Leider ist der schöne Katalog von ➱Michael Koetzle twen: Revision einer Legende inzwischen auch schon Vergangenheit (ich habe natürlich einen). Ich war einmal Anfang der sechziger Jahre auf einer Kulturtagung (natürlich nur, weil man dafür schulfrei bekam), wo eine Dame mit Dutt und grauer Strickjacke hasserfüllt einen Vortrag über den twen hielt. Das Magazin war für sie der Untergang des Abendlandes. Wahrscheinlich weil da Photos von Sam Haskins drin waren, die damals als verworfen galten. Die Dame reichte auch zur Abschreckung einige Hefte herum. Die habe ich alle mitgenommen, damit meine Mitschüler nicht in Versuchung gerieten, in den Strudel des Unterganges gezogen zu werden. Unglücklicherweise fand ich später heraus, dass die Vortragende die Tante meiner damaligen Freundin war.
Nina van Pallandt wurde als Nina Magdelene Møller-Hasselbalch in Kopenhagen geboren, 1960 hat sie den dänischen Baron Frederik van Pallandt geheiratet. Die beiden sind dann als Nina & Frederik weltberühmt geworden, das war das easy listening der sechziger Jahre mit dieser schnuckeligen Skandinavierin als Beigabe auf dem Cover der LP. Ihr erster Filmauftritt war nicht so toll wie der in The Long Goodbye. Der Film hieß Mandolinen und Mondschein, wenn Sie einen wirklichen Retro Schock haben wollen, dann schauen Sie jetzt mal eben hier hinein.
Robert Altmans Verfilmung von Raymond Chandlers The Long Goodbye warf die blonde Dänin in eine noisy and vulgar world. Es ist kein Augenblick Ruhe in dem Film: I decided that the camera should never stop moving. It was arbitrary... It gave me that feeling that when the audience see the film, they're kind of a voyeur. You're looking at something you shouldn't be looking at... My method also means you don't have to light for close-ups; you only have to accommodate what may happen, so you just light the scene and it saves a lot of time. The rougher it looked, the better it served my purpose. Altmann transponiert das Los Angeles der vierziger Jahre in das nervöse Kalifornien der siebziger Jahre. Die Handlung des Romans ist nur noch rudimentär zu erkennen, und dennoch ist es irgendwie ein gelungener Film; it's an original work, complex without being obscure, visually breathtaking without seeming to be inappropriately fancy, schrieb Vincent Canby in der New York Times. Was natürlich an der hervorragenden Kameraarbeit von Vilmos Zsigmond lag, der diesem neo-noir Film seinen Stempel aufdrückte. Und an Nina van Pallandt. Auch wenn wir eine halbe Stunde lang warten müssen, bis wir sie zum ersten Mal sehen.
Für viele Kritiker blieb natürlich Humphrey Bogart die filmische Verkörperung von Philip Marlowe, der Meinung scheint auch Raymond Chandler gewesen zu sein. So schreibt er in einem Brief an seinen englischen Verleger Hamish Hamilton: When and if you see The Big Sleep (the first half of it anyhow), you will realize what can be done with this sort of story by a director with the gift of atmosphere and the requisite touch of hidden sadism. Bogart, of course, is also so much better than any other tough-guy actor that he makes bums of the Ladds and the Powells. As we say here, Bogart can be tough without a gun. Also he has of humor that contains that grating undertone of contempt. Ladd is hard, bitter and occasionally charming, but he is after all a small boy's idea of a tough guy. Bogart is the genuine article.
Doch so gut Humphrey Bogart für den Film Noir sein mochte (der Robert Mitchum von Out of the Past wäre auch gut für die Rolle gewesen), jetzt waren die siebziger Jahre gekommen. Da konnte man dem Publikum kaum eine Phantasiefigur eines Autors verkaufen, der eigentlich immer noch im Zeitalter der Königin Viktoria lebte. Mit all diesen Rittern in Literatur und Malerei. Wen hätte man für die Rolle nehmen sollen? Robert Mitchum als alternder Marlowe in Farewell My Lovely war nicht schlecht (Charlotte Rampling auch nicht), er hätte es dabei belassen sollen. Denn in dem Re-Make von The Big Sleep (nicht mehr im L.A. von 1939 sondern im London der 70er Jahre) von Michael Winner hat er seinen guten Ruf aufs Spiel gesetzt. Michael Winner ist einfach nicht intelligent genug für einen richtigen neo-noir Film. Und London ist nicht L.A.
Altmans L.A. ist auch ein anderes L.A. als das von Raymond Chandler. Er hätte natürlich einen Retro-Film drehen können, so etwas war damals en vogue, wenn wir an Chinatown denken. Ein klein wenig Retro war die Nachbehandlung des Filmmaterials: I was worried about the harsh light of southern California and I wanted to give the film the soft, pastel look you see on old postcards from the 1940s. So we post-flashed the film even further than we did on McCabe & Mrs Miller, almost 100 percent. Aber es sollte nicht bei diesem leichten Verfremdungseffekt bleiben. Altman hatte sich zu einer radikalen Lösung entschlossen: I decided that we were going to call him Rip Van Marlowe, as if he'd been asleep for twenty years, had woken up and was wandering through this landscape of the early 1970s, but trying to invoke the morals of a previous era. I put him in that dark suit, white shirt and tie, while everyone else was smelling incense and smoking pot and going topless; everything was health food and exercise and cool. So we just satirized that whole time. And that's why that line of Elliott's – 'It's OK with me' – became his key line throughout the film
Eigentlich ist die Hauptfigur seines Films die Stadt Los Angeles (ein Los Angeles, das Chandler nicht wiedererkannt hätte), durch die Elliott Gould - mehr schlemihl als Ritter - streift. Aber so neu alles sein mag, manches ändert sich nie. Und die femme fatale, wie das good-bad girl ein Wesenselement des Film Noir, bleibt natürlich die femme fatale. Auch wenn sie blond ist und wie eine Schwedin aussieht und Nina van Pallandt ist. Und im Film Eileen Wade heißt. She looked exhausted now, and frail, and very beautiful, heißt es im Roman, da ist Philip Marlowe schon ganz hin und weg. Wenn sie im Film sagt Could you find my husband for me, please, Mr Marlowe? Kann Philip Marlowe da widerstehen? Es ist das Los dieses tough guy Ritters, dass er immer wieder die damsel in distress retten müssen.
In Chandlers Roman The Long Goodbye schreibt Eileen Wade in ihrem Abschiedsbrief: Time makes everything mean and shabby and wrinkled. The tragedy of life... is not that the beautiful things die young, but that they grow old and mean. It will not happen to me. Nina van Pallandt wird im Film dieser Satz erspart (im wirklichen Leben vielleicht nicht), ihre Eileen Wade lebt am Ende des Films noch. Fährt im Jeep an Elliott Gould vorbei, der sie nicht bemerkt. Der einsam aber fröhlich diese Allee hinuntergeht (down these mean streets a man must go), bis er zum Schluss aus den Bild hüpft. Stand so nicht bei Chandler, war aber auch irgendwie gut.