sein – ich will auf keinen Fall Schülerinnen – fertig beschreibt die Abneigung gegen die Frauen, die malen wollen. 

Und bei Paula Becker-Modersohn klingt es nicht unbedingt positiv, wenn sie →1899 aus Worpswede ihren Eltern schreibt: Viel leichtes Gelichter, viel kleine Malweiblein haben ihren Einzug auf unserem Berg gehalten. Viele Malerinnen (auch Paula Becker-Modersohn) wollen nach Paris, wie die Frauen auf diesem Gemälde. 

Aber Paris ist für viele junge Frauen eine große Enttäuschung: 1890 kam ich nach Paris. Hier ging mir eine neue Welt auf. Die ersten Besuche im Louvre betäubten mich fast. Aber von den Schulen, die ich sah, war ich enttäuscht, dort gefiel mir nichts. Ich entschloß mich, allein zu arbeiten und Rat und Urteil nur im Kreise einiger junger gleichgesinnter Freunde, fast alles Dänen und Norweger, zu sehen zu suchen. Das sagt die Lübeckerin Marie Dorette Caroline Schorer, die sich in Paris Maria Slavona nennt. Sie kann sich nennen wie sie will. Wenn man solche Bilder malen kann, dann ist man ganz oben. Wer nicht nach Paris geht, und das sind viele Malweiber, begnügt sich mit den überall entstehenden kleinen Künstlerkolonien: FischerhudeNiddenDachau (als der Ort noch einen guten Namen hatte) oder Hiddensee

Die Künstlerkolonie Frauenchiemsee hat es in der Kunstgeschichte ja nicht geschafft, in einem Namen mit Worpswede genannt zu werden. Der große 599-seitige Katalog Künstlerkolonien in Europa vom Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg 1982, erwähnt die Maler vom Chiemsee überhaupt nicht. Den Katalog hat mir mein Freund Peter mal zu Weihnachten geschenkt, und ich habe ihn sehr genau gelesen. Es ist sicherlich eine kleine Ironie der Kunstgeschichte, dass die erste wissenschaftliche Studie zu den Chiemseemalern, Ruth Negendancks Künstlerlandschaft Chiemsee, im Jahre 2008 im Verlag Atelier im Bauernhaus in Fischerhude erschienen ist. Fischerhude liegt nicht am Chiemsee. Das liegt auf der Landkarte neben Worpswede und ist der Ort, wohin Otto Modersohn und andere gezogen waren, als ihnen Worpswede nicht mehr gefiel. Ich kenne mich da aus, die Schwester meiner Freundin Gudrun arbeitete da im Museum.

Doch die Malweiblein haben sich ihren Platz in der Gesellschaft erobert. Der Anteil der hauptberuflich tätigen Künstlerinnen steigt von 1895 bis 1925 von zehn auf zwanzig Prozent. Inzwischen gibt es Bücher wie Die Malweiber: Unerschrockene Künstlerinnen um 1900 und Ausstellungen wie Die Malweiber von Paris

Für manche endet die künstlerische Karriere mit der Ehe. Da ist das Leben der Matisse Schülerin Mathilde Vollmoeller, die den Maler Hans Purrmann heiratet, ähnlich wie das Leben von Marie Krøyer. Beide verkümmern als Malerin im Schatten ihres Mannes. Und die Kunstgeschichte hat beinahe hundert Jahre gebraucht, um sie neu zu entdecken. In dem Post Malerinnen habe ich geschrieben: Dieser Blog hat immer wieder Malerinnen vorgestellt, von denen manche nicht so bekannt waren. Das ist ja auch so eine geheime Maxime dieses Blogs, dass hier Dinge stehen, die woanders nicht stehen.

Viele der deutschen Malerinnen haben in den 1930er Jahren ein schweres Schicksal. Wie Lotte B. Prechner, die Deutschland verlassen muss. Oder Dora Bromberger (von der dieses Bild stammt), die 1942 in dem Vernichtungslager Maly Trostinez bei Minsk zusammen mit ihrer Schwester →Henny ermordet wird. Ihre Freundin, die Malerin Elisabeth Noltenius, schreibt 1944 in ihr →TagebuchBeim langsamen Zurückgehen unserer Truppen in Richtung Minsk gehen die Gedanken schwer zu den jüdischen Bremer Menschen, die in den nie zu vergessenden Novembertagen ausgewiesen wurden ins Ghetto nach Minsk. Wo sind heute die lieben Brombergers, die wir nicht vor dem grausigen Schicksal bewahren konnten, aus ihrem kleinen Haus ausgetrieben zu werden, trotz Besuch bei der Gestapo. Wie herzzerreißend diese wahrhaft große Haltung! Kein Wort der Anklage. Diese Rasse ist im Tragen und Dulden uns weit überlegen!

Elisabeth Noltenius hatte sich für Dora Bromberger starkgemacht und Bilder von ihr bei Ausstellungen in ihrem eigenen Haus gezeigt. Sie war bei der Gestapo vorstellig geworden, als sie hörte, dass Dora deportiert werden sollte. Sie konnte nur froh sein, dass die Gestapo ihr Haus nicht durchsuchte und ihr Tagebuch fand. Die Bremerin Dora Bromberger hatte in München und Paris studiert und war in den 1920er Jahren in Bremen recht berühmt. Nach 1933 kamen Berufs- und Ausstellungsverbot. Dieses wunderbare Bild mit dem Titel Vorfrühling habe ich einmal in einer Ausstellung gesehen, die Bremer Malerinnen gewidmet war. Ich war hin und weg von dem Bild, aber ich wusste nichts von der Malerin. 

Inzwischen besitze ich das Buch Die Brombergers: Schicksal einer Künstlerfamilie von Rolf Rübsam, das 1992 im Bremer Donat Verlag erschienen ist. Der Autor, der Lehrer an meinem Gymnasium war, hat für seine Verdienste zu Recht das →Bundesverdienstkreuz bekommen. Bremer Malerinnen gab es in diesem Blog schon mit Anna Feldhusen, Aline von Kapff und Elisabeth Steinecke. Ich glaube ich mache damit irgendwann mal weiter. 


Montag, 2. Juni 2025

Marie Ellenrieder

Die Konstanzer Malerin Marie Ellenrieder (die am 20. März 1791 geboren wurde) hatte ich schon in SILVAE, hatte aber vergessen, sie hier einzustellen. Sie gehört unbedingt in diesen Blog. Religiöse Kunst war eins ihrer Themen, die Altarbilder für die Kirche in Ichenheim von 1822 waren die ersten Bilder einer deutschen Malerin für eine katholische Kirche. Portraits der bürgerlichen Gesellschaft und des Adels war ein anderes Thema. Sie hatte als Miniaturmalerin begonnen, das kann man diesem Selbstportrait aus dem Jahre 1819 noch ansehen.

Sie wird 1813 als erste Frau an der Münchener Kunstakademie angenommen. Nicht, weil sie so gut malen kann; sie gilt als Sozialfall, sie ist beinahe gehörlos. Die Protektion des Generalvikars Ignaz Heinrich von Wessenberg hat dabei wohl auch eine Rolle gespielt. Ihre Kollegin Louise Seidler, die Ellenrieder in Rom kennenlernt, wird in ihrer Autobiographie dazu sagen: Mit der Aufnahme Maria Ellenrieders als Schülerin der Akademie zu München war übrigens ein Präcedenzfall geschaffen, der von guten Folgen war, mehr als Eine meines Geschlechts hat sich in der Isarstadt ausgebildet, und zwar weder zum Schaden der Kunst, noch zum Nachtheil der weiblichen Würde. Louise Seidler und Katharina von Predl, mit denen die Ellenrieder befreundet sein wird, werden die nächsten Frauen an der Münchener Akademie sein. Von den Aktkursen sind die Malerinnen allerdings ausgeschlossen.

1823 malt Marie Ellenrieder diese Maria mit dem Jesusknaben an der Hand, ein Bild, das als ihr malerisches Hauptwerk gilt. Da war sie in Rom gewesen und war von den Nazarenern beeinflusst worden. Wir mögen das heute scheußlich finden, aber in der Romantik fand man so etwas schön. So schrieb Ludwig Robert an seine Schwester Rahel Levin VarnhagenEs ist jetzt hier Kunstausstellung im Museum; einige gute Landschaften, sonst nichts von Bedeutung. Aber es befindet sich dabei das beste Bild, das (meinem innigen Gefühle nach) in neuester Zeit gemahlt worden ist; und dieses Bild ist – ja! – eine Madonna! und diese Madonna hat gemahlt – ja! – ein Frauenzimmer! Mamsell Maria Ellenrieder aus Constanz, von armen Ältern gebohren, von einem Münchner Professor unterrichtet: dann mit Fl 200! jährlicher Unterstützung vom hiesigen Hofe in Rom gewesen.…Berstedt hat 100 Carolin gebothen; aber die Künstlerin kann nicht darüber disponieren, weil sie es ihrem Vater geschenkt hat“.

Ludwig Robert war nicht der einzige, der derart begeistert war. 1827 wurde sie mit der neu geschaffenen goldenen Medaille Für Kunst und Gewerbfleis ausgezeichnet wurde. Großherzog Ludwig ernannte sie 1829 zur Badischen Hofmalerin mit einem jährlichen Ehrendsold von 300 Gulden. Angelika Kauffmann, mit der sie 1992 in Konstanz eine Ausstellung teilen wird, wurde in England reich und berühmt, Marie Ellenrieder gelang das in ihrem Heimatland. Sie hätte ein Vorbild für die Malweiber am Ende des 19. Jahrhunderts sein können, aber die werden sich nicht auf sie berufen.

Am besten ist sie mit ihren Selbstportraits, wie dem im ersten Absatz und im Absatz oben. Was sie nicht unbedingt kann, ist eine Gruppe wie diese, die den General Georg Heinrich Krieg von Hochfelden und seine Gattin zu Pferd zeigt. Das hätte der Berliner Franz Krüger, den man den Pferde-Krüger nennt, viel besser gekonnt. In einem Künstlerlexikon aus dem Jahr 1914 wird Marie Ellenrieder  als die bedeutendste Malerin Deutschlands in der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert bezeichnet. Das ist sicherlich richtig, auch wenn ihr Ruhm heute ein wenig verblasst sit.

Der Amerikaner Jack Daulton, der eine erstaunliche Sammlung zum Symbolismus hat, besitzt auch zahlreiche Bilder von Marie Ellenrieder. Zu ihrem 150. Todestag erschien 2013 der Katalog Einfach himmlisch! Die Malerin Marie Ellenrieder 1791-1863, aus dem man hier einen Aufsatz von Edwin Fecker, der auch Ellenrieders Druckgraphik herausgegeben hat, lesen kann. Zwanzig Jahre früher war in Konstanz der Katalog "... und hat als Weib unglaubliches Talent" (Goethe). Angelika Kauffmann (1741-1807) - Marie Ellenrieder (1791-1863): Malerei und Graphik erschienen. Man hat sie in ihrem Heimatort Konstanz und in Karlsruhe, wo sie lange tätig war, bis heute nicht vergessen. In diesem Blog, in dem immer etwas aus der Vergangenheit ausgekramt wird, auch nicht.

Sonntag, 1. Juni 2025

beinahe vergessen

Mit diesem 1929 gemalten Bild, das Die Jazzsängerin heißt, sind wir im Jazz Age, den Roaring Twenties. Wir können das Bild auch unter dem Thema der Neuen Sachlichkeit rubrizieren; einem Begriff, den der Bremer Kunsthistoriker Gustav Friedrich Hartlaub mit seiner Mannheimer Ausstellung Neue Sachlichkeit: Deutsche Malerei seit dem Expressionismus geprägt hat. Ulrike Groos, die Direktorin des Kunstmuseums Stuttgart, hat zu dem Bild gesagt: Es stammt von Lotte B. Prechner, einer Jüdin, die von den Nazis als entartet eingestuft wurde. Das Bild war verpönt, weil es das Saxophon in den Vordergrund stellt, das auch deshalb als öbszön eingestuft wurde, weil es eine phallischen Form hat. Die Aufbruchstimmung der Weimarer Republik hielt Prechner 1929 in ihrem Gemälde ›Jazztänzerin‹ fest. Sie stellt den modernen, emanzipierten Frauentypus der 1920er Jahre dar, der, androgyn gekleidet mit Hut und langer Hose, an Marlene Dietrich er­innert und selbstbewusst zu Jazzmusik tanzt.

Die Malerin und Bildhauerin Lotte Bertha Prechner hatte ihre große Zeit in den zwanziger Jahren, sie war in vielen Ausstellungen vertreten. Vier Jahre nach dem Bild der Jazzsängerin hatte sie Berufsverbot, weil sie von einer jüdischen Mutter abstammte. Ihre Bilder, die in Kunsthallen hingen, wurden als entartete Kunst entfernt. Sie wandert mit ihrem Mann nach Brüssel aus. Sie wird nie mehr nach Deutschland zurückkehren, lebt in Brüssel und bei ihrer Tochter in Italien. Sie wird neunzig Jahre alt werden und bis ins hohe Alter künstlerisch tätig sein. 

Ihre Tochter wird dafür sorgen, dass die inzwischen vergessene Malerin nicht vergessen bleibt, sie vermacht den Nachlass dem LVR-Landesmuseum Bonn. Dieses Bild, das den Titel Epoche hat, hatte Prechner 1928 auf der Jahresausstellung des Jungen Rheinland gezeigt, in dem Künstlerbund war sie Mitglied gewesen. Kunsthistoriker bezeichnen es heute als ihr Hauptwerk. 1998 erschien das Buch Lotte B. Prechner 1877–1967. Monographie und Werkverzeichnis, und in vielen neueren Ausstellungen über die Kunst der Weimarer Republik, wie zum Beispiel 2019 bei 'Zu schön, um wahr zu sein' – Das Junge Rheinland, war sie mit Bildern vertreten.

Meistens mit der Jazztänzerin oder dem Bild Epoche, das heute der Friedrich Ebert Stiftung gehört. Weil diese Bilder so plakativ sind, auch noch nach hundert Jahren. Ihre ganzen sozialkritischen Bilder, die sie nach dem Ersten Weltkrieg malte (in dem sie eine der wenigen zugelassenen weiblichen Kriegsmalerinnen war) kann man nicht so plakativ präsentieren. .Ich habe mir gedacht, dass Lotte Prechner (hier 1924 von ihrem Freund Otto Dix portraitiert) an ihrem Geburtstag einen kleinen Post bekommen sollte. Zu dem Bild der Jazzsängerin gibt es hier eine Seite. Aber viel wichtiger ist die von Dr Annette Bußmann verfasste Seite bei FemBio. Die kann man nur zur Lektüre empfehlen.