Mittwoch, 28. Dezember 2022

Beware of young girls

Als ihr Ehemann sie wegen einer jüngeren Frau verließ, flippte sie völlig aus. Die New York Times schrieb später darüber: Mr. Previn had begun an affair with the actress Mia Farrow, then in her early 20s, whom he later married, and Ms. Previn, who had a history of emotional fragility and mental illness, fell apart. Fearful of traveling in general and of flying in particular, she had a breakdown on an airplane that was waiting to take off, shouted unintelligibly and tore at her clothes, and spent several months in a psychiatric hospital. Die Frau, deretwegen ihr Mann sie verlassen hatte, war jung, sehr jung. Sie war eine Freundin der Betrogenen gewesen, ging bei ihr ein und aus. Sie hieß Mia Farrow und war gerade von Frank Sinatra geschieden. 

Die betrogene Ehefrau erzählte der ganzen Welt die Geschichte in einem Lied. Das Lied kannte auch Mia Farrow, die in ihrer Autobiographie What Falls Away schreibt: Dory Previn experienced things quite differently, and made that clear publicly through her songs. I am sorry to have contributed to her pain. Das Lied heißt ✺Beware of young girls, es findet sich 1970 auf Dory Previns erster Platte On my way to where. Es ist leider nicht auf der Platte We're Children Of Coincidence And Harpo Marx, die ich schon sehr lange besitze. Ich habe in dem Post Rickie Lee Jones nichts Nettes über diese Platte gesagt, die ich damals nur gekauft hatte, weil die Sängerin Dory Previn auf dem Cover der Ingrid ein wenig ähnlich sah. Die auch schön singen konnte, aber nie in einem Flugzeug ausflippte. We're Children Of Coincidence And Harpo Marx war das letzte Studioalbum von Dory Previn, sie hat noch viel geschrieben und noch lange gelebt. Aber Beware of young girls hier wird immer an sie erinnern, ein Song, in dem jedes Wort der Wirklichkeit ihres Lebens entsprach:


Beware of young girls who come to the door
Wistful and pale, of twenty and four
Delivering daisies with delicate hands
Beware of young girls, too often they crave
To cry at a wedding, and dance on a grave

She was my friend, my friend, my friend
She was invited to my house
Oh yes, she was
And though she knew my love was true
And no ordinary thing
She admired my wedding ring
She admired my wedding ring

She was my friend, my friend, my friend
She sent us little silver gifts
Oh yes she did
Oh what a rare and happy pair she inevitably said
As she glanced at my unmade bed
She admired my unmade bed
My bed

Beware of young girls who come to the door
Wistful and pale, of twenty and four
Delivering daisies with delicate hands
Beware of young girls, too often they crave
To cry at a wedding, and dance on a grave


She was my friend, my friend, my friend
I thought her motives were sincere
Oh yes I did
Ah, but this lass, it came to pass
Had a dark and different plan
She admired my own sweet man
She admired my own sweet man

We were friends
Oh yes we were
And she just took him from my life
Oh yes she did
So young and vain, she brought me pain
But I'm wise enough to say
She will leave him one thoughtless day
She'll just leave him and go away
Oh yes

Beware of young girls who come to the door
Wistful and pale, of twenty and four
Delivering daisies with delicate hands
Beware of young girls, too often they crave
To cry at a wedding, and dance on a grave

Beware of young girls
Beware of young girls
Beware


Die Geschichte von dem Songtext von Dory Previn und Mia Farrow könnte hier zu Ende sein, aber es gibt da noch eine kleine perverse andere Geschichte mit einem Songtext, der auch auf der Platte On my way to where ist. Die Sache ist durch die TV Serie Allen vs. Farrow im letzten Jahr wieder hochgekocht worden, es geht um den angeblichen Mißbrauch von Woody Allen an seiner siebenjährigen Adoptivtochter Dylan Farrow. Die 2014 in einem Brief an die New York Times geschrieben hatte: What’s your favorite Woody Allen movie? Before you answer, you should know: when I was seven years old, Woody Allen took me by the hand and led me into a dim, closet-like attic on the second floor of our house. He told me to lay on my stomach and play with my brother’s electric train set. Then he sexually assaulted me. He talked to me while he did it, whispering that I was a good girl, that this was our secret, promising that we’d go to Paris and I’d be a star in his movies. I remember staring at that toy train, focusing on it as it traveled in its circle around the attic. To this day, I find it difficult to look at toy trains.

Woody Allen hat das immer bestritten, und er hat gegenüber der Presse erklärt, dass Mia Farrow ihrer Adoptivtochter die Geschichte eingeflüstert habe. Und dafür den Liedtext von Dory Previn With my Daddy in the attic verwendet habe. Lassen Sie mich daraus einige Zeilen ziteren: 

With my Daddy in the attic, 
That is where my being wants to bed… 
With the door closed on my mama and my sibling competition, 
And my Shirley Temple doll that truly cries… 
With my Daddy in the attic, 
That is where my dark attraction lies…
In the terrifying nearness of his eyes,
With no window spying neighbors,
And no husbands in the future,
To intrude upon our attic,
Past the stair where we’ll live on…
And he’ll play his clarinet when I despair,
With my Daddy in the attic,
With my Daddy in the attic…

In seiner Autobiographie Apropos of Nothing hat Woody Allen geschrieben, dass ihn Dory Previn während der Sorgerechtsprozesse angerufen und ihn gewarnt habe: She alerted me to a song she’d written, the lyric of which referred to some encounter that went on between a little girl and her father in the attic. She told me Mia would sing it, and she was certain that’s what gave Mia the idea to locate a fake molestation accusation she would make in the attic. Popsongs sind eine gefährliche Sache.

Samstag, 17. Dezember 2022

Sommertanz

Heute vor einundsiebzig Jahren wurde in Schweden der Film Hon dansade en sommar (Sie tanzte nur einen Sommer) gezeigt. Es war eine Literaturverfilmung nach dem Roman Sommardansen von Per Olof Ekström. Der Film machte den unbekannten jungen Romanautor bekannt und machte die junge Schauspielerin Ulla Jacobsson mit einem Schlag berühmt.

1952 bei der zweiten Berlinale redete jeder über sie. Weil die Zweiundzwanzigjährige für einige Sekunden in Sie tanzte nur einen Sommer nackt gewesen war. Die junge Bundesrepublik war entrüstet. Vor allem kirchliche Kreise sahen hier die Geburtsstunde des Schwedenpornos. Die Moral ist bei der Kirche ja immer gut aufgehoben, das wird uns heute immer wieder vor Augen geführt, wenn wir an die schleppende Aufarbeitung der Mißbrauchsskandale denken. Die kirchlichen Blätter hatten damals aber auch durchaus bemerkt, dass der Filme antiklerikale Tendenzen hatte, der verknöcherte, puritanische Dorfpfarrer im Film ist ein bösartiger Mann. Heute schreibt das Internationale FilmlexikonDas mit poetischen Bildern und maßvoller Freizügigkeit für die freie Liebe eintretende Filmdrama erregte durch eine für seine Zeit unübliche Nacktszene moralische Entrüstung und wurde dadurch zum Publikumserfolg. Das Internationale Filmlexikon steht der katholischen Kirche nahe. 1951 sagte die etwas anderes. Wenn Sie alles über die Rezeption des Films wissen wollen, lesen Sie hier den Aufsatz von Claudia Beindorf 'Sie tanzte nur einen Sommer': Konstruktion und Rezeption von Stereotypen.

Eigentlich war das ja ein schöner kleiner trauriger Film, furchtbar sentimental. Aber er bedeutete für unsere junge Republik viel mehr. Er prägte Stereotypen wie die Schönheiten der schwedischen Landschaft, die ewige Mittsommernacht und schöne Schwedinnen, sonnentrunken und liebebedürftigWie ein frischer, reiner Sommerwind weht dieser Film über die Leinwand schrieb ein Rezensent, und ein Ostberliner Kritiker urteilte, dass selbst die delikatesten Szenen... sauber, gesund und schön seien. Sauber, gesund, rein, diese Beschreibungen des Nordlichts von unvergleichbarer Schönheit schmecken immer noch ein wenig nach einem arischen Germanenkult, den man doch überwunden glaubte. Und von nun an träumten deutsche Männer von nackten Schwedinnen. 

Ulla Jacobsson hat dann noch in Bergmans Das Lächeln einer Sommernacht mitgespielt. Der Film war auch ein großer Erfolg, vor allem für Ingmar Bergman. Die weitere Filmkarriere der hübschen Schwedin ist nicht so bemerkenswert. Sie ist aus Schweden weggezogen, um nicht immer die stereotypischen hübschen Schwedinnen spielen zu müssen, aber die wirklich großen Filme blieben aus. Filmtitel Sie tanzte nur einen Sommer und Lächeln einer Sommernacht sind auch ein wenig symbolisch für ihre Karriere. Ulla Jacobsson ist früh an Krebs gestorben. Bei ihrem Tod erinnerten die Nachrufe an ihre Filmrolle vor dreißig Jahren. Als der Koreakrieg tobte, Adenauer sich der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft anschloss und Ulbricht die Sowjetisierung der DDR einleitete, da ließ die zweiundzwanzigjährige Schwedin für einen kurzen Augenblick die eskapistischen Träume von der Mittsommernacht wahr werden. Weil sie sechs Sekunden lang nackt gewesen war.

Ein Jahrzehnt später kam Das Schweigen von Ingmar Berman in die deutschen Kinos. Marcel Reich-Ranicki wetterte gegen den Film und gegen die Bergmanie, die angeblich Deutschland beherrschte. Es wurde eine Aktion saubere Leinwand gegründet, um gegen das Werk zu protestieren. Erstaunlicherweise ließ die Freiwillige Selbstkontrolle den Film passieren und gab ihn ohne Schnitte ab 18 Jahren frei, weil sie ihn als Kunstwerk einstufte. Zwanzig Jahre nach Ingmar Bergmans Film Das Schweigen kamen wieder massenhaft Schwedinnen auf die mehr oder weniger sauberen Leinwände. Aber die hießen jetzt nicht Ulla Jacobsson, Mai Zetterling, Harriet Anderson oder Gunnel Lindblom, sondern Marianne Aubert, Jane Baker und Brigitte Lahaie. Das waren blonde Pornodarstellerinnen für Opas Schwedenphantasien, aber aus Schweden kamen sie nicht. Die spielten in Filmen, die 6 Schwedinnen von der Tankstelle6 Schwedinnen auf Ibiza6 Schwedinnen hinter Gittern und 6 Schwedinnen auf der Alm hießen. Produziert von einem Schweizer namens Erwin C. Dittrich. Keine Filmkunstwerke, nur Softpornos. Regten sich Reich-Ranicki und die katholische Kirche jetzt wieder auf? Keine Spur, wir waren jetzt eine permissive society, die sexuelle Revolution hatte stattgefunden. Zu deren Vorreiter Ingmar Bergmans Film wohl ungewollt geworden war, obgleich er ansonsten nichts damit zu tun hatte. Es hatte sich übrigens schon im Jahre 1971 niemand mehr über den Film aufgeregt, als er zum ersten Mal im deutschen Fernsehen gezeigt wurde.

Den Film Hon dansade en sommar habe ich hier im Original für Sie.Können Sie sich anschauen, falls das Spiel um den dritten Platz bei der FIFA WM zu langweilig wird.

Noch mehr Schweden und Schwedinnen in diesem Blog: Ingmar BergmanTransformationenSkandalSchwedinnenSchweigenSexuelle RevolutionDésiréeElvira MadiganLiebestodNationalstolzMonica ZetterlundMireille DarcVera MilesAnn-MargretMein DänemarkTalsperrenJugendkulturAnders ZornZornCharles Frederick WorthMichael AncherZeitlosJohn Peter RussellLieutenant LindhövelFindorffSeeschlachtKieler FriedenGiuseppe VerdiBriefwechselSjöwall WahlööMaj SjöwallHenning MankellDie MädchenGeorges DesmaréesDie Frau ohne Gesichtskandinavische ModeBibi AnderssonSigrid CombüchenDamenromanBo WiderbergNiels BohrLandstreicher, Schwarze Erntenouvelle vague suédoiseNordic NoirBierbrauerDer TorstenssonkriegViveca LindforsKögebuchtArnold DuckwitzWeltkulturerbeNicoDänische KunstNordlichter