Warum ist wirklich gute Literatur antiquarisch spottbillig? Prousts Combray bekommt man bei booklooker ab 25 Cent. Ich lasse Proust mal weg, weil das schon in dem Post Gilberte steht, den ich in ⇾Gilberte de Courgenay erwähnte. Der Post ist noch nicht veröffentlicht, aber irgendwann bekomme ich das hin. Ich bin letztens über die Preise gestolpert, die man für die Romane von Sigrid Combüchen bezahlen muss. Bei amazon kostet ihr Roman Byron 1,16€ und der Roman Was übrig bleibt: Ein Damenroman 1,73€. Ich habe für den 'Damenroman' bei ebay vier Euro bezahlt, versandkostenfrei. Es ist ein schöner Roman, über den Elke Heidenreich schrieb: Das Leben, wir ahnten es, hält Banalitäten satt bereit, Liebe kommt und geht, große Tragödien erweisen sich bei näherem Hinsehen als halb so wild und Kleinigkeiten als das, was das Leben tatsächlich ausgemacht hat - Blicke, Gerüche, Bilder.
Ich mag Sigrid Combüchen, weil sie eine großartige Erzählerin ist, das habe ich schon vor zehn Jahren in dem Post ⇾Sigrid Combüchen gesagt. Ich sage es gerne noch einmal. Ihr Roman Was übrig bleibt: Ein Damenroman (im schwedischen Original Spill: En damroman) ist 2012 bei Doris Kunstmann erschienen (Byron war bei Klett Cotta erschienen). Das Buch hat 2010 den Augustpriset bekommen, für den Combüchen vorher schon viermal nominiert war, mehr kann man als Schriftsteller in Schweden nicht erreichen. Das Preisgeld von 100.00 Schwedenkronen ist nicht so wichtig, aber der Roman verkaufte sich in Schweden auf der Stelle 160.000 mal. Das ist schon etwas.
Das hier ist nicht Sigrid Combüchen, aber die Frau hat sehr viel mit dem Wort Damenroman zu tun. Der Literaturkritiker Georg Brandes hat das Wort gebraucht, in einer sehr abschätzigen Weise. Und er meinte damit die Romane von ihr hier, Victoria Benedictsson. Die war einmal seine Geliebte gewesen, sie liebte ihn immer noch, auch wenn er ihre Romane als Damenromane bezeichnete. Sie hat aus unglücklicher Liebe Selbstmord begangen (ich habe hier eine sehr schöne schwedische Seite zu Victoria Benedictsson). Sie wird natürlich in Sigrid Combüchens Roman erwähnt; und die Autorin Combüchen, die in diesem Roman gleichzeitig eine Romanperson namens Combüchen ist (wir könnten jetzt von Combüchen 1 und Combüchen 2 reden), definiert den Damenroman sehr ironisch so: Ein Damenroman handelt natürlich von Kleidern und Schmuck und Aussehen und Illusionen über die Liebe und 'jedes Mädchen soll für einen Tag im Leben eine Prinzessin sein dürfen'. Aber einen solchen Damenroman schreibt Sigrid Combüchen natürlich nicht.
Eine Leserin schreibt der Schriftstellerin Sigrid Combüchen einen Brief, sie hat sich und ihre Familie auf einem Photo in einem Buch der Schriftstellerin wiedererkannt. Die Schriftstellerin schreibt daraufhin die Geschichte der Hedwig Regitze Langmark, die Hedda genannt wird. Wir als Leser können der Schriftstellerin bei der Arbeit zuchauen. Sie erfindet die Geschichte der Hedda. Wie auch die achtundzwanzig Briefe von Hedda, die der Roman enthält. In einer Nachbemerkung gibt die Autorin zu, dass alles nur erfunden ist. Und dass die Sigrid Combüchen im Roman auch eine erfundene Figur ist: In diesem Roman ist alles nur Fiktion, Personen, Gärten, Häuser, auch 'ich'. Aber die blaue Stunde in der Finngatan gibt es.
Bei der blauen Stunde denke ich an Bilder von Peder Severin Krøyer oder an ⇾Joan Didions Blue Nights: In manchen Breitengraden gibt es vor der Sommersonnenwende und danach eine Zeitspanne, nur wenige Wochen, in der die Dämmerungen lang und blau werden. Während der blauen Stunden glaubt man, der Tag wird nie enden. Wenn die Zeit der blauen Stunden sich dem Ende nähert (und das wird sie, sie endet), erlebt man ein Frösteln, eine Vorahnung der Krankheit: das blaue Licht verschwindet, die Tage werden schon kürzer, der Sommer ist vorbei.
Aber so weit will Combüchen nicht hinaus, ihr genügt ein kurzer Augenblick: Schreiben wollte ich über einige kurze Minuten an einem Frühlings oder Herbstabend, wenn in der ältesten Straße des Viertels die Laternen angehen. Es ist ein so internsiver Moment. Anfangs sind sie grün, dann werden sie fabrikgelb und schließlich weiß. Die Baumkronen füllen sich mit Elektrizität. Und obgleich sich alles verändert, für zwei, drei Minuten kehrt diese Stimmung als Konstante zurück. Das ist der Augenblick, wenn die Autos behutsam mit dem Bremsrot flirten. Es sind solch wunderbare kleine Details, die Combüchens Stil ausmachen. Eine Schriftstellerin infiziert im Laufe der Zeit alles mit Fiktion, auch die Wirklichkeit.
In dem Roman Byron, der auch schon eine relativ komplizierte Erzählstruktur hat, beginnt das Kapitel Und alle Löwen Londons mit den Sätzen: Es ist Sonntag im Park. Nachdem sie vorweg gelaufen ist, um wie ein losgelassener Hund an diesem und jenem hinter der nächsten Straßenecke herumzuschnuppern, kehrt die Geschichte jetzt zu ihrer Herrin zurück, der Chronologie. Auch in Was übrig bleibt: Ein Damenroman läuft die Handlung manchmal wie ein losgelassener Hund um die nächsten Straßenecken, aber die Autorin weiß glücklicherweise, wann man sie wieder an die Leine nehmen muss.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen