Odette de Crécy, in die sich Charles Swann verliebt, trägt eine solche Blume im Ausschnitt ihres Kleides. Sie liebt an Blumen nur diese Cattleya (bei Proust catleya) und Chrysanthemen, ihre Wohnung ist voll davon. Die schöne Odette ist, das müssen wir vorausschicken, eine Halbweltdame. Also eine Frau, die uns auch in den Posts les grandes horizontales und Demimonde hätte begegnen können. Oder in dem Post über Marie Duplessis, das Vorbild für die Kameliendame Violetta Valéry in La Traviata.
Von der weiß man ja, wieviel Geld sie für Blumen ausgegeben hat, weil man irgendwann nach ihrem Tod die Rechnungen der Floristen gefunden hat. Wenn man sich die Portraits der Damen der Belle Époque von Giovanni Boldini anschaut, dann wird man sehr häufig Blumen im Ausschnitt des Kleides finden. Wie hier bei der Prinzessin Radziwill, einer ersten Jugendliebe von Proust.
Diese Bilder von Prinzessinnen, Comtessen und Courtisanen, die heute wie eine Galerie von Pin Up Girls der Hautevolee des Fin de Siècle wirken, haben natürlich etwas Erotisches an sich. Die muet language des robes, von der Proust spricht, ist nicht wirklich stumm. Die Prinzessin Bibesco, die ihre Begegnung mit Marcel Proust niederschreiben wird (deutsch als Paperback im Insel Verlag), wird hier vom Maler mehr aus- als angezogen. Aber wenn sie auch beinahe nackt ist, die Blume im Ausschnitt des angedeuteten Kleides darf nicht fehlen.
Diese Dame hier auf dem Gemälde von Raimundo de Madrazo y Garreta trägt auch eine Orchidee im Ausschnitt. Sie heißt Laure Hayman und ist die Geliebte von Prousts Großonkel Louis (und vielleicht die auch seines Vaters). Als Louis Weil sie ihm 1888 vorstellt, ist Proust siebzehn Jahre alt, er ist von der zwanzig Jahre älteren Courtisane hingerissen. Drei Jahre später schenkt sie ihrem jugendlichen Verehrer die Erzählung Gladys Harvey von Paul Bourget (der auch einer ihrer Liebhaber war), eingebunden in die Seide eines ihrer Unterröcke. Und mit der Widmung Ne rencontrez jamais une Gladys Harvey versehen. Die Gladys Harvey in Bourgets Roman ist eine Courtisane, mit diesem Werk ist Laure Hayman in die Literatur gewandert.
Dort wird sie bleiben, denn Proust macht sie zu Odette de Crécy. Der junge Proust ruiniert sich beinahe finanziell, weil er ihr immer Chrysanthemen schickt, ces fleurs fières et tristes comme vous. Wenn Laure Hayman (hier auf dem Gemälde von Federico de Madrazo y Ochoa nackt, aber mit Blumen im Haar) entdeckt, dass Proust sie in eine Romanfigur verwandelt hat, wird sie ihm einen wütenden Brief schreiben, in dem sie ihn anklagt, ein Monster zu sein. Eine Frau, die ich vor 30 Jahren geliebt habe, schreibt mir einen wütenden Brief um mir zu sagen, Odette sei sie, ich sei ein Scheusal. Solche Briefe (und die Antworten darauf) nehmen einem die Lust zur Arbeit, von der Freude an ihr ganz zu schweigen: auf sie habe ich seit langem verzichtet, schreibt Proust im Mai 1922 an seinen Verleger.
Die kreolische Schönheit, die Francis Hayman, den Lehrer von Thomas Gainsborough zu ihren Vorfahren zählt, hat zehn Jahre gebraucht, um zu der Erkenntnis zu kommen, dass sie Odette sei. Das ist nun ein wenig lächerlich. Laure Hayman war auch nicht die einzige, die ein Vorbild für Odette ist. Die Dame auf diesem Bild mit den Chrysanthemen im Ausschnitt ist nicht Gladys Harvey, das ist Gladys Marie Deacon, über die Proust schrieb: Ich sah noch nie ein Mädchen mit einer solchen Schönheit, Intelligenz, sowie Güte und Charme. Wenn die den Duke of Marlborough heiratet, wird Proust ihr Gast bei der standesamtlichen Trauung sein. Wahrscheinlich trägt er dann wieder eine Orchidee im Knopfloch wie auf dem Portrait von Jacques-Emile Blanche.
Wo kommen die Orchideen plötzlich her? Ursula Voß sagt in ihrem Buch Kleider wie Kunstwerke: Marcel Proust und die Mode: Gauguin hatte mit seinen Gemälden von tierhaft sinnlichen Südseeinsulanerinnen den Blumenschmuck im Haar nach Paris gebracht. Die erste Frau mit Blumen im Haar, die Proust sieht, ist die Gräfin Greffulhe: Sie trug eine Frisur von polynesischer Anmut, und malvenfarbene Orchideen fielen ihr bis zum Nacken ... noch nie habe ich eine so schöne Frau gesehen. Die Gräfin Greffulhe, die für Proust das Vorbild der Herzogin von Guermantes wird, in die der Erzähler Marcel unsterblich verliebt ist, gehört natürlich nicht zur Demimonde.
Auf diesem Photo von Nadar trägt sie keine Blumen im Haar und keine Orchideen im Ausschnitt, die Blumen sind alle auf dem Abendkleid von Charles Frederick Worth, das heute den Namen Robe aux Lys trägt und in einem Pariser Museum zu sehen ist. Sie trägt aber auch manchmal Orchideen, so schreibt Proust an Robert de Montesquiou über einen Ball im Jahre 1894:
Die Gräfin Greffulhe, kostbar gekleidet: ein Kleid aus fliederrosa Seide, übersät mit Orchideen, bedeckt von Seidenmusselin im gleichen Farbton, der Hut mit Orchideen geschmückt und ganz von lila Gaze umhüllt. Kurz vor seinem Tod erbittet sich Proust von der Comtesse einen signierten Abzug des Photos von Nadar, damit er ihre vollendete Schönheit in der Einsamkeit seine Zimmers betrachten könne. Sie lehnt ab. Zwanzig Jahre später wird sie in einem Interview sagen, dass sie Proust kaum gekannt habe und keinerlei Briefe von ihm besitze.
Lassen Sie mich von den Blumen im Haar der schönsten Frau von Paris, die ihren größten Verehrer schnöde verleugnet, wieder zu der Demimonde zurückkehre. Und zu den Blumen im Ausschnitt der Abendkleider. Wie hier bei Marthe Régnier, einer Schauspielerin, die die Mätresse des Barons Henri de Rothschild ist. Ursula Voß weiß in ihrem Buch einiges über die Orchideen bei Proust zu sagen: Weibliches Begehren, die Triebhaftigkeit der Femme fatale, symbolisiert am sprechendsten eine florale Züchtung, ein letztes verfeinertes Produkt der wildwachsenen exotischen Orchidee von unverhohlenem Aufforderungscharakter. Dem Dichter wird sie zum Code für die weibliche Erotik, gleichsam ein Haute-Couture-Gewächs in komplizierter Form und Schnittraffinesse und fein abgestuftem Violett von Hell bis Tintendunkel die Cattleya trianae, ein Sexualorgan in den Augen der Proustologen.
Und damit sind wir beim Thema: Sex. Swann und Odette sitzen in einer Kutsche, die durch vor einem Hindernis scheuende Pferde ein wenig ins Wackeln gekommen ist. Und jetzt sagt Swann zu Odette: 'Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich die Blumen an Ihrem Ausschnitt wieder zurechtrücke, die durch den Stoß verrutscht sind? Ich habe Angst, daß Sie sie verlieren könnten, ich werde sie etwas tiefer hineinstecken.' Sie, die nicht gewohnt war, dass die Männer so viele Umstände mit ihr machten, antwortete lächelnd: 'Aber nein, das macht mir gar nichts aus.' Sie ahnen, was nun passiert.
In ihrem Proust-ABC sagt Ulrike Sprenger: unter dem Vorwand, das Gesteck in ihrem Ausschnitt wieder zurechtzurücken, liebkost Swann ihren Hals, ihre Schultern und ihre Brüste. Für beide ist diese Form der indirekten Annäherung etwas Besonderes: Für Swann, weil er auf diese Weise bis in die erotische Berührung hinein die begehrte Frau als Kunstwerk empfinden kann, die prächtigen, aber geruchlosen und künstlichen Blüten verleihen ihr den Charakter eines kostbaren Blumenarrangements, und für Odette, weil sie es nicht gewohnt ist, daß Männer viele Umstände machen. So bleibt die erste Berührung deswegen reizvoll, weil sie den Umweg »durch die Blume« nimmt, noch keinen endgültigen Besitz bedeutet - weil das Bild der Blume den individuellen Phantasien und Sehnsüchte der Liebenden eine Projektionsfläche bietet. Als die Liebe zwischen Swann und Odette erkaltet und Sex längst zur körperlichen Routine geworden ist, bewahren zwei Dinge die Erinnerung an eine einzigartige Leidenschaft: Das kleine Thema Vinteuils und der Ausdruck »Cattleya machen«, den Odette und Swann seit der ersten Berührung für die körperliche Liebe verwenden.
Wir brauchen für die Szene in der Kutsche keine Bilder aus einem Film, wir bleiben im Roman. Und wir wissen jetzt, dass die französische Sprache für das faire l'amour jetzt noch einen anderen Begriff hinzugewonnen hat: la métaphore « faire catleya » devenue un simple vocable qu’ils employaient sans y penser quand ils voulaient signifier l’acte de la possession physique — où d’ailleurs l’on ne possède rien — survécut dans leur langage, où elle le commémorait, à cet usage oublié. Et peut-être cette manière particulière de dire « faire l’amour » ne signifiait-elle pas exactement la même chose que ses synonymes. On a beau être blasé sur les femmes, considérer la possession des plus différentes comme toujours la même et connue d’avance, elle devient au contraire un plaisir nouveau s’il s’agit de femmes assez difficiles — ou crues telles par nous — pour que nous soyons obligés de la faire naître de quelque épisode imprévu de nos relations avec elles, comme avait été la première fois pour Swann l’arrangement des catleyas.
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