Sonntag, 30. Januar 2022

Dorothy Malone (once again)

Die amerikanische Schauspielerin Dorothy Malone wurde am 30. Januar 1924 geboren. Sie hatte am 30. Januar 2013 schon einen Post in diesem Blog, den stelle ich heute noch einmal in leicht überarbeiteter Form ein. Es ist nicht ganz dasselbe, es steht schon etwas mehr drin. Ich schreibe zur Zeit an mehreren Dingen, aber ich verheddere mich, nix ist fertig. Ich schreibe über die bunten Duchamp Hemden, wie ich das in style mixed angedeutet habe, aber ich beginne nicht 1989 im Jahre der Firmengründung von Duchamp, sondern 1870. Weil da zum ersten Mal die bunten Streifen, die sogenannten regatta stripes, auf den Hemden der englischen Gentlemen auftauchen. Das kann wieder lang werden. 

Das Cover von den Cahiers du Cinéma aus dem März 1958 täuscht darüber hinweg, dass überhaupt nichts über Dorothy Malone in dem Heft steht. Außer: Dorothy Malone et Rock Hudson sont, aux côtés de Robert Stack, les vedettes du film Universal en Cinéma-Scope 'La ronde de l’aube', tiré du célèbre roman de William Faulkner,  'Pylône' (édité en français par Gallimard). Avec le metteur en scène Douglas Sirk et le producteur Albert Zugsmith se trouve ainsi reconstituée l'équipe qui fit le succès de 'Ecrit sur du vent', pour lequel on avait décerné un Oscar à Dorothy Malone. Ein wenig mehr weiß man in Frankreich schon über Douglas Sirk und Dorothy Malone. François Truffaut wird über Written in the Wind schreiben, und Godard wird uns 1959 in den Cahiers du Cinéma versichern, dass wir es bei Sirk mit einem auteur zu tun haben. Die Auteur-Theorie ist damals eine große und wichtige Sache der Filmkritik.

Der Hamburger Hans Detlef Sierck, der sich nach seiner Emigration in die USA Douglas Sirk nannte, hatte ein Händchen dafür, Filmschauspielerinnen zu entdecken, sie zu förden, und sie plakativ ins Bild zu setzen. Ohne ihn hätte Zarah Leander nicht diesen Erfolg gehabt, den sie mit Zu neuen Ufern und La Habanera hatte. Barbara Stanwyck und Jane Wyman werden in seinen Filmen ihre besten Rollen haben. Und Dorothy Malone wird so gut wie nie zuvor in seinen Filmen sein. An agent kept calling me that there is a director from Europe who wants you and only you. He was every woman’s dream of a director. He was very Prussian, wore a scarf, and maybe he even had a walking stick. If he liked you, he was so much fun. I found him utterly charming. But it must have been terrible if he didn’t like you, hat sie über ihn gesagt.

Am Beginn ihrer Karriere war Dorothy Malone eine von vielen Schönheiten, die Hollywood auf der Leinwand präsentierte. Obgleich sie in The Big Sleep in ihrer ersten Sprechrolle schon Lauren Bacall die Show stahl. Aber dann legte sie das Image des All American Girl, des netten Mädchens von nebenan, ab. So wie sie in The Big Sleep die Brille abnimmt und in Handumdrehen von der kleinen Brillenschlange im Buchladen zum Vamp mutiert. Jetzt spielt sie verruchte Frauen, also soweit Hollywood verruchte Frauen erlaubt. Die haben in den fünfziger Jahren nicht mehr einen solchen Höhepunkt, wie sie ihn im Film Noir hatten, als es nur noch good-bad girls und femmes fatales zu geben schien. Rita Hayworth in Gilda wird unvergessen bleiben.

Zehn Jahre nach The Big Sleep entdeckte Douglas Sirk Dorothy Malone und gab ihr eine gewagte Rolle als frustrierte Nymphomanin in Written on the Wind. Was ihr sogleich einen Oscar einbrachte. Lauren Bacall nicht, obgleich die die Hauptrolle spielte. Das war das zweite Mal, dass Dorothy Malone der Bacall die Show stahl. Ich weiß nicht, ob die beiden jemals Freundinnen geworden sind. Unsere Sympathien (und die der Motion Picture Academy) sind natürlich auf der Seite von Dorothy.

Ich liebe sie wie selten einen Menschen im Kino, hat Rainer Werner Fassbinder gesagt. Denn wir lieben die verruchte Dorothy Malone und können deshalb die edle Lauren Bacall nicht ausstehen. Oder, wie Fassbinder es formulierte: Statt dass sie (Lauren Bacall) mit ihm (Robert Stack) saufen ginge, was begriffe von seinem Schmerz, wird sie immer edler und reiner und immer mehr zum Kotzen, und immer deutlicher sieht man, wie sehr sie eigentlich zu Rock Hudson passen würde, der auch zum kotzen ist und auch edel. Irgendwie hat Fassbinder diesen Film instinktiv begriffen - was natürlich niemanden wundert, weil Douglas Sirk für ihn ein großes Vorbild ist. Written on the Wind ist ein Melodrama in den kitschigsten Farben, die Technicolor zu bieten hatte. 

Wenn Lauren Bacall mit Robert Stack gelebt hätte, statt neben, von ihm und für ihn zu leben, dann hätte er auch glauben können, dass das Kind, das sie kriegt, auch wirklich das seine ist. Er hätte nicht zu stöhnen brauchen. So aber ist sein Kind im Grunde wirklich eher eins von Rock Hudson, obwohl der es nie mit Lauren getrieben hat. Dorothy macht etwas Böses, sie hetzt ihren Bruder auf gegen Lauren und Rock. Trotzdem liebe ich sie wie selten einen Menschen im Kino, ich bin als Zuschauer mit Douglas Sirk auf den Spuren der Verzweiflung der Menschen. In 'Written on the Wind' ist das Gute, das 'Normale', das 'Schöne' immer sehr eklig, das Böse, das Schwache, das Haltlose öffnet das Verständnis. In diesem Haus, das Sirk sich hat für die Hedleys bauen lassen, da müssen die Gefühle die seltsamsten Blüten treiben.

Das Licht bei Sirk ist immer so unnaturalistisch wie möglich. Schatten, wo keine sein dürften, helfen, Empfindungen plausibel zu machen, die man sich gern fremd halten möchte. Genauso die Einstellungen in 'Written on the Wind', fast nur schräge, meist von unten, so ausgesucht, dass das Fremde an der Geschichte nicht im Kopf des Zuschauers passiert, sondern auf der Leinwand. Douglas Sirks Filme befreien den Kopf. Er hat auch noch gesagt: Sirk hat gesagt, man kann nicht Filme über etwas machen, man kann nur Filme mit etwas machen, mit Menschen, mit Licht, mit Blumen, mit Spiegeln, mit Blut, eben mit all diesen wahnsinnigen Sachen, für die es sich lohnt. Sirk hat außerdem gesagt, das Licht und die Einstellung, das ist die Philosophie des Regisseurs.

Written on the Wind ist, wie so vieles bei Douglas Sirk, Kitsch. Er drehe women's weepies haben seine Kritiker gesagt. Wim Wenders hat ihn den Dante der Soap Operas genannt. Es ist ein im höchsten Maße artifizieller Kitsch - wahrscheinlich war es das, was Fassbinder so anzog. Er hat auch nette Dinge über The Tarnished Angels (deutsch: Duell in den Wolken) gesagt. Ein Film über das Scheitern, wie Written on the Wind - von einem passionate interest in failure hatte er in seinem Interview gesprochen, das Jon Halliday als Sirk on Sirk veröffentlicht hat. Sirk ist der Regisseur, der uns in opulenten Melodramen immer wieder zeigt, dass es kein richtiges Leben im falschen gibt. Und natürlich befreien seine Filme den Kopf.

Bosley Crowther von der New York Times konnte dem Film nichts abgewinnen, er schrieb über ihn, er sei badly, cheaply written by George Zuckerman and is abominably played by a hand-picked cast. The sentiments are inflated — blown out of all proportions to the values involved. And the acting, under Douglas Sirk's direction, is elaborate and absurd. Doch in einer neueren Rezension in derselben Zeitung schreibt sein Kollege Dave Kehr: 'The Tarnished Angels' is among Sirk’s most self-conscious and artistically ambitious creations.... This is bravura filmmaking in the service of a haunting vision. Yet there are moments of almost microscopic subtlety: the camera movement that expresses the moral reversal of the Hudson and Stack characters, one growing larger than the other; the infinite tenderness with which Hudson strokes Ms. Malone’s hair, helplessly trying to comfort her after a shock.

Es gibt wenige Filme, die die Kritiker derart entzweien. Ich lasse jetzt mal Pauline Kaels Satz 'The Tarnished Angels' is the kind of bad movie that you know is bad—and yet you’re held by the mixture of polished style and quasi-melodramatics achieved by the director, Douglas Sirk beiseite. William Faulkner, dessen Roman Pylon hier zwanzig Jahre später verfilmt wurde, mochte das Drehbuch nicht (er hatte auch das Angebot, das Drehbuch selbst zu schreiben, abgelehnt). Doch er mochte das Endergebnis: Thought it was pretty good, quite honest. Fügte dem aber hinzu: But I'll have to admit I didn't recognize anything I put into it. Und trotz dieser netten Ironie war er der Meinung, dass dies die gelungenste Verfilmung eines seiner Romane sei.

Frederick Karl wußte in seiner Faulkner Biographie über den Film nur zu sagen: the film was undercut from the start by the miscasting of Dorothy Malone in the role of Laverne. Malone was a fine actress, but the quality of Laverne could perhaps only be caught by someone with an outlaw dimension like Joan Crawford or Barbara Stanwyck. Wahrscheinlich ist Frederick Karl in den vierziger Jahren zum letzten Mal im Kino gewesen, das Beste an seiner 1.100-seitigen Faulkner Biographie ist, dass sie sich als Türstopper eignet. Wenn Sie eine gute Faulkner Biographie lesen wollen, dann lesen Sie Joseph Blotner Faulkner: A BiographyPeter Nicolaisen William Faulkner in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten oder Stephen B. Oates William Faulkner. Sein Leben, sein Werk.

The Tarnished Angels soll (wie der Roman Pylon) in den dreißiger Jahren spielen, doch die dreißiger Jahre sehen hier sehr wie die fünfziger Jahre aus. Auch wenn der Film nicht in den grauenhaften Technicolor Farben gedreht worden ist, über die Frieda Grafe sagte: Die Farben nehmen einen an der Hand. Sie sind der verbindende rote Faden zwischen den Personen. Durch sie dringt etwas in die Menschen ein, das erst nach und nach sich zu Gefühlen konkretisiert. Den Film in Schwarzweiß zu drehen war keine künstlerische Entscheidung von Sirk, Universal hatte kein Vertrauen auf einen kommerziellen Erfolg und spendierte dem Regisseur nur das billigere Schwarzweißfilmmaterial.

Dieser Schwarzweißfilm bemüht sich nicht, sich an der Photographie der FSA Photographen der dreißiger Jahre zu orientieren, ist niemals körnig, dunkel, schmutzig. Dies ist nicht the real thing. Dies ist wie ein Filmtitel von Sirk: Imitation of Life. Eine high key Ausleuchtung im fifties style, wie Universal es gerne haben möchte. Nichts mehr mit Film Noir. Es ist der Stil der Zeit. Wäre Cat on a Hot Tin Roof in Schwarzweiß gedreht, würde er genauso aussehen. Dazu zerstört das neue Cinemascope Format jede Möglichkeit - die John Ford bei der Verfilmung von Steinbecks The Grapes of Wrath noch hatte - der Simulation eines Films der dreißiger Jahre. Jedes Bild ist bis in die Ecken durchkomponiert, hat er das an der Universität Hamburg bei Panofsky gelernt? Another influence on me was Erwin Panofsky, later the great art historian, under whom I studied. I was one of the select in his seminar, and for him I wrote a large essay on the relations between medieval German painting and the miracle plays. I owe Panofsky a lot.

Douglas Sirk dreht Written in the Wind ein Jahr später noch einmal. Dieselben Darsteller (Dorothy Malone, Rock Hudson, Robert Stack), aber ein besseres Buch (in 'Written on the Wind', the whole story is artificial), und natürlich wieder ein Melodrama. Andrew Sarris (ein Kritiker, dem man mehr Vertrauen schenken kann als Bosley Crowther) hat das sehr schön formuliert: Even in most dubious projects, Sirk never shrinks away from the ridiculous, but by a full-bodied formal development, his art transcends the ridiculous, as form comments on content. Und 'Written on the Wind' and 'Tarnished Angels' become more impressive with each passing year. Die deutsche Filmkritikerin Frieda Grafe hat die Wirkung der Sirkschen Melodramen plakativ mit Entweder heult man, oder man kotzt beschrieben.

Jetzt pumpt er Faulkners Pylon voll mit Melodrama und Sentimentalität. Seit er in den dreißiger Jahren das Buch gelesen hatte, wollte er es verfilmen. Und das Melodrama ist für ihn die einzige Möglichkeit, das amerikanische Publikum einzufangen: As a theater man, I had to deal with high art. I would play farces and comedy to make money, and classics for the elite. But we were trying to escape the elitaire. So slowly in my mind formed the idea of melodrama, a form I found to perfection in American pictures. They were naive, they were that something completely different. They were completely artless. This tied in with my studies of the Elizabethan period, where you had both l'art pour I'art and you had Shakespeare. He was a melodramatist, infusing all those silly melodramas with style, with signs and meanings. There is a tremendous similarity between this and the Hollywood system — which then I knew from only far away. Shakespeare had to be a commercial producer.

Dorothy Malone, die in gewissem Sinne William Faulkner ihre Karriere verdankt - er hatte das Drehbuch zu Chandlers The Big Sleep geschrieben - bedankt sich jetzt bei Faulkner. Gibt ihm durch ihre schauspielerische Leistung ein wenig Dank zurück. Spielt die LaVerne Shuman mit der abgebrühten toughness der Great Depression, und gleichzeitig ist sie so zart und zerbrechlich. So gut wie in den Filmen von Douglas Sirk ist sie nie wieder gewesen (obgleich man sie in dem Western Warlock, der Fernsehserie Peyton Place und bei ihrem Kurzauftritt in Basic Instinct gerne gesehen hat): Then there is Ms. Malone, who won a supporting actress Oscar for her work in 'Written on the Wind' but gives the true performance of her career here as an angelic figure dressed in white and lighted with searing brightness by Sirk. Her large, pale eyes convey reserves of sadness and experience that the Hudson character will never know (Dave Kehr).

Dorothy Malone hatte noch Erfolg in der Serie Peyton Place, wo sie die Rolle spielte, die Lana Turner in der Kinoversion von Peyton Place hatte. Die Rolle von Miss Ellie Ewing in Dallas lehnte sie ab. Als Malone neben Sharon Stone in Basic Instrinct erschien, lagen ihre großen Erfolge schon Jahrzehnte zurück, aber ganz vergessen war sie nie. Sie ist am 19. Januar 2018, zehn Tage vor ihrem vierundneunzigsten Geburtstag, gestorben. Aber sie lebt weiter in ihren Filmen. Die große Douglas Sirk Collection mit sieben DVDs kostet bei Amazon 35,81 €, der Kauf lohnt sich auf jeden Fall. Wenn Sie Dorothy Malone singen hören wollen, klicken Sie hier. Und ganz, ganz viele Bilder von Dorothy Malone finden Sie hier und hier. Den Film The Tarnished Angels gibt es hier natürlich auch.

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