Sonntag, 12. Juli 2020

Charles Chaplin


In dem Pariser Auktionshaus staunte man am 5. Juni 1922 nicht schlecht, dass bei der Auktion auf das Landschaftsbild eines längst vergessenen Malers derartig hohe Gebote abgegeben wurden. Der Höchstbietende wird auch nicht schlecht gestaunt haben, als ihm das Bild zugeschlagen wurde. Er hatte darauf spekuliert, dass das Bild ein unbekanntes Werk des Filmschauspielers Charlie Chaplin war. Das war der New York Times die kleine Schlagzeile Bid High for Chaplin Picture, But it Wasn't by Charlie wert. Der Maler hieß Charles Joshua Chaplin, nicht Charles Spencer Chaplin.

Ein halbes Jahrhundert vor der Auktion war der Maler, der am 30. Januar 1891 starb, ein berühmter Mann gewesen, der Lieblingskünstler der Kaiserin Eugénie. Er hatte die Landschaftsmalerei aufgegeben und malte nun Bilder wie dieses, spärlich bekleidete Frauen, die ein wenig nach der Malerei des Rokoko aussahen. Akademische Erotik für das Boudoir des Zweiten Kaiserreichs. Ich hätte den Maler, der am 30. Januar 1891 starb, in den Posts Demimonde und les grandes horizontales erwähnen können, habe es aber gelassen, weil ich dachte, dass ich ihn noch einmal für einen anderen Post gebrauchen könnte.

Mit seinem ersten Portrait, von dem wir leider nur diesen Heliogravüre von Adolphe Pierre Riffaut haben, begibt sich der junge Charles Chaplin in die Welt der Demimonde. Der Graf Pierre de Castellane, der später Bücher über seine Zeit als Offizier in Algerien schreiben wird, möchte gerne seine Geliebte portraitiert haben. 250 Francs will er dafür bezahlen, ein Auftrag, den der Maler gerne annimmt. Er bringt, als er bei der Dame am Boulevard de la Madeleine Nummer 11 vorspricht, zwei Bilder von Frauen mit, die einzigen Frauen, die er bisher gemalt hat. Es sind zwei Madonnen, die er im Louvre kopiert hat. Die junge Frau, gerade dem Bett entstiegen und noch im Déshabillé, bricht in ein Gelächter aus. Man hat sie schon alles mögliche genannt, aber eine Madonna ist sie wahrlich nicht.

Nach der ersten Sitzung hat sie ihn in ihrer Kutsche mitgenommen in den Bois de Boulogne, plötzlich waren die beiden von Menschenmassen umringt. Da merkte er, dass sein Modell Marie Duplessis berühmt sein musste. Maler und Modell waren gleich alt, sie freunden sich an, die Klatschpresse ist voller Gerüchte über die Duplessis und einen jungen unbekannten Maler. Drei Monate später ist sie schon tot. Aber sie wird bis heute weiterleben. In der Literatur, da ist sie dann Marguerite Gautier in Dumas' La dame aux camélias, in der Oper, da ist sie Violetta Valéry in La Traviata. Dumas hat immer behauptet, dass er das Motiv der Kamelien erfunden hätte, aber sie liebte diese Blumen wirklich. Die Forschung hat ihre Blumenrechnungen aufgetrieben: immer wieder Kamelien, weiße und rote. Auf diesem Bild von Camille Roqueplan ist Marie Duplessis bei ihrem letzten öffentlichen Auftritt im Theater zu sehen. Ohne Blumenschmuck. Sie war schon schwach, ihre Diener hatten sie in die Loge tragen müssen.

Charles Chaplin soll drei Stunden nach ihrem Tod noch eine Zeichnung von Marie Duplessis gemacht haben, aber man weiß nicht, ob das Bild wirklich echt ist. Dieses Bild von Chaplin zeigt nicht die berühmte Courtisane, es heißt Après le Bal masqué, nach dem Maskenball. Erschöpft vom Tanz hat sich eine junge Dame entkleidet und liegt ausgebreitet vor uns, viel mehr an Erotik geht in dieser Zeit nicht.

Das Bild von Marie Duplessis war sein erstes Portrait einer Frau, von nun an wird er nichts anderes mehr malen. Nicht mehr die Landschaft der Auvergne, die er so liebte. Er verabschiedet sich von Realismus und Naturalismus und malt nur noch Frauen, die ein wenig nach François Boucher aussehen. Manchmal auch ein wenig nach Gainsborough, den er sorgfältig studiert hat. Er richtet auch eine Malerschule ein. Natürlich für Frauen. Zu seinen Schülerinnen zählen Eva Gonzalès (die schon in dem Post Kindermädchen erwähnt wird), Mary Cassatt und Louise Abbéma. Er ist heute nicht ganz vergessen, der Markt ist voll mit Reproduktionen seiner Werke, und ein echtes Damenportrait von ihm kann schon mal 42.000 Dollar kosten. Il sait le sourire d’une femme et c’est très rare, hat Manet über ihn gesagt, das ist ein schöner Satz: das Lächeln der Frauen verstehen.

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