Dienstag, 18. August 2020

Mary Quant


Wenn wir an Paris und Damenmode denken, fallen uns sofort ein halbes Dutzend Couturiers ein. Denken wir an London und Damenmode, was fällt uns da ein? Erst einmal nichts, obgleich es bedeutende englische Couturiers gegeben hat. Immerhin war es der Engländer Charles Frederick Worth, der hier schon einmal vorkam, der die Pariser Haute Couture erfunden hat. Und ein Jahrhundert später gab es den Captain Molyneux, allerdings hatte der seinen Salon auch in Paris. Und wir dürfen natürlich die Schneider der Queen wie Norman Hartnell und Hardy Amies nicht vergessen. Beide wurden von dem Königin geadelt und bekamen nicht so etwas Popliges wie den Order of the British Empire, nein, für ihre Verdienste musste es schon der Royal Victorian Order sein. Der Schneider, den die Königin seit Jahren favorisiert, wird diesen Orden nicht bekommen. Nicht weil sie mit ihm unzufrieden ist, sondern weil er ein Deutscher ist. Ja, Sie haben richtig gelesen, ein Deutscher namens Karl-Ludwig Rehse schneidert für die Königin.

Hartnell und Amies schneiderten elegante Mode für die elegante Lady, die nicht zum Shoppen nach Paris fahren wollte. Eine Eleganz, die heute ausgestorben scheint, und die durch das Model Barbara Goalen perfekt (oben) verkörpert wurde. Natürlich gab es in den fünfziger und sechziger Jahren all das, was gerade in Paris Mode war, für die englische Frauenwelt auch preiswerter, zum Beispiel von der Firma Susan Small (links), für die Barbara Goalen auch als Model gearbeitet hat. Und selbstverständlich konnte die Dame Tragbares für den Alltag auch bei Jaeger oder ➱Simpsons (DAKS) kaufen. Die natürlich bekannter dafür waren, dass sie den englischen Gentleman mit hochwertiger Konfektion ausstaffierten.

Alison Settle (von 1926 bis 1935 Direktorin der englischen Vogue) schrieb 1945 in der Picture Post in dem Artikel London: Can it Become a World Fashion Centre?Success cannot come to English fashions, so long as the men of the country treat fashion as being essentially frivolous and even laughable... to take the trends of fashion seriously, to discuss clothes seems unthinkable. Only when fashion trends, colours and the whole philosophy of clothes is talked about - as films, pictures or music are discussed - can the textile trades of Britain regain their merited superiority in the eyes of the world. Was man 1945 kaum glauben mochte, wurde wenig später durch Mary Quant (und andere) wahr.

Denn für die Revolution der englischen Damenmode steht der Name des heutigen Geburtstagskinds Mary Quant, die den Minirock erfunden hat (und ihn nach ihrem Lieblingsauto benannte). Der war zum ersten Mal in der Vogue 1962 zu sehen. Mary Quant hat von der Königin auch einen Orden bekommen, aber nicht so etwas Vornehmes wie Hartnell und Amies. Es war ein schlichtes OBE, das ihr die Königin überreichte. Mary Quant kam zu der Ordensverleihung natürlich im Minirock, die Königin natürlich nicht. Obgleich das sicher witzig gewesen wäre. Der französische Designer André Courrèges, der in Paris Frauen in seltsame Gewänder hüllte, hat den Minirock dann in der französischen Haute Couture heimisch gemacht.

Der Minirock verdankt seinen Erfolg dem pulsierenden Leben des Swinging London und Models wie Jean Shrimpton (links) und Twiggy, denn ohne The Shrimp oder Twiggy wäre das wohl nichts geworden. Cilla Black (die natürlich auch einen Minirock getragen hat), war dafür irgendwie zu pummelig. Nicht jedermann, sprich jede Frau, konnte sich Mary Quant Kleider leisten, die qualitativ hochwertigen Teile waren in ihrem Bazaar in der King's Road verhältnismäßig teuer. Zusammen mit ihrem Ehemann Alexander Plunket Green hatte sie die Mary Quant Ginger Group gegründet, wo es eine preiswerte Linie zu kaufen gab, aber auch die war nicht überall in England erhältlich. Natürlich gab es überall Kopien, und ich nehme mal an, dass sogar Marks&Spencer Mary Quant Ähnliches in den Schaufenstern hatte.

Eins der seltsamsten Designs waren ihre pinafore dresses. Nicht alle waren so avantgardistisch wie dieses Teil aus dem Victoria & Albert Museum. Manches sah so aus, als hätten sich die Girls von St Trinian's in die Haute Couture verirrt. Und auch das, was die Designerin hier bei einer Modenschau trägt, ist ja etwas gewöhnungsbedürftig. Irgendwo auf der Welt werden heute noch immer seltsame Wollkleider getragen. Quant konnte tun, was sie wollte, ihre Mode wurde gefeiert und kopiert. Später war sie als Designerin für eine Vielzahl von Firmen tätig, unter anderem sogar für J.C. Penney. Dazu sage ich jetzt nix. Sie hätte solchen Unsinn nicht nötig gehabt, aus dem Bazaar in Chelsea war ein weltweit operierendes Modeunternehmen geworden, auch eine eigene Kosmetiklinie gab es schon sehr früh.

Die englischen Designerinnen der sechziger Jahre kamen nicht aus den Ateliers der Haute Couture. Die Haute Couture produziert (ebenso wie die Savile Row) in England keine wirklich neue Mode. Die Mode, die England veränderte, kam jetzt aus dem Hochschulen: Quant changed the whole approach of the British to fashion. Up until then 'fashion' was French and for the rich and frivolous. English upper-class girls were expected to dress like their mothers, and only tarts and homosexuals wore clothes which reflected what they were. Sagt George Melly in Revolt into Style, nach vierzig Jahren immer noch eins der besten Bücher über die Zeit.

Dass sich englische Kunsthochschulen und Kunstgewerbeschulen ernsthaft mit der Mode beschäftigten, ist in nicht kleinen Teilen das Verdienst von Muriel Pemberton gewesen. Die neben ihrem Kunststudium in den dreißiger Jahren für das Modehaus Reville-Terry gearbeitet hatte und die immer dafür eingetreten war, dass man fashion als Fach studieren konnte. Weshalb sie nun keinen Wikipedia Artikel hat, verstehe ich wirklich nicht. Ich kann jetzt nur auf diesen ➱und diese persönliche Erinnerung von Lou Taylor verweisen. Lou Taylor hat zusammen mit Elizabeth Wilson 1989 das vorzügliche Begleitbuch zu der BBC Serie Through the Looking Glass: A History of Dress from 1860 to the Present Day geschrieben. Ich vermute mal, dass alle substantiellen Teile des Buches von Lou Taylor sind, Elizabeth Wilson hat dann ihre feministische Theoriesoße über das Ganze gekippt. Lou Taylor hat in der Textilindustrie gearbeitet bevor sie eine Anstellung in der Kostümabteilung des Royal Scottish Museum fand, zuvor hatte sie natürlich noch Mode an der St. Martin’s School of Art studiert (wenn Sie sich durch die Liste der Absolventen klicken, haben Sie ein Panorama von Künstlern und Designern, das von Anita Pallenberg bis John Galliano reicht). Elizabeth Wilson hat von all dem keine Ahnung, aber sie hat ihre Theorie. Das sind mir die liebsten.

Mary Quant hatte am Goldsmiths College studiert, ihre Konkurrenten in der Modeszene wie Marion Foale und Sally Tuffin (die den Look erfanden, den später Laura Ashley vermarktete) kamen auch von Kunsthochschulen (nur Jean Muir hatte nicht studiert). Mary Quant hatte bei Alexander Plunket Green, den sie an der Hochschule kennengelernt hatte, im Bazaar als Einkäuferin angefangen (und ihn auch gleich geheiratet); wenig später kamen ihre ersten Kollektionen auf den Markt. Alexander Plunket Green, ein großer Dandy mit eleganten Manieren, besaß einen upper class background, was dem jungen Ehepaar alle Türen des Chelsea Sets öffnete. Aber gleichzeitig hatte der Dandy Plunket Green diese Épater la bourgeoisie-Attitüde, die ihn dazu prädestinierte, zusammen mit seiner Ehefrau eine andere Mode als Hartnell oder Amies zu machen. Mary Quant war nicht die Einzige, die damals fetzige Mode machte, Barbara Hulanicki war mit Boutique Biba vielleicht noch berühmter. Was nur daran lag, dass sie zwar das gleiche machte wie Quant, aber viel billiger war.

Irgendwie vermisse ich diese Zeit mit den kurzen, schnellen Halbwertzeiten preiswerter, fetziger Mode. Savile Row Anzüge und Jermyn Street Hemden sind ja schön und gut, aber damals stand einem der Sinn nicht nach sartorialer Ewigkeit. Und so denke ich mit liebevoller Erinnerung an eine Vielzahl von schlimmen, aber für einen Augenblick hochmodischen, Teilen wie das quietschegrüne Hemd aus der Carnaby Street zurück.

Zwischen dem Bild von Barbara Goalen als aristokratisch arroganter Lady und den mit geheuchelter Unschuld posierenden androgynen Kindfrauen wie Twiggy scheint ein halbes Jahrhundert zu liegen - es sind aber nicht einmal zehn Jahre. Mit Mary Quant hat die englische Mode - man verzeihe mir das Wortspiel - einen Quantensprung vollzogen, von nun an wird alles in der Mode schneller und schneller. Ein halbes Jahrhundert nach Alison Settles Frage London: Can it Become a World Fashion Centre? verschickte Amy de la Haye, die gerade die Ausstellung The Cutting Edge: 50 Years of British Fashion, 1947-1997 für das Victoria & Albert Museum kuratierte, einen Fragebogen an alle wichtigen englischen Modedesigner. Eine der Fragen lautete: How would you describe, in a few words, your style and position in the fashion market? Mary Quant antwortete kurz und faktisch: Mid to high price-range. The look: sport-chic. Fashions, undies, bags, belts, swimsuits, make-up (120 eye-colours, 101 lip colours, 8o nail colours). Skincare and Bodyline. Worte einer Unternehmerin, die es geschafft hat. Allerdings ist der Look, durch den sie berühmt wurde, beliebig reproduzierbar. Schon Richard Lester betrachtet die androgynen Möchtegern-Jungfrauen in seinem Film The Knack sehr satirisch.

Sir Hardy Amies beantwortete übrigens die gleiche Frage mit dem Satz: The one remaining truly couture house in Great Britain. Mary Quant und all die Designerinnen und Designer des Swinging London bedeuteten zwar den Erfolg Londons als Modestadt, aber sie waren auch das Ende der englischen Lady, das Ende von clothes which have social confidence (Alison Settle). Und so gibt es hier, aus reiner Nostalgie, noch ein Photo von Barbara Goalen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen