Samstag, 17. Dezember 2022

Sommertanz

Heute vor einundsiebzig Jahren wurde in Schweden der Film Hon dansade en sommar (Sie tanzte nur einen Sommer) gezeigt. Es war eine Literaturverfilmung nach dem Roman Sommardansen von Per Olof Ekström. Der Film machte den unbekannten jungen Romanautor bekannt und machte die junge Schauspielerin Ulla Jacobsson mit einem Schlag berühmt.

1952 bei der zweiten Berlinale redete jeder über sie. Weil die Zweiundzwanzigjährige für einige Sekunden in Sie tanzte nur einen Sommer nackt gewesen war. Die junge Bundesrepublik war entrüstet. Vor allem kirchliche Kreise sahen hier die Geburtsstunde des Schwedenpornos. Die Moral ist bei der Kirche ja immer gut aufgehoben, das wird uns heute immer wieder vor Augen geführt, wenn wir an die schleppende Aufarbeitung der Mißbrauchsskandale denken. Die kirchlichen Blätter hatten damals aber auch durchaus bemerkt, dass der Filme antiklerikale Tendenzen hatte, der verknöcherte, puritanische Dorfpfarrer im Film ist ein bösartiger Mann. Heute schreibt das Internationale FilmlexikonDas mit poetischen Bildern und maßvoller Freizügigkeit für die freie Liebe eintretende Filmdrama erregte durch eine für seine Zeit unübliche Nacktszene moralische Entrüstung und wurde dadurch zum Publikumserfolg. Das Internationale Filmlexikon steht der katholischen Kirche nahe. 1951 sagte die etwas anderes. Wenn Sie alles über die Rezeption des Films wissen wollen, lesen Sie hier den Aufsatz von Claudia Beindorf 'Sie tanzte nur einen Sommer': Konstruktion und Rezeption von Stereotypen.

Eigentlich war das ja ein schöner kleiner trauriger Film, furchtbar sentimental. Aber er bedeutete für unsere junge Republik viel mehr. Er prägte Stereotypen wie die Schönheiten der schwedischen Landschaft, die ewige Mittsommernacht und schöne Schwedinnen, sonnentrunken und liebebedürftigWie ein frischer, reiner Sommerwind weht dieser Film über die Leinwand schrieb ein Rezensent, und ein Ostberliner Kritiker urteilte, dass selbst die delikatesten Szenen... sauber, gesund und schön seien. Sauber, gesund, rein, diese Beschreibungen des Nordlichts von unvergleichbarer Schönheit schmecken immer noch ein wenig nach einem arischen Germanenkult, den man doch überwunden glaubte. Und von nun an träumten deutsche Männer von nackten Schwedinnen. 

Ulla Jacobsson hat dann noch in Bergmans Das Lächeln einer Sommernacht mitgespielt. Der Film war auch ein großer Erfolg, vor allem für Ingmar Bergman. Die weitere Filmkarriere der hübschen Schwedin ist nicht so bemerkenswert. Sie ist aus Schweden weggezogen, um nicht immer die stereotypischen hübschen Schwedinnen spielen zu müssen, aber die wirklich großen Filme blieben aus. Filmtitel Sie tanzte nur einen Sommer und Lächeln einer Sommernacht sind auch ein wenig symbolisch für ihre Karriere. Ulla Jacobsson ist früh an Krebs gestorben. Bei ihrem Tod erinnerten die Nachrufe an ihre Filmrolle vor dreißig Jahren. Als der Koreakrieg tobte, Adenauer sich der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft anschloss und Ulbricht die Sowjetisierung der DDR einleitete, da ließ die zweiundzwanzigjährige Schwedin für einen kurzen Augenblick die eskapistischen Träume von der Mittsommernacht wahr werden. Weil sie sechs Sekunden lang nackt gewesen war.

Ein Jahrzehnt später kam Das Schweigen von Ingmar Berman in die deutschen Kinos. Marcel Reich-Ranicki wetterte gegen den Film und gegen die Bergmanie, die angeblich Deutschland beherrschte. Es wurde eine Aktion saubere Leinwand gegründet, um gegen das Werk zu protestieren. Erstaunlicherweise ließ die Freiwillige Selbstkontrolle den Film passieren und gab ihn ohne Schnitte ab 18 Jahren frei, weil sie ihn als Kunstwerk einstufte. Zwanzig Jahre nach Ingmar Bergmans Film Das Schweigen kamen wieder massenhaft Schwedinnen auf die mehr oder weniger sauberen Leinwände. Aber die hießen jetzt nicht Ulla Jacobsson, Mai Zetterling, Harriet Anderson oder Gunnel Lindblom, sondern Marianne Aubert, Jane Baker und Brigitte Lahaie. Das waren blonde Pornodarstellerinnen für Opas Schwedenphantasien, aber aus Schweden kamen sie nicht. Die spielten in Filmen, die 6 Schwedinnen von der Tankstelle6 Schwedinnen auf Ibiza6 Schwedinnen hinter Gittern und 6 Schwedinnen auf der Alm hießen. Produziert von einem Schweizer namens Erwin C. Dittrich. Keine Filmkunstwerke, nur Softpornos. Regten sich Reich-Ranicki und die katholische Kirche jetzt wieder auf? Keine Spur, wir waren jetzt eine permissive society, die sexuelle Revolution hatte stattgefunden. Zu deren Vorreiter Ingmar Bergmans Film wohl ungewollt geworden war, obgleich er ansonsten nichts damit zu tun hatte. Es hatte sich übrigens schon im Jahre 1971 niemand mehr über den Film aufgeregt, als er zum ersten Mal im deutschen Fernsehen gezeigt wurde.

Den Film Hon dansade en sommar habe ich hier im Original für Sie.Können Sie sich anschauen, falls das Spiel um den dritten Platz bei der FIFA WM zu langweilig wird.

Noch mehr Schweden und Schwedinnen in diesem Blog: Ingmar BergmanTransformationenSkandalSchwedinnenSchweigenSexuelle RevolutionDésiréeElvira MadiganLiebestodNationalstolzMonica ZetterlundMireille DarcVera MilesAnn-MargretMein DänemarkTalsperrenJugendkulturAnders ZornZornCharles Frederick WorthMichael AncherZeitlosJohn Peter RussellLieutenant LindhövelFindorffSeeschlachtKieler FriedenGiuseppe VerdiBriefwechselSjöwall WahlööMaj SjöwallHenning MankellDie MädchenGeorges DesmaréesDie Frau ohne Gesichtskandinavische ModeBibi AnderssonSigrid CombüchenDamenromanBo WiderbergNiels BohrLandstreicher, Schwarze Erntenouvelle vague suédoiseNordic NoirBierbrauerDer TorstenssonkriegViveca LindforsKögebuchtArnold DuckwitzWeltkulturerbeNicoDänische KunstNordlichter 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen